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"Also bleiben wir"

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Viele Krimtataren sind gegen die Annexion. Eine Volksgruppe zwischen Anpassung und Untergrund.


Sewastopol. Eine friedliche Stille liegt über der Altstadt von Bachtschyssaraj. Vereinzelt dringt Hundegebell aus den Hinterhöfen, ab und zu knattert ein Auto durch die engen Gassen. Die Frauen räumen ihre Marktstände zusammen, als der Tag langsam in den Feierabend gleitet.

Im 57-jährigen Ilmi Umerow herrscht hingegen keine Ruhe. Sondern Kampf. Nachdem Russland die Krim im Vorjahr annektiert hatte, legte er sein Amt als Bezirksvorsteher von Bachtschyssaraj nieder. Kein Amt unter russischer Flagge, das hatte er sich geschworen. Seine bösen Vorahnungen haben ihn nicht betrogen, wie er heute sagt. "In der Sowjetunion war es nicht so schlimm, wie jetzt", sagt er. "Unsere Leute werden politisch verfolgt, ermordet und verschleppt." Er sitzt in einem Lokal, hinter ihm weht die Fahne der Krimtataren - hellblauer Hintergrund, ein gelbes Symbol - ähnlich einem "T", im linken Eck. Unten in der Talsohle liegt das Minarett im Abendlicht. Umerow ist ein Urgestein der krimtatarischen Politik. Nach der Wende war er ein paar Jahre Vize-Premier der Krim. "In der Ukraine waren wir vor allem beschäftigt, unser kulturelles Erbe zu bewahren. Jetzt geht es schlichtweg um den Schutz unserer Existenz."

Bachtschyssaraj ist das kulturelle Zentrum der Krimtataren - jener turksprachigen, muslimischen Volksgruppe, die unter Stalin als Nazi-Kollaborateure verfolgt und nach Zentralasien deportiert wurde. Erst in den späten Achtziger Jahren hatten sie es sich erkämpft, wieder auf die Krim zurückzukehren. Jetzt werden sie wieder unter Druck gesetzt.

Vor einem Jahr zogen Vertreter der Krimtataren auf die Straße, um gegen die drohende Abspaltung der Krim von der Ukraine zu protestieren. Unter Kiewer Führung wurden die Krimtataren zwar nicht proaktiv unterstützt, aber zumindest hat man ihnen erlaubt, ein Fundament zu schaffen, um sich ein neues Leben aufzubauen. So waren die Krimtataren auch die einzige Gruppe, die vor einem Jahr das Referendum zum Anschluss an Russland boykottierte.

Dafür zahlen sie heute einen hohen Preis: Mehrere Aktivisten werden derzeit wegen "Anstiftung zu Massenunruhen" verfolgt, wenngleich damals selbst aus Moskauer Sicht noch ukrainisches Recht galt. Den Krimtataren-Führern Mustafa Dschemiljew und Refat Tschubarow wird die Einreise auf die Krim verwehrt. Immer wieder sollen bewaffnete Milizen durch Krim-Viertel ziehen, um die Bewohner einzuschüchtern. Krimtataren verschwinden oder werden verschleppt, drei Fälle hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem aktuellen Bericht dokumentiert. "Sie wollen an uns ein Exempel statuieren", sagt ein junger Krimtatare, der anonym bleiben will. "Jeder, der aufmuckt, wird verfolgt."

So hat sich auch über Bachtschyssaraj, wo jeder Dritte ein Krimtatare ist, Schweigen gelegt. Krimtatarische Veranstaltungen wurden aus Angst vor Verfolgung abgesagt. Der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnete die Krim zuletzt als den "Tempelberg" der Russen, wenngleich die Krim erst unter Katharina der Großen in das russische Zarenreich eingegliedert wurde. Im offiziellen Krim-Narrativ haben die Krimtataren, die im 15. Jahrhundert ein Khanat auf der Krim errichtet hatten, keinen Platz.

Simferopol, 30 Kilometer weiter nord-östlich. "Moschee Kebir-Jami, Jahr 1508. Das Objekt wird rechtlich geschützt - "Zuwiderhandeln wird gesetzlich bestraft", steht auf einer Tafel auf Ukrainisch. Nach der Annexion hatten russische Sicherheitskräfte in zahlreichen Moscheen Razzien durchgeführt, wegen Verdachts auf "verbotene Literatur". Rund 70 religiöse Bücher, insbesondere des Islam, werden von russischen Behörden als extremistisch eingestuft. "In Russland gilt jede Art von Andersdenken schon gleich als Extremismus", klagt Umerow.

"Möchte weder Russe noch Ukrainer sein"

Am nächsten Tag brennt die Sonne vom Himmel, es ist herrliches Frühlingswetter. Im Hinterhof grillen ein paar Männer. Hier will man von Politik nichts hören. "Die Ukraine hat sich doch auch nie um uns gekümmert", sagt ein junger Mann. "Und jetzt, da die Krim nicht mehr zur Ukraine gehört, interessieren sich plötzlich alle für uns." - "Wir sind wie eine alte Brosche, die niemand mehr getragen hat; aber wenn sie weg ist, kommt das große Jammern", sagt ein Mann neben ihm. Sie würden einfach versuchen, sich mit der Lage zu arrangieren. "Wir sind ein friedliches Volk, wir wollen nur unsere Ruhe haben."

Die Rechte der Krimtataren werden aber auch institutionell stark eingeschränkt. Das betrifft vor allem den Medschlis, die politische Vertretung der Krimtataren. "Sie haben uns angeboten, dass wir als eine öffentliche Organisation registriert werden und somit unseren Status als Organ der Selbstverwaltung verlieren", sagt Ali Chamsin, der seit 1997 im Medschlis sitzt. Damit würde der Medschlis politisch de-facto unschädlich gemacht. "Das haben wir abgelehnt." Trotzdem findet er, dass es nötig ist, mit den russischen Behörden zusammenzuarbeiten. "Seien wir uns ehrlich - auch die Ukraine hat sich nicht viel um uns geschert und keine einzige krimtatarische Schule gebaut. Ich möchte kein Russe oder Ukrainer sein, sondern ein Krimtatar mit fundamentalen Minderheitenrechten, die in der Verfassung festgeschrieben sind."

Allerdings besteht derzeit wenig Grund zu Optimismus: Ein grundsätzliches Papier zum Schutz der krimtatarischen Minderheit wurde vor einem Jahr verabschiedet, aber nach dem Referendum wollten die neuen Machthaber freilich nichts mehr davon wissen. "Solange wir nicht zu diesem Dokument zurückkehren, wird es keinen Dialog geben", sagt Chamsin.

Trotz der schwierigen Lage und der Bedrohungen haben die meisten Krimtataren entschieden, zu bleiben. Nur rund 10.000 der 300.000 Krimtataren haben die Krim nach der Annexion verlassen, und einige von ihnen sollen wieder zurückgekehrt sein. "Wenn wir gehen, dann können sie wirklich sagen, dass die Krim zu 100 Prozent russisch ist", sagt Umerow. 12 Prozent der Krimbewohner werden den Tataren zugezählt. "Also bleiben wir."