Budapest. Wenn Viktor Orbán seine jüngste Idee wahr macht, könnte Ungarn eines Tages nicht nur aus der EU, sondern sogar aus dem Europarat hinausgeworfen werden. Nicht alle 47 Mitgliedsländer des Europarats sind Demokratien, aber alle haben die Todesstrafe abgeschafft oder wenden sie zumindest als Bedingung für ihren Beitritt nicht mehr an, weil dies die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet. Die Tötung als Justizakt widerspricht dem europäischen Grundkonsens, ungeachtet anderer Differenzen. Außenseiter ist hierbei nur noch Weißrussland.
Jetzt aber hat der rechtsnationale Orbán diese populistische Idee aufgewärmt, zumal er mit dem größten Popularitätsverlust seit seinem Amtsantritt zu kämpfen hat. Anlässlich eines Mordfalls im südwestungarischen Kaposvár, bei dem eine 21-jährige Verkäuferin getötet wurde, sagte der Ministerpräsident, man müsse "die Todesstrafe auf der Tagesordnung behalten", denn es habe sich gezeigt, dass die von seiner Regierung durchgesetzte Verschärfung des Strafrechts ungenügend sei.
Orbán ist wegen des Vormarschs der rechtsradikalen Partei Jobbik auf Stimmenfang. "Herr Orbán versucht, mit seiner ausländerfeindlichen Initiative und seiner Plauderei über die Todesstrafe als der wirkliche und zugleich mächtigste Rechtsradikale zu erscheinen", sagte der linke Philosoph und gute Orbán-Kenner Gaspar Miklós Tamás der "Wiener Zeitung". Allerdings hat auch Ungarns sozialistischer Ministerpräsident Gyula Horn im Jahr 1996 nach einer Serie von Bombenattentaten in Budapest mit der Todesstrafe geliebäugelt - doch wurde dies dank des damaligen liberalen Innenministers Gábor Kuncze schnell von der Tagesordnung gestrichen.
Strafrecht Ungarns eines der strengsten in Europa
Ein Blick auf die Zahlen lässt jedoch vermuten, dass Orbáns Schreckensszenario über die Kriminalität in Ungarn so nicht stimmt. Die Zahl der Gewaltverbrechen war vor 1990, als das Land die Todesstrafe abgeschafft hat, höher als danach. "Ungarns Polizei ist eine der besten der Welt", sagte Gábor Ligeti der "Wiener Zeitung". Als Jurist von Transparency International ist Ligeti sonst kein Bewunderer ungarischer Behörden. 90 Prozent der Gewaltverbrecher würden gestellt - das sei eine sehr hohe Quote. Dass die Todesstrafe Verbrecher nicht abschreckt, zeigt auch das Beispiel USA.