Zum Hauptinhalt springen

"Der Bruch ist eine Option"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik
Kostas Lapavitsas: "Griechenland braucht revolutionäre Reformen."
© Imago/Wassilis Aswestopoulos

Interview mit Kostas Lapavitsas, dem wirtschaftlichen Vordenker des linken Syriza-Flügels "Aristeri Platforma".


"Wiener Zeitung": Herr Lapavitsas, Griechenland hat sich im Frühjahr 2010 in den faktischen Staatsbankrott manövriert. Nun steht das Land erneut vor der Pleite. Müssen die Griechen den Gürtel nicht auch künftig enger schnallen?

Kostas Lapavitsas: Nur wenn Griechenland und die Griechen Selbstmord begehen wollen oder sollen. Hellas braucht genau das Gegenteil. Wir brauchen endlich wieder eine Stärkung der Binnennachfrage, definitiv keine Fortsetzung des Austeritätskurses der vergangenen fünf Jahre. Nur so können wir unsere zerstörte Wirtschaft ankurbeln. Und das geht nur mit staatlichen Geldern.

Stören Sie Reformen? Finden Sie es schlecht, wenn Griechenland sich reformiert?

Im Gegenteil. Griechenland braucht tiefgreifende, sogar revolutionäre Reformen. Strukturelle, institutionelle, gesellschaftliche. Die Linke hat das immer propagiert, sie ist dafür eingetreten. Dass nun ausgerechnet konservative Kräfte sich als Reformer präsentieren, ist ein Witz. Die entscheidende Frage ist aber: "Was verstehen wir unter Reformen?" Was der Internationale Währungsfonds und die EU darunter verstehen, ist überholt und zudem grandios gescheitert. Das belegt nicht zuletzt der Fall Griechenland.

Die laufenden Verhandlungen zwischen Athen und seinen Gläubigern EU, EZB und IWF über eine Reformliste nehmen kein Ende. Ist Griechenland reformunfähig?

Die ganze Diskussion um Reformen hat im Fall Griechenland lächerliche Züge angenommen. Durch die bisher betriebene Krisen-Politik haben hierzulande Missstände aus der Vor-Krisen-Zeit nicht nur überlebt. Sie haben sich sogar verstärkt. Die Reichen sind in der Krise reich geblieben, die Starken stark geblieben. Sie behielten ihre Privilegien. Das ist die wahre griechische Tragödie.

Sie zählen in der Syriza-Parlamentsfraktion zum linken Flügel "Aristeri Platforma" ("Linke Plattform"), sind ihr Starökonom - und ein bekennender Grexit-Befürworter. Premier Tsipras’ Dogma lautet hingegen: "Kein Bruch mit der Eurozone, aber auch keine Unterwerfung." Was ist daran so schlecht?

Die Devise "Keine Unterwerfung" kann ich locker unterschreiben. Wir haben in der Partei rote Linien. Wir sind gegen weitere Senkungen der Löhne, Gehälter und Pensionen, aber auch grundsätzlich gegen die Privatisierung und den Ausverkauf von Staatsbesitz. Dazu gibt es Parteibeschlüsse. Wir sehen aber die harte Haltung unserer Partner in Europa uns gegenüber. Ohne zumindest die Option eines Bruchs können wir nur sehr schwer das erreichen, was wir als Nation und Gesellschaft fortan wollen. Dem anderen muss klar sein: "Bis hier und keinen Millimeter weiter."

Die Regierung Tsipras hat den klaren Wahlauftrag erhalten, Griechenland in der Eurozone zu halten. Besteht die Gefahr einer Spaltung bei Syriza? Dass die Regierung beschlussunfähig wird?

Nein. Was stimmt: Wir führen bei Syriza einen intensiven innerparteilichen Dialog, auch sehr kontrovers und öffentlich. Genau das ist unsere Stärke. Wer glaubt, dass Syriza sich spalten werde, irrt gewaltig. Das sind Träume, Bestrebungen und Wunschdenken derjenigen, die einen Krieg gegen Syriza führen.

Sie koalieren derzeit mit den "Unabhängigen Griechen", ein dem Anschein nach ungleicher Juniorpartner. Könnten Sie sich alternativ eine Koalition mit den Ex-Regierungsparteien, der konservativen Nea Dimokratia (ND) und den Pasok-Sozialisten, oder der "Fluss"-Partei To Potami vorstellen?

Das ist ein Science-Fiction-Szenario.



Was muss eintreten, damit Athen mit seinen EU-Partnern bricht?

Syriza hat ein Regierungsprogramm. Dafür sind wir gewählt worden. Falls wir unser Regierungsprogramm wegen der Haltung unserer Partner in der Eurozone nicht realisieren können, muss das Volk nüchtern und sachlich entscheiden.

Wie? Mit Neuwahlen oder per Referendum?

Das Volk muss seinen Willen zum Ausdruck bringen. So oder so. Das Volk hat sich bei den Wahlen am 25. Januar sowohl für unser Regierungsprogramm als auch den Euro entschieden. Wenn beides gemeinsam nicht geht, muss das Volk einen anderen Auftrag erteilen. So ist das Leben. Seien Sie versichert: Es wird nichts passieren, was das griechische Volk nicht will.

Zur Person

Kostas Lapavitsas ist Professor für Ökonomie an der School of Oriental and African Studies (Soas) der Universität London und ein Abgeordneter von Syriza. Lapavitsas ist ein lautstarker Kritiker des modernen westlichen Finanzsystems und wie die Griechenland-Krise sowie die Euro-Krise gehandhabt wurden.

Seit 2011 hat Lapavitsas dafür plädiert, dass Griechenland die Eurozone verlässt und zur Drachme zurückkehrt. Lapavitsas hat darüber hinaus in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass es für die neue griechische Regierung so gut wie unmöglich ist, die Austeritätspolitik zu beenden, ohne gleichzeitig die europäischen Partner zu verprellen.