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Wortreiches Drängen auf Taten

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Nach den Außen- und Innenministern sollen nun die Staats- und Regierungschefs über Maßnahmen für Flüchtlinge beraten.


Brüssel/Luxemburg. Es hätte eine gewöhnliche EU-Sitzung werden sollen. Mit Themen, die zwar schwierig sind, aber schon einige Zeit zuvor auf die Agenda gesetzt wurden: die Zusammenarbeit mit Balkanländern und östlichen Partnerstaaten, das iranische Nuklearprogramm oder die Situation im Jemen. Doch die reguläre Zusammenkunft der Außenminister der Union in Luxemburg geriet zu einem Krisentreffen, zu dem auch die Regierungskollegen aus den Innenressorts anreisten.

Denn am Wochenende waren hunderte Menschen bei dem Versuch gestorben, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Die Berichte darüber veranlassten Politiker quer durch die EU nicht nur dazu, ihre Erschütterung über den Tod der Flüchtlinge zum Ausdruck zu bringen, sondern erneut über Gegenmaßnahmen zu debattieren. Und als die Minister berieten, kamen Nachrichten über ein weiteres Boot, das auf der Überfahrt nach Europa vor der libyschen Küste zu kentern drohte. Auch dort waren hunderte Menschen an Bord.

An Worten des Mitgefühls mangelte es daher beim Treffen in Luxemburg nicht, auch nicht an Aufrufen zum Handeln. Italien etwa will den Schlepperbanden und dem Menschenhandel den Kampf ansagen und der EU eine Strategie dazu unterbreiten. Österreich warb einmal mehr für eine Initiative zur Errichtung von Asylzentren in Nordafrika. Diese Idee hatte auch schon Deutschland lanciert. Bei einem Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel sollen die Staats- und Regierungschefs der Union darüber diskutieren. Dort soll auch der Zehn-Punkte-Plan zur Flüchtlingskrise besprochen werden, auf den sich die Innen- und Außenminister im Rahmen des Gipfels am Montag verständigt haben.

Doch trotz der Vielfalt an Vorschlägen ist die EU von schnellen Lösungen entfernt. Auf vorsichtige Zustimmung unter den Mitgliedern stieß aber die Forderung von Menschenrechtsorganisationen, sofort groß angelegte Programme zur Rettung aus Seenot zu starten. Unter der Bezeichnung "Mare Nostrum" hatte dies die italienische Regierung ab 2013 versucht. Nach Angaben aus Rom konnte die Marine dabei mehr als 100.000 Menschen vor dem Ertrinken bewahren. Doch die Kosten dafür wurden Italien zu hoch, und Rom drängte darauf, die Aufgabe auf europäische Ebene zu heben. Ende des Vorjahres wurde "Mare Nostrum" daher vom Programm "Triton" abgelöst, das die EU-Grenzschutzagentur Frontex koordiniert. Die Patrouillen umfassen aber ein kleineres Gebiet als bei "Mare Nostrum" und sollen vor allem der Grenzüberwachung dienen.

Geringer ist auch das Budget. Knapp drei Millionen Euro stehen monatlich für "Triton" zur Verfügung, das ist ein Drittel dessen, was in "Mare Nostrum" geflossen ist. Frontex fordert die Mitgliedstaaten daher immer wieder dazu auf, mehr Geld, aber auch Ausrüstung bereitzustellen. Die EU-Kommission schlug nun eine Verdopplung der Mittel vor.

Solidarität mit Grenzen

Dabei wären die Länder beim Thema Einwanderung finanziell nicht völlig allein gelassen. Denn im EU-Fonds für Asyl, Migration und Integration sind für Maßnahmen auf diesen Gebieten bis zum Jahr 2020 rund drei Milliarden Euro vorgesehen. Österreich kann daraus an die 64,5 Millionen Euro in Anspruch nehmen, Deutschland etwa 208 Millionen Euro. Der höchste Betrag - mehr als 370 Millionen Euro - wurde zwar für Großbritannien angesetzt, jedoch ist die Unterstützung für Italien mittlerweile auf 500 Millionen Euro aufgestockt worden.

Doch muss sich die EU vorwerfen lassen, zu wenig zu unternehmen, um solche "humanitäre Katastrophen", wie es der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier bezeichnete, zu vermeiden. Yves Pascouau von der Denkfabrik EPC (European Policy Centre) weist auch auf mangelnde Solidarität hin. "Seit Oktober 2013, als vor der italienischen Insel Lampedusa 366 Menschen gestorben sind, hat fast jeder europäische Politiker erklärt, so etwas dürfe nie wieder geschehen. Aber passiert ist auf EU-Ebene nichts", sagt der Migrationsexperte im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Die Gemeinschaft müsste dabei nicht nur auf kurz-, sondern auch langfristige Lösungen setzen. Sofortmaßnahmen wie Rettungsprogramme für das Mittelmeer seien das eine. Das andere aber hat eine außen- und eine innenpolitische Dimension.

Falls die EU eine aktive Rolle bei der Friedensschaffung und -sicherung spielen möchte, wie sie es etwa bei den Debatten um die Lage in Libyen deklariert, müsse sie ihre gemeinsame Außenpolitik stärken. "Wenn wir zu einem Hauptakteur in der globalen Politik werden wollen, müssen wir jetzt schon mit der Arbeit daran beginnen", meint Pascouau.

Ebenso macht der Experte immer wieder auf das Fehlen einer EU-weiten Einwanderungspolitik aufmerksam. Denn während Migration vor allem unter dem Aspekt der Grenzsicherung und der Abschottung gesehen wird, ist eine ernsthafte Debatte über legale Möglichkeiten der Zuwanderung in der Union vernachlässigt worden. Allzu sehr sind die Mitgliedstaaten daran interessiert, ihre eigenen Regeln in dem Bereich aufstellen zu können. Das ist auch der EU-Kommission bewusst, die im kommenden Monat ihre Vorschläge für Migrationspolitik vorstellen will. Auch dabei wird wohl vor allem von illegalen Einwanderungsversuchen die Rede sein.