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Sklaverei im Haushalt

Von Bernd Vasari

Politik

Studienautor der ersten europaweiten Erhebung zum "No-Name-Problem" der Arbeitsausbeutung.


Wien. Sie pflücken Obst und Gemüse, das auf unseren Tellern landet, sie bauen die Häuser, in denen wir wohnen, sie pflegen unsere Alten und putzen unsere Wohnungen. Bezahlt wird ihnen meist nur ein Hungerlohn, oft auch gar nichts. Weder in der Politik noch in der Bevölkerung gibt es ein großes Bewusstsein für die Ausbeutung dieser Arbeiter. Nun gibt es eine europaweite Studie, die als erste ihrer Art umfassend alle kriminellen Formen der Ausbeutung untersucht und beleuchtet. Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) wird sie am Dienstag dem Europäischen Rat in Brüssel vorstellen. Die "Wiener Zeitung" hat exklusiv den Hauptautor Albin Dearing zum Gespräch getroffen.

"Wiener Zeitung": Herr Dearing, welche Bereiche sind von Ausbeutung betroffen?Albin Dearing: Betroffen sind die Bereiche Landwirtschaft und Baustellen, aber auch private Haushalte, die Babysitter, Putzkräfte oder Pflegepersonal beschäftigen, sowie textil- und fleischverarbeitende Industrie. Auch wenn die Ausbeutung an verschiedenen Orten und in verschiedenen Wirtschaftszweigen vorhanden ist, so haben diese Arbeiter vieles gemeinsam: sehr geringe Löhne - ein Euro pro Stunde oder weniger - und Arbeitszeiten von 12 Stunden oder mehr an 6 oder gar 7 Tage in der Woche.

Wer ist von Ausbeutung betroffen?

Am Arbeitsmarkt in Europa gibt es stark unterschiedliche Lohnniveaus. Die Arbeiter wandern zumeist von Ost nach West auf der Suche nach einem besseren Leben. Wir sehen, dass etwa rumänische Arbeiter in Ungarn die Kartoffelernte besorgen, während ungarische Arbeiter im Burgenland die Gurkenernte erledigen. Es gibt eine Stufung innerhalb der EU. Es gibt bulgarische Arbeiter, die in Polen ausgebeutet werden, während polnische Arbeiter in Irland, Niederlande und UK ausgebeutet werden.

Wer sind die Täter?

Gierige Unternehmer, aber auch Privatpersonen, die Personen im Haushalt einstellen. Das ist ein Bereich, in dem es immer wieder besonders schwere Formen von Arbeitsausbeutung gibt. Zum Teil sogar sklavereiähnliche Zustände. Die Leute haben nicht das Gefühl, wenn sie ihrer Putzfrau stündlich sechs oder acht Euro zahlen, dass sie damit eigentlich schon Arbeitnehmerrechte untergraben. Die Täter haben nur ein geringes Risiko, strafrechtlich verfolgt zu werden oder ihre Opfer entschädigen zu müssen.

Warum landen die Täter nur selten vor Gericht?

Ein wesentlicher Faktor sind fehlende Anzeigen der Betroffenen. Sie werden entweder an einer Anzeige gehindert oder wollen keine Anzeige erstatten, weil sie Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren. Auch wenn sie diese dort unter prekären Umständen verrichten müssen. Zudem sehen sich die Opfer nicht als Opfer.

Was meinen Sie damit?

Die Ausgebeuteten sehen sich als partiell erfolgreich. Immerhin haben sie es geschafft, in einem reicheren EU-Land ansässig zu werden. Und sie verdienen - wenn auch nicht viel -, dann doch ein bisschen Geld. Für sie ist das ein erster Schritt, der Beginn einer langen Karriere. Davon sind sie fest überzeugt.

Warum sollten die Arbeiter aussagen wollen? So ein Strafverfahren dauert üblicherweise sehr lange und die Arbeiter sind ihren Job los.

Die Arbeiter sind aus ökonomischen Gründen da. Ihre Ängste sind daher aus ökonomischer Natur. Sie haben Angst davor, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und davor, dass sie nicht in der Lage sind, Geld nach Hause zu schicken. Das Geld, das ihnen geschuldet wird, möchten sie daher gezahlt bekommen. Das könnte man dadurch beschleunigen, dass man zum Beispiel dem Arbeitgeber anbietet, von einem Strafverfahren verschont zu bleiben, wenn er sich auf einen außergerichtlichen Tatausgleich einlässt.

Auf Baustellen gibt es oft den Fall, dass die Arbeiter von Scheinfirmen angeworben wurden. Der Arbeiter weiß daher gar nicht, für wen er arbeitet. Wie soll dieses Problem gelöst werden?

Es wäre wichtig, dass die Arbeiter Informationen in ihrer Sprache erhalten. Derzeit wird den Arbeitern systematisch erschwert ihre Situation zu durchschauen. Sie bekommen keine Verträge in ihrer Sprache. Es sollte aber unbedingt jeder Arbeitnehmer ein Recht auf einen Vertrag haben, der in einer für ihn verständlichen Sprache formuliert ist. Weiters haben wir häufig die Situation von Barzahlungen. Danach kann nicht mehr nachvollzogen werden, wie viel tatsächlich gezahlt wurde. Die Arbeiter sollten daher auch ein Konto haben, auf das ihr Gehalt gezahlt wird.

Wie beurteilen Sie die Situation in Österreich?

Österreich gehört zu den ersten Ländern, die einen Straftatbestand gegen Arbeitsausbeutung von Ausländern hatten. Das war im Jahr 2000. In Österreich ist es also nicht ein Problem der Strafgesetzgebung. Nur die Polizei ist dafür nicht zuständig, sondern die Finanzpolizei. Und die ist nicht geschult und nicht erfunden worden, um Polizeiarbeit zu betreiben. Das heißt: Bis man Beweismaterial hat, das die Hauptverhandlung eines Prozesses durchsteht, braucht es die Polizei.

Es gibt also ein Gesetz, aber keine wirkungsvollen Kontrollen?

In Österreich gibt es viele Zuständige. Für die Steuern ist die Finanzpolizei zuständig, für die Gewerbeaufsicht die Gewerbepolizei, für die Arbeitnehmerrechte - wenn es um Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz geht - ist die Arbeitsinspektion zuständig. Wenn es aber um die Frage der vertraglichen Arbeitnehmerrechte geht, also ob der Arbeitnehmer einen geschriebenen Vertrag hat, vielleicht auch in einer Sprache, die er versteht - dann ist niemand zuständig.

Inwieweit wissen die Behörden von der Ausbeutung?

Wenn man mit der Finanzpolizei spricht, dann kennen die erstaunlich viele Fälle. Sie haben auch Bildmaterial, das anschaulich zeigt, unter welchen horrenden Bedingungen Arbeitnehmer wohnen. Aber sie fangen mit dem Bildmaterial nicht wirklich etwas an. Weil sie es nicht weitergeben, nämlich weder an die Staatsanwaltschaft, noch an die Polizei, noch an die Arbeitsinspektion.

Die Arbeitsinspektoren müssten doch auch Einblick haben?

Ja, nur sie geben belastendes Material ebenso wenig weiter. Mir haben Arbeitsinspektoren gesagt, dass sie Angst haben, es weiterzugeben, weil sie nicht ganz klar wissen, was dann rauskommt. Vielleicht gibt es dann eine vorschnelle Beschuldigung und der Arbeitgeber hält sich dann schadensersatzrechtlich an diejenigen, die das Ganze ausgelöst haben. Es gibt Ängste, immerhin haben sie es mit wirtschaftlich potenten Gegnern zu tun.

Müsste nicht auch die Regierung eingreifen?

Na klar. Es wäre auch einen politischen Willen notwendig. Man hat sich ein Subproletariat geschaffen, für das niemand zuständig sein will. Aber als Staat muss man sagen: Ausbeutung ist inakzeptabel, selbst wenn sich diese Personen nicht als Opfer sehen. Es kann nicht sein, dass Standards nicht eingehalten werden, weil nicht alle Menschen in der Lage sind, ihre Standards durchzusetzen.

Was wären wirkungsvolle Maßnahmen, die der systematischen Ausbeutung entgegenwirken?

Es braucht ein Bewusstsein - vor allem der Größe - des Problems. Und dann braucht es mehrere willige Institutionen und eine organisierte Kooperation. Das Sozialministerium und das Innenministerium müssten sich zusammensetzen. Es braucht eine gut gezimmerte Kooperation, wo auch jeder versteht, was der andere tut, was der andere kann, was man vom anderen erwarten kann.

Gibt es Vorzeigebeispiele in der EU bei der Bekämpfung der Ausbeutung?

In Italien gibt es inzwischen einen Vorstoß der Polizei, wo sie sich spezifisch auch die arbeitsrechtliche Situation anschauen. Also dort ist die Idee die Polizei viel stärker in eine proaktive Aufsichtstätigkeit zu bringen. In den Niederlanden wird der andere Weg gegangen. Da hat man innerhalb der Arbeitsaufsicht eine besondere Einheit geschaffen, die spezifisch kriminellen Dingen nachgeht. Die Betroffenen sehen sie auch als Beschuldigte an, weil sonst der Unternehmer verpflichtet ist, Auskunft zu erteilen. Die Auskunftspflicht würde bedeuten, dass der Unternehmer bei seiner eigenen Überführung mitwirken müsste. Da gibt es aber dann ein Problem mit der Unschuldsvermutung und dem Recht sich nicht selber belasten zu müssen.

Baustellen oder Firmen zu kontrollieren, ist das eine. Wie sollen Privathaushalte kontrolliert werden?

Ich denke, Kontrolle sollte hier nicht der erste Schritt sein. Zuerst sollten die Leute darauf hingewiesen werden, dass dieser Umgang die Sitten aushöhlt. Es muss ihnen bewusst sein, dass sie Arbeitgeber sind und deswegen arbeitsrechtliche Standards einhalten müssen. Der erste Schritt wäre es stärkere öffentliche Bewusstseinsbildung zu schaffen. Gefordert sind hier vor allem die Medien. Ich glaube nicht, dass es sonst wer glaubhaft machen kann, auch nicht die Politik.

In der Studie ist vom "No-Name-Problem" die Rede.

Wir wissen, was Menschenhandel oder Sklavenarbeit ist. Einen Begriff für dieses Phänomen - dass Menschen ausgebeutet werden und hoffen das nächste Mal wiederkommen zu dürfen - gibt es aber nicht.

Sollten Produkte gekennzeichnet werden, die durch faire Arbeit erzeugt wurden?

Ja, im Supermarkt gibt es mehr Freilandeier als andere. Und dass obwohl sie teurer sind. Das heißt, das Glück der Hühner ist uns wichtig. Es gibt in den Niederlanden eine Marke, die heißt fairwork. Die Experten, die wir für die Studie befragt haben, sehen darin eine Chance. Es muss natürlich glaubhaft sein.

Was müsste realistischerweise als Erstes auf EU-Ebene getan werden, um das Problem in den Griff zu bekommen?

Man müsste das Niveau strafrechtlichen Schutzes vereinheitlichen. In vielen Mitgliedsländern ist Ausbeutung nicht einmal strafrechtlich geschützt. Es gibt auch Absurditäten. In einigen Ländern ist es so, dass nur illegale Angehörige aus Drittstaaten durch Ausbeutung geschützt sind. Das heißt selbst der legal aufhältige Drittstaatsangehörige oder der EU-Bürger ist nicht geschützt. Es müsste einen EU-weiten Standard geben, ab wann strafrechtlicher Schutz notwendig ist. Es müsste aber auch kontrolliert werden.

Albin Dearing: Der Strafrechtsexperte forscht für die EU-Grundrechtsagentur (FRA) in den Bereichen Opferrechte und Kriminalitätsbekämpfung. Er war zuvor unter anderem am Max Planck Institut und im österreichischen Justizministerium tätig.