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Von wegen Honeymoon: Missstimmung zwischen London und Brüssel von Anfang an

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Während der alte und neue britische Premier David Cameron sich von seiner Partei feiern lässt, droht Europa Ungemach: Die Euroskeptiker rüsten sich für ein Austrittsreferendum.


London. Am Montag schien noch immer die Sonne für David Cameron. Der siegreiche britische Tory-Premierminister genoss seinen kurzen Honeymoon. Nachdem die Wahlen seiner Partei 331 Abgeordnete bescherten, hatte Cameron Schwierigkeiten, den Versammlungsraum des Unterhauses zu betreten, in dem sich die neue Fraktion zu seiner Begrüßung zusammengefunden hatte. "Ich komm’ da nicht rein", lachte er nur.

Als er es zu guter Letzt doch schaffte, wurde dem Premier rauschender Beifall zuteil. "Orgiastisch" sei die Stimmung gewesen, beschrieb es der neue Abgeordnete für Uxbridge, Londons Bürgermeister Boris Johnson. Kein Wunder: Erstmals seit den neunziger Jahren verfügen die Tories wieder über eine absolute Mehrheit im Unterhaus. Sie kamen bei den Wahlen auf 331 von 650 Sitzen. Cameron braucht nun nicht mehr, wie in den letzten fünf Jahren, Rücksicht auf einen Koalitionspartner zu nehmen.

Um den Anfangsschwung voll zu nutzen, wartete der Regierungschef gleich am Montag mit einer gründlichen Regierungsumbildung auf. Die Top-Jobs hatte er zwar, wie am Wochenende schon bekannt, den "alten Kämpen" überlassen. Theresa May behält das Innen-Ressort, und Philip Hammond bleibt Außen- und Michael Fallon Verteidigungsminister. George Osborne, der engste Vertraute Camerons, ist weiter Schatzkanzler im Königreich. Außerdem wurde ihm der Ehrentitel "Erster Minister" verliehen. Er ist nun im Kabinett die klare Nummer zwei, nach Cameron.

Auf den übrigen Posten aber tauchten neue und zum Teil jüngere Gesichter auf. Mehr Frauen waren ebenfalls vertreten als früher, wie etwa die neue Energie- und Klima-Ministerin Amber Rudd oder Arbeitsministerin Priti Patel. Patel, Tochter eines pakistanischen Ladeninhabers, stammt aus dem kleinen Reservoir der "ethnischen Minderheiten" im Tory-Lager - genau wie Camerons neuer Wirtschaftsminister, der Ex-Banker Sajid Jahiv.

Londons Bürgermeister als "Joker" im Kabinett Camerons

Besonderes Interesse galt natürlich dem Erscheinen des Londoner Bürgermeister Boris Johnson an der Tür von No. 10 Downing Street. Er kam mit dem Fahrrad - Helm und Rucksack durften nicht fehlen. Der blonde Wuschelkopf und Cameron-Rivale hatte gehofft, bei einem schlechten Abschneiden der Tories neuer Parteichef zu werden. Nun, da Cameron unantastbar ist, muss "Boris" abwarten und Tee trinken. Immerhin erhielt er einen Platz im "erweiterten Kabinett", sodass er künftig mit dabei sein kann in der Downing Street, aber auch Zeit hat, weiter sein Bürgermeisteramt in der City Hall zu versehen.

Bei aller Freude über das neue Erstarken der Partei und über ein Kabinett im neuen Gewande, kündigten sich allerdings schon am Montag auch die alten Konflikte wieder an. Vor allem an Europa scheiden sich, wie bisher, die konservativen Geister. Zwar versichern auch die "Euroskeptiker" der Fraktion, sie wollten Cameron, Osborne und Hammond nun erst einmal in Ruhe zu Verhandlungen "nach Europa" reisen lassen. Doch dass sich daraus etwas ergeben würde, was einen Austritt Großbritanniens aus der EU verhindern würde: Das glauben die wenigsten von ihnen.

"Ich glaube nicht, dass es ihm gelingen wird, das zu bekommen, was die britische Bevölkerung möchte", meinte bereits einer der prominentesten Sprecher der EU-Gegner, der Abgeordnete Peter Bone. Ein Kollege Bones, der frühere Europa-Staatssekretär David Davis, erklärte, nur ein generell Opt-out für sein Land - das Recht Großbritanniens, sich aus jeder EU-Entscheidung auszuklinken - würde ihn und Gleichgesinnte letztlich zu einem Ja zur EU bewegen. Im Übrigen hält Davis ein Austritts-Referendum schon im kommenden Jahr für möglich.

Dass es aber bereits vor der Aufnahme Londoner Verhandlungen mit den EU-Partnern wieder Spannungen mit Brüssel gibt, ist ebenfalls am Montag deutlich geworden. London weigert sich, der Vereinbarung fester Quoten zur Aufnahme von Mittelmeer-Flüchtlingen zuzustimmen.

Unterdessen pflanzten 56 Abgeordnete der Schottischen Nationalpartei SNP am Montagnachmittag stolz den Saltire, die schottische Fahne, auf vor den Unterhaustoren. Nicola Sturgeons "keltische Horden" - wie sie im Wahlkampf verschiedentlich genannt wurden - marschierten gemeinsam und frisch und fröhlich in Westminster auf. Jetzt endlich, erklärte Parteichefin Sturgeon, werde man in London "der Stimme der Schotten lauschen müssen". Und solange die Labour Party damit beschäftigt sei, ihre Wunden zu lecken, "wird die SNP die Hauptopposition gegen die Konservativen abgeben". Bei Labour wuchs über diesem Kommentar die kollektive Verzweiflung nur noch. Am Mittwoch will die Partei entscheiden, wann sie sich eine neue Führung geben will.