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Ein Liebhaber großer Pferde

Von Ronald Schönhuber

Politik

Mazedoniens Premier Nikola Gruevski galt einst als Mann des Aufbruchs. Heute lässt er monumentale Standbilder errichten, um nationalistische Gefühle zu bedienen. Seine Kritiker halten ihn für skrupellos.


Skopje. Die Bilder erinnern auf den ersten Blick an ein Fußballspiel: überall das Rot und Gelb der Landesfarben. Junge Menschen, die eingehüllt in die Nationalflagge und mit triumphierender Geste die Hände in die Höhe strecken. Doch wer genauer hinsieht, dem fallen sofort die unzähligen kleinen Kartonschilder auf, die die Menschen am Sonntag zur Großdemonstration in der mazedonischen Hauptstadt Skopje mitgebracht haben. "Ostavka!" steht darauf in einheitlichem Design geschrieben: "Zurücktreten!"

Mangelnde Klarheit und Defizite beim Kampagnen-Management dürften also nicht dafür verantwortlich sein, wenn die Opposition unter Führung der sozialdemokratischen SDSM mit ihrem Anliegen scheitert. Viel eher dürfte es daran liegen, dass der Adressat der Botschaft vieles will, aber auf keinen Fall einen Rücktritt. "Ein Rücktritt wäre ein Akt der Feigheit", hatte Premierminister Nikola Gruevski noch am Samstag in einem Interview mit einem regierungsfreundlichen Nachrichtensender erklärt.

Dabei hatte es zu Beginn von Gruveskis Karriere einmal ganz anders ausgesehen. Im Jahr 1999 wurde er mit 29 Jahren Finanzminister und leitete einen umfassenden Reformprozess ein, der Mazedonien zu einer modernen Marktwirtschaft machen sollte. Europa war damals angetan von der Tatkraft des jungen konservativen Politikers, als eines der ersten Länder der Westbalkanregion schloss Mazedonien im Jahr 2001 ein Assoziierungsabkommen mit der EU ab. 2005 wurde das Land offiziell Beitrittskandidat. Auch als Gruevski 2006 zum ersten Mal Premierminister wurde, galt der heute 44-jährige Ökonom noch als Mann des Neubeginns und der Zukunft. Mit Gruevski an der Spitze, so schien es, waren die Beitritte zur EU und zur Nato nur noch eine Frage der Zeit.

Verräterische Mitschnitte

Doch die EU-Ambitionen des zwei Millionen Einwohner zählenden Landes wurden rasch und auch nachhaltig gedämpft. Seit Jahren schon blockiert die Regierung in Athen wegen eines Namensstreits die weitere EU-Annäherung Mazedoniens. Griechenland, das über eine gleichnamige Provinz verfügt, will sein Veto erst aufgeben, wenn Mazedonien seinen Staatsnamen ändert.

Seither setzt auch Gruevski weniger auf Aufbruch als auf nationale Motive. So sind in der Hauptstadt Skopje in den vergangenen zwei Jahren fast 20 überdimensionale Reiterstandbilder entstanden, mit denen Gruevski der slawischen Bevölkerungsmehrheit bei der schwierigen Suche nach Identität und historischer Bedeutung weiterhelfen will. Dass viele der steinernen und bronzenen Reiter einen völlig ahistorischen Kontext aufweisen, stört den Premierminister dabei ebenso wenig wie die sich dadurch marginalisiert fühlende albanische Minderheit oder die enormen Kosten, die sich mit einigen Nebenprojekten auf 500 Millionen Euro summieren.

Doch Pferde sind heute gar nicht mehr das größte Problem des Premierministers. Die seit einem Jahr das Parlament boykottierende Opposition wirft Gruevski vor, zunehmend autoritär zu regieren, Justiz und Medien sollen massiv unter Druck gesetzt worden sein. Nahrung haben diese Vorwürfe vor allem durch die Tonbandmitschnitte erhalten, die SDSM-Chef Zoran Zaev seit gut drei Monaten veröffentlicht. Gruevski und sein engstes Umfeld präsentieren sich dabei als eine vor allem auf den eigenen Vorteil bedachte Clique, die tief in ein Geflecht aus Korruption, Kriminalität und Machtmissbrauch verstrickt ist. So geht es in einem Gespräch darum, wie man das Siegel an einer Wahlurne am unauffälligsten bricht, in einem anderen, wie man einen inhaftierten politischen Gegner am effektivsten gängelt. Auch über eine mit Steuergeld gekaufte Luxuslimousine, die Einschüchterung von Justizbeamten und die Vertuschung tödlicher Polizeigewalt wird freimütig am Telefon geplaudert.

Gruevski, mit dessen Wissen offenbar ein Großteil der öffentlichen Kommunikation abgehört wurde, bestreitet dabei nicht, dass seine Stimme auf den Bändern zu hören ist. Allerdings sieht sich der Premierminister als Opfer einer gezielten Fälschung. Für ihn sind die Mitschnitte, die Zaev von "patriotischen Mazedoniern" in den Geheimdiensten zugespielt bekommen haben will, von der vom Ausland gesteuerten Opposition manipuliert worden.

Geopolitisches Kräftemessen

Dass Gruveski dabei mit dem Finger relativ unverhohlen auf die USA zeigt, liegt nahe. Denn Mazedonien ist derzeit auch Schauplatz eines geopolitischen Kräftemessens, in dem sich Gruevski von der russischen Seite deutlich mehr Rückhalt für seinen autoritären Kurs verspricht. Dass für Moskau ein russlandfreundlicher Premier in Mazedonien wichtig ist, hat vor allem mit einer Pipeline zu tun. Nachdem Bulgarien das "South Stream"-Projekt beerdigt hat, will Russland nun über "Turkish Stream" Gas nach Europa bringen. Der einzig sinnvolle und politisch gangbare Weg führt dabei aber durch Mazedonien.

In jedem Fall hat Gruveski aber schon vorgesorgt, dass ihn der Zorn der Straße nicht so einfach aus dem Amt spülen kann. Seit der Demonstration am Sonntag mit zehntausenden Teilnehmern bewacht ein massives Polizeiaufgebot rund um die Uhr den Sitz des Premierministers. Gleichzeitig versucht Gruveski angesichts der sich stetig verschärfenden Staatskrise Stärke zu zeigen. An der von der Regierungspartei VMRO-DPMNE organisierten Gegendemonstration nahmen am Montagabend ebenfalls zehntausende Menschen teil.