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Die Suche nach einem besseren Leben

Von WZ-Korrespondent Philipp Hedemann

Politik
Trostloses Roma-Dasein in Bijeljina.
© Hedemann

In Bosnien-Herzegowina leben die meisten Roma in bitterster Armut.


Bijeljina. Ein Arm voll Klamotten, ein paar Dutzend Plastikflaschen, ein alter Reifen, ein Kanister mit Loch, ein kaputter Computermonitor, ein bisschen Altmetall. Das ist die Ausbeute. Über acht Stunden hat der zwölfjährige Shaban dafür mit seiner Mutter Mevelida und seinem Vater Ahmo Mülltonnen durchwühlt und sich als "Zigeuner" beschimpfen lassen. Die Roma-Familie aus dem bosnischen Bijeljina ist dennoch zufrieden. Es gab Tage, an denen sie mit weniger nach Hause gekommen sind. Bis zu 50.000 Roma leben in Bosnien-Herzegowina, in Europa sollen bis zu zwölf Millionen Sinti und Roma zu Hause sein. Am 8. April erinnert der Welt-Roma-Tag daran, dass diese Volksgruppe 70 Jahre nach dem Holocaust noch immer verfolgt und diskriminiert wird. Während der Zeit der Nationalsozialisten sind 500.000 Roma und Sinti ermordet worden.

Als Ahmo seinen schrottreifen Opel vor dem winzigen Haus zum Stehen bringt, stürmen seine Töchter Habiba, Samila und Sanela aus dem Haus. Was haben Shaban, Mama und Papa gefunden? Warme Klamotten gegen die Kälte? Etwas Modisches gegen die fiesen Blicke in der Schule? Etwas Schönes zum Spielen? Etwas, das sich gut zu Geld machen lässt, damit endlich mal wieder ein Stück Fleisch auf dem Teller landet?

"Abends oft nicht zu wissen, wie man die Kinder satt kriegen soll - das ist schlimm", sagt Ahmo. 40 Zentimeter hoch stand das Wasser nach tagelangen Regenfällen im letzten Mai im Raum, in dem die ganze Familie eng zusammengedrängt schläft. Das rissige Mauerwerk riecht muffig. Ahmo hat Angst, dass das Haus eines Tages über seiner Familie zusammenbrechen wird.

Auf dem Ofen hat Mevelida in einem verbeulten Kessel Wasser aufgesetzt. Hellbraun kam es aus der rostigen Pumpe. So fällt zumindest nicht so auf, dass die Familie sich nur ganz dünnen Kaffee leisten kann. Ihre Fingernägel hat die Mutter sich mit Nagellack angemalt. Wie das meiste, das sie besitzt, hat sie die Fläschchen im Müll gefunden. Nur notdürftig überdeckt die Farbe das Schwarz, das sich jeden Tag unter Mevelidas Nägeln sammelt.

Gelebt wird vom Müll der anderen

Viele Roma müssen von dem leben, was andere wegschmeißen. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch nach Schätzungen haben nur ein Prozent der Roma in Bosnien-Herzegowina einen festen Job. "Ich stelle doch keine Zigeuner ein. Die sind faul, ungebildet, stinken und stehlen", brüllt die Friseurin, als Fatima Dzanic sich um einen Praktikumsplatz bewirbt. Mit einer Schauspieltruppe macht die 22-Jährige auf die Diskriminierung aufmerksam, der Roma täglich ausgesetzt sind. Heute ist die Beschimpfung nur Theater, doch fast alle Roma im Publikum haben ähnliche Demütigungen schon erlebt.

"Unsere Stücke sollen den Roma Mut machen, sich gegen die Verletzung unserer Menschenrechte zu wehren", sagt Fatima Dzanic. Die Laienschauspielerin arbeitet für den von der Hilfsorganisation Care International unterstützten Roma-Verband Otaharin in Bijeljina. "Zwar haben einige Regierungen in Südosteuropa in den letzten Jahren Pläne gegen Diskriminierung ausgearbeitet, aber der Fortschritt ist sehr langsam. Viele Roma wohnen noch immer in ghettoisierten Vierteln ohne Strom und fließendes Wasser", sagt Maja Petek, die bei Care International für Roma-Projekte in Bosnien, Serbien und Montenegro zuständig ist.

Die Otaharin-Theaterstücke thematisieren auch Probleme innerhalb der Roma-Gemeinschaft. Die Schauspieler beschäftigen sich mit Alkohol, Drogen, häuslicher Gewalt, Analphabetismus, Teenager-Schwangerschaften und Kinderhochzeiten. Eine Studie kam 2013 zum Ergebnis, dass 15 Prozent der Roma-Frauen verheiratet wurden, bevor sie 15 Jahre alt waren, viele der jungen Bräute wurden bald darauf von ihren oft viel älteren Ehemännern geschwängert. "Eltern, die ihre Töchter als Kinder gegen ihren Willen verheiraten, würde ich am liebsten foltern, damit sie spüren, welche Schmerzen sie ihren Kindern damit antun", faucht Begzada Jovanovic. In drei Stunden wird die 24-Jährige selbst heiraten. Ihren Mann hat sie sich selbst ausgesucht. Doch als sie vor einigen Monaten mit ihrer Schauspielgruppe ein Stück gegen Kinderhochzeiten aufführen wollte, versuchte eine aufgebrachte Menge, die Vorstellungen zu verhindern.

Auch die 28-jährige Aldijana Dedi von der Roma-Organisation "Budi mi prijatelj" ("Sei mein Freund") im bosnischen Visoko kämpft gegen den immer noch weitverbreiteten Brauch. "Weil viele Romafrauen jung Kinder bekommen, gelten sie als leichte Beute, die man schnell ins Bett kriegt. Dabei hat die Jungfräulichkeit bis zur Ehe bei uns einen hohen Stellenwert. Aber manche Männer denken, dass man mit uns alles machen kann, weil wir uns lange nicht gewehrt haben." Um Krieg und Diskriminierung zu entfliehen, lebte sie sechs Jahre in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. "Dort war ich ,die Jugoslawin‘. Als Zigeunerin wurde ich nie beschimpft", erinnert sich die Aktivistin.

Eine von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegebene Studie kam 2014 zwar zu dem Ergebnis, dass Anti-Ziganismus auch in Deutschland weit verbreitet ist. Demnach sind Sinti und Roma die Bevölkerungsgruppe, der am wenigsten Sympathie entgegengebracht wird. Jeder dritte Deutsche möchte sie nicht in seiner Nachbarschaft haben. "Die NPD versucht zunehmend, Stimmung gegen Sinti und Roma zu machen. Dennoch ist die Lage in Deutschland deutlich besser als in den meisten anderen europäischen Ländern", sagt Herbert Heuss, wissenschaftlicher Leiter des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma.

Letzter Hoffnungsschimmer: die Flucht in den Norden

Viele bosnische Roma versuchen deshalb, irgendwie nach Deutschland oder in andere EU-Länder zu gelangen. Einige fallen dabei auf die Verheißungen skrupelloser Menschenhändler rein. "Sie versprechen jungen Frauen gute Jobs im Haushalt, doch viele landen in der Prostitution", weiß Aldijana Dedi. Sie fordert die Regierung in Sarajevo auf, dem Exodus der Roma mit einer entschiedenen Antidiskriminierungspolitik entgegenzutreten. Die Aktivistin: "Wenn Roma hier Arbeit finden könnten, würden sie nicht so leicht Kriminellen auf den Leim gehen."