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Ukraine vor Staatsbankrott

Von Reinhard Göweil und Veronika Eschbacher

Politik

Die Wirtschaft des Landes bricht zusammen. Nun werden private Gläubiger zur Kasse gebeten. Auch Russland soll sich beteiligen, Österreich ist wenig betroffen.


Kiew/Wien. Auch wenn alle Welt nach Griechenland blickt - der nächste Staat, der pleitegehen wird, ist die Ukraine. Die seit Dezember 2014 amtierende, resolute Finanzministerin Natalija Jaresko hat kürzlich unmissverständlich eine Umschuldung angekündigt, das ukrainische Parlament hat ihr mit einem Gesetz dazu den Weg freigemacht. Es geht um Staatsschulden in Höhe von umgerechnet 75 Milliarden Euro, die mittels Schuldenschnitt um 55 bis 60 Prozent gekappt werden sollen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) unterstützt diesen Plan. "Es geht um die Schuldentragfähigkeit des Landes", ist aus der Nationalbank zu hören. Österreich ist zwar ein großer Investor in der Ukraine, wäre vom Schuldenschnitt aber nur gering betroffen. Heimische Banken haben ihre ukrainischen Papiere entweder bereits abgeschrieben oder verkauft.

Die Situation verschärft sich zusehends. Der unerklärte Krieg mit Russland im Osten der Ukraine ließ die ukrainische Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2015 um fast 18 Prozent einbrechen. Nun hat der IWF das Ruder in der ukrainischen Zentralbank übernommen und fordert vehement eine Umschuldung und Reformen ein.

Größter Gläubiger mit geschätzten 7 Milliarden Dollar ist der US-Fonds Franklin Templeton. Dieser wehrt sich gegen einen Schuldenschnitt und hat im Gegenzug angeboten, Rückzahlungsfristen zu strecken. "Das hilft dem Land nicht, damit werden Probleme nur in die Zukunft verschoben. Die Ukraine kann diese Schulden nicht mehr stemmen", sagt ein heimischer Banker zur "Wiener Zeitung".

Russland sollmiteinbezogen werden

Die Zeit drängt jedenfalls, Anfang Juni muss das Rettungspaket stehen. Denn die Ukraine ist bereits in einem Rettungsprogramm des IWF, am 15. Juni soll die nächste Tranche ausbezahlt werden. Ohne Beteiligung der Gläubiger gilt dies als unsicher.

Und zu diesen Gläubigern zählt auch Russland, das der Ukraine 3 Milliarden US-Dollar Kredit gewährt hatte. Der Internationale Währungsfonds will Russland bei den laufenden Verhandlungen unbedingt miteinbeziehen. Aus naheliegenden Gründen: Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat erst jüngst zwei russische Offiziere der Öffentlichkeit präsentiert, die in der Ostukraine verletzt und gefangen genommen wurden. "Russland führt Krieg gegen uns", sagte er. Tatsächlich ist die vereinbarte Waffenruhe im Osten brüchig, rund um die Hafenstadt Mariupol und den Flughafen Donezk kommt es immer wieder zu Gefechten.

Zuletzt allerdings schien etwas Bewegung in die festgefahrene Diplomatie gekommen zu sein. Sowohl US-Außenminister John Kerry als auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel trafen Präsident Wladimir Putin in Russland. Eine Lösung der ukrainischen Probleme ohne Mitwirkung Russlands sei nicht denkbar, glauben Banker. Diese Meinung scheint sich nun auch in Brüssel und Washington durchzusetzen.

Putin hat bisher jede Teilnahme an einem ukrainischen Schuldenschnitt abgelehnt, sich aktuell aber nicht mehr dazu geäußert. Eine ökonomische Gesundung des bankrotten Staates ist aber nur möglich, wenn es eine dauerhafte Einigung mit Moskau gibt. Denn die Ukraine bezieht viel Erdgas aus Russland. Wenn Putin die Lieferungen einstellen lässt, werden die wirtschaftlichen Probleme der Ukraine unlösbar.

Das nun verabschiedete Gesetz in Kiew gibt der Ukraine die Möglichkeit, Zahlungen an Russland einzustellen. "Gewissenlose Gläubiger" wird dies in Kiew genannt. Allerdings steigt auch der Druck auf die Regierung in Kiew, die harte Position gegenüber Russland etwas aufzuweichen. Denn immer mehr der 45 Millionen Ukrainer leiden unter Arbeitslosigkeit und Armut. Der Wert der hergestellten Waren und Dienstleistungen in der Ukraine ist seit Beginn des militärischen Konflikts von 180 auf geschätzte 76 Milliarden Dollar gefallen.

Gleichzeit brach die Landeswährung Griwen seit Jahresbeginn 2014 um 64 Prozent ein. Diese Gemengelage sorgt nun für das Bankrott-Szenario, auch wenn sich ausländische Gläubiger noch dagegen wehren. Etwa die Hälfte der ukrainischen Staatsschuld liegt im Inland, es dürften wohl auch ukrainische Banken durch den Schuldenschnitt in Probleme geraten.

Einschnitte treffen Bevölkerung hart

Noch tiefer ist allerdings das Tal, durch das die ukrainische Bevölkerung zu gehen hat. So werden nun Zug um Zug die beträchtlichen Subventionen des Gaspreises abgeschafft, ein Teil trat am 1. April in Kraft. Die Subventionen machen - wegen des enormen Rückgangs - bereits drei bis vier Prozent der Wirtschaftsleistung aus und sind nicht länger finanzierbar.

Vor allem Pensionisten und Geringverdienern setzt die Erhöhung der Kommunaltarife massiv zu. Beträgt die Mindestpension heute 1330 Griwen (56 Euro), so geben die meisten Pensionisten an, seit der ersten Erhöhung im April nun 900 Griwen für Gas, Wasser und Strom berappen zu müssen. Armenausspeisungen im Land haben immer mehr Zulauf.

Zudem häufen sich Berichte von Angestellten, dass ihre Arbeitgeber mit den Lohnzahlungen über mehrere Monate im Verzug sind. Viele Firmen haben die Arbeitszeiten verkürzt, oft auf Drei-Tage-Wochen. Immer mehr Ukrainer können sich die Mieten nicht mehr leisten und ziehen in kleinere Wohnungen um. Die Mietpreise sind aber aufgrund der zahlreichen Binnenflüchtlinge aus dem Osten des Landes kaum gefallen. Da viele Ukrainer nicht wissen, wann sie das nächste Mal ein Einkommen haben werden, versuchen sie nun, sich von kleineren Habseligkeiten wie Digitalkameras oder Tablets zu trennen, um zu überleben.

Finanzexperten erwarten nun, dass es auch wegen der privaten Verschuldung der ukrainischen Wirtschaft, die höher liegt als die Staatsschuld, zu Umschuldungsverhandlungen kommen wird. Dafür bietet sich der "Londoner Club" an, in dem sich private Gläubiger und Schuldner treffen, um ein solches Moratorium zu vereinbaren. Dafür drängt die Zeit aber nicht so wie beim IWF-Programm.