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Fremdenhass und vergangene Glorie

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Ukip will drittstärkste Partei nach Wählerstimmen werden - viel wird von Parteichef Nigel Farage abhängen.


Margate. Zwei mächtige Kanonen weisen von Margates Klippen auf die Nordsee hinaus. Ein Schild erklärt, dass hier hoch über dem Hafen einmal eine Festung, Fort Hill, gestanden ist. Ihr Zweck war es, "Eroberer und fremdländische Freibeuter" von den englischen Küsten fernzuhalten. Wo besser als an einer solchen Stelle hätte Nigel Farage Position beziehen können, um seinerseits anrückende Ausländer Mores zu lehren? Genau hier, in dieser Südost-Ecke Englands nämlich, will sich der Führer der Unabhängigkeitspartei Ukip am 7. Mai zum Unterhaus-Abgeordneten wählen lassen - damit er an der Spitze seiner Anti-EU-Bewegung gegen zunehmende "Überfremdung" der Heimat in die Schlacht ziehen kann.

South Thanet heißt der Wahlkreis, der Farage zu einem Sitz im Parlament verhelfen soll. South Thanet reicht von Margates Stadtteil Cliftonville bis nach Broadstairs und Ramsgate, um die Kent-Küste herum. Draußen auf dem Meer sieht man von hier oben die Handelsflotten vieler Länder über die Nordsee ziehen. In der Ferne drehen sich über dem Wasser bedächtig die Windräder der "sanften Riesen", die in jüngsten Jahren - sehr zum Unmut vieler Anwohner - im Nordseesockel verankert worden sind.

Sehnsucht nach alten Zeitenin Margate

An Margate selbst, das früher einmal eins der populärsten Seebäder Englands war, hat allerdings merklich der Zahn der Zeit genagt. Wo einst William Turner sich an seiner Staffelei zu Großem inspirieren ließ, bietet sich dem Besucher heute eine wenig imposante Szenerie. Zwar gibt es hier und da noch Künstlerquartiere und Nischen wohlhabender Bürger. Aber in den meisten Straßen bröckelt von den Mauern der Putz. Vielerorts sind Fenster und Türen zugenagelt worden. Geschäfte, Pensionen und Amusement-Arkaden stehen seit Jahren leer.

Vom Kollaps des Tourismus in den 70er Jahren, von den Billigflügen für Briten in den warmen Süden Europas, hat sich Margate nie wieder erholt. Selbst der viktorianische Lustbau der Stadt, der Strandpalast des Wintergartens, ist nur noch ein Schatten seiner stolzen Geschichte. Die erst 2011 errichtete elegante Filiale der Tate-Galerie für zeitgenössische Kunst nimmt sich schon ein bisschen vergilbt aus, nach nur vier Jahren - als hätte sie sich von der örtlichen Melancholie anstecken lassen.

Was in Margate fraglos blüht und gedeiht, ist die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten. An historischem Erbe fehlt es nirgendwo. Ein Antiquariat reiht sich ans andere. In den Fenstern des legendären "Mad-Hatter-Garten-Cafés" sind Bilder einer jungen Queen und lachender Kinder am Strand im Jahr 1955 ausgestellt.

Nicht "nach BrüsselsPfeife tanzen"

"Happy Days in Margate" steht wehmütig auf dem Foto. Auch in dieser Hinsicht passt Nigel Farage in die hiesige Szene. Nostalgie ist immer eine starke Triebfeder für seine Partei gewesen. Ukip will in die Zeit zurück, in der Britannien noch wirklich groß war, eigenständige Handelsbeziehungen mit dem Rest der Welt unterhielt und nicht "nach Brüssels Pfeife tanzen" musste. "Die Hoheit über unsere eigene Grenzen" will Farage seinen Landsleuten wieder verschaffen - vor allem zwecks schärferer Immigrations-Kontrolle.

Nicht dass die Grafschaft Kent viele Immigranten hätte. Andererseits liegt die Arbeitslosigkeit hoch, in Margate und in Ramsgate. Und Besserung ist nicht abzusehen.

In den halb vergessenen kleinen Küstenorten Südenglands, ebenso wie in vielen ums Überleben ringenden Industriegebieten des englischen Nordens, fällt die Ukip-Botschaft jedenfalls auf fruchtbaren Boden. "Die großen Parteien haben das alles nicht im Griff", meint ein älteres Paar in einer kleinen Teestube an der Seafront. "Die begreifen nicht, wie schlimm es um uns steht, in dieser weltabgeschiedenen Gegend."

Ein junger Mann vom Nebentisch beugt sich herüber und stimmt dem zu: "Die in Westminster haben keine Ahnung. Farage sagt wenigstens, was viele Leute hier denken." Auch seine Frau, ein Kind auf dem Schoss, sieht Margate "auf dem Abstellgleis". Allerdings, fügt sie hinzu, sei sie "nicht hundertprozentig sicher", ob sie Ukip wählen werde: "Ein paar verrückte Ansichten haben die ja schon auch."

Die "Mad Hatters" - die leicht Übergeschnappten - bei Ukip ebenso wie eingefleischte Rassisten und Homophobe schlagen in der Tat gegen die Farage-Partei zu Buche. Farage hat sie über die Jahre mühsam "auszujäten" versucht. Aber in Margate zum Beispiel führt mit Martyn Heale jemand die örtlichen Ukip-Geschäfte, der vorher der rechtsradikalen National Front angehört hat.

Und Rozanne Duncan, Ukip-Stadträtin aus Cliftonville, hat kürzlich in einem BBC-Bericht in aller Unschuld zu Protokoll gegeben, sie könne sich leider nicht "an Neger" gewöhnen. Ein anderer südenglischer Ukip-Stadtrat, David Silvester, sah in Stürmen und Überschwemmungen des Vorjahrs eine göttliche Strafe für die Einführung der Homo-Ehe in Großbritannien.

Ukip hält hartnäckig bei13 bis 14 Prozent

Trotz all dieser kuriosen Kandidaten hat sich der Stimmanteil Ukips in landesweiten Umfragen seit Jahresanfang hartnäckig bei 13 bis 14 Prozent gehalten. Das ist zwar nur die Hälfte dessen, was die Partei bei den Europawahlen im letzten Mai einfuhr - und würde Ukip wegen des britischen Mehrheitswahlrechts bei den Unterhauswahlen am 7. Mai bloß drei bis vier Sitze einbringen.

Es ist jedoch eine Prozentzahl, die den Konservativen einen Gutteil "ihrer" Stimmen am rechten Rand des Parteispektrums abspenstig machen und so die Wahlchancen der Tories verringern würde. Mit einiger Nervosität verfolgt man darum in London, was jetzt in South Thanet vor sich geht. Und ob es Nigel Farage gelingt, ins Parlament einzuziehen.

Garantiert ist das nicht. Farage findet es sichtlich schwer, sich wie früher als Rebell gegen Westminster zu gebärden und zugleich als respektabler Politiker aufzutreten. Mit Pint-Glas und Glimmstängel lässt er sich jetzt nicht mehr so oft wie früher filmen - auch wenn er vorige Woche zum großen Bierfestival in Margate erschien, um artig vom örtlichen Ale zu kosten.

Bei einer Niederlage will Farage nicht mehr Chef sein

Dass der gerade erst Fünfzigjährige blass und etwas müde aussieht dieser Tage, hat zu immer neuen Fragen nach seiner Gesundheit geführt. Farage selbst hat das als "Quatsch" bezeichnen. Er räumt aber ein, "dass ich nun seit drei Jahren praktisch pausenlos Wahlkampf geführt habe".

Wiewohl er vielerorts auf Zustimmung stößt zwischen Cliftonville und Ramsgate, hat er nicht gerade Begeisterungsstürme ausgelöst auf den Straßen. Vielleicht hat er es sich leichter vorgestellt, in South Thanet. Kaum sieht man einmal irgendwo ein Ukip-Plakat in einem Fenster hängen oder jemand an einer Haustür für Ukip werben.

Für den Fall, dass er es nicht schafft, den Wahlkreis zu holen, hat Farage vorab schon seinen Rücktritt als Parteichef angekündigt. Damit wäre Ukip sein populärstes Aushängeschild, seinen größten Publikums-Magneten los - und fände sich, ohne viel Einfluss im Unterhaus, am 8. Mai in einer ernsten Krise.

In der Tat fragen sich schon viele Briten, ob die britischen Rechtspopulisten ihren Zenit bereits überschritten haben. Davon will Nigel Farage aber nichts hören. "Die Ukip-Kampagne ist voll im Schwung", versichert er immer wieder. Wer anders als Farage sollte Englands Küsten vor "Eroberern und fremdländischen Freibeutern" bewahren?