Zum Hauptinhalt springen

Im Krisenmodus

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Die Debatten um Griechenland, Großbritannien und Flüchtlingspolitik stellen Fragen nach der Belastbarkeit der EU.


Brüssel. Es wäre eine gute Zeit für Untergangsszenarien. Selbst EU-Enthusiasten fällt es derzeit schwer, an die Entwicklungs- und Durchsetzungsfähigkeit der europäischen Gemeinschaft zu glauben. Und so mancher EU-Bürger stellt überhaupt die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Union. Da ist der Schuldenstreit mit Griechenland: Ein Sondertreffen der Finanzminister der Eurozone jagte in den vergangenen Wochen das andere; selbst die Staats- und Regierungschefs mussten zu außerordentlichen Sitzungen nach Brüssel reisen. Von letzter, allerletzter Chance auf eine Einigung war die Rede, von der davon laufenden Zeit, vom drohenden Staatsbankrott eines Mitgliedslandes und einer Zerreißprobe für die Währungsunion.

Mit der Sorge um Griechenland und die Folgen der verzweifelten Rettungsversuche ist es aber nicht getan. Ein weiteres Land droht ebenfalls aus der Gemeinschaft auszuscheiden. Großbritannien, das schon jetzt einige Sonderrechte genießt und Teile des EU-Rechts nicht umsetzen muss, will über einen Verbleib in der Union abstimmen. Griechenland raus, Großbritannien raus - nimmt die Fliehkraft in der EU zu?

Dass die Union gar nicht mehr anziehend wirkt, bestreitet aber beispielsweise Frans Timmermans immer wieder. Als Vizepräsident der EU-Kommission darf er sich zwar gar nicht zu viel Pessimismus erlauben, doch sein Hinweis beruht auf anderen Tatsachen: Die Menschen, die nach Europa gelangen wollen, tun dies in der Hoffnung auf eine neue Perspektive. Der europäische Traum ist für sie mehr als nur ein hohles Schlagwort.

Doch nicht nur einzelne Migranten sehen ihre Zukunft in Europa. Ganze Staaten streben nach einer Mitgliedschaft in der EU. Dass sich diese zögerlich zeigt und in den kommenden Jahren keine weitere Erweiterungsrunde in Aussicht stellt, ändert nichts an den Ambitionen von Serbien, Montenegro oder Albanien. Noch andere wären gern so weit wie diese Bewerber, können aber derzeit nicht einmal mit einem Kandidatenstatus rechnen. Georgien oder die Ukraine gehören dazu. Unter den Unionsbürgern selbst ist die Zustimmung zur Gemeinschaft ebenfalls noch hoch - zumindest in den osteuropäischen Mitgliedstaaten.

Allerdings sind die Europäer derzeit mehr mit der Bewältigung von Krisen beschäftigt als mit Erweiterungsvisionen. Griechenland, Großbritannien, die Flüchtlingsnot im Mittelmeer: Diese Themen überschatten andere. Gebündelt wurden sie beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel, denn gerade sie standen auf der Agenda der zweitägigen Sitzung, die am heutigen Freitag fortgesetzt wird.

Umstrittener Sparkurs

Bei all dem geht es nicht zuletzt um die Überlegung, wie belastbar und flexibel die Gemeinschaft sein kann. In der Debatte um Griechenland - aber auch um Großbritannien - wird der Spielraum ausgelotet, welchen die Mitglieder in dem gemeinsamen Rahmen haben. Im griechischen Schuldenstreit wird etwa ein wirtschaftlicher Kurs hinterfragt, auf den sich die Staaten vor Jahren geeinigt haben. Die Reform- und Sparauflagen haben in vielen Ländern teils zu schmerzhaften Einschnitten geführt. Griechenland hätten sie an den Rand des sozialen Ruins getrieben, sagt die Regierung in Athen. Nicht nur sie: Auch die Sozialdemokraten im EU-Parlament haben bereits wiederholt gefordert, die rigide Sparpolitik zu überdenken.

Jedoch verweisen manche Experten andererseits darauf, dass das Pochen auf Haushaltsdisziplin nicht unbedingt zu einem Desaster für die Staaten führen muss. Daniel Gros, der Leiter der Brüsseler Denkfabrik CEPS (Centre for European Policy Studies), nennt dafür Beispiele: Portugal, Irland, Spanien und Zypern. Das Konzept, das als Ursache für die Probleme Griechenlands gesehen werde, sei in anderen Ländern an der Peripherie aufgegangen, schrieb Gros vor kurzem in einem Positionspapier. In den vier Staaten gebe es schon deutliche Zeichen der wirtschaftlichen Erholung. Allerdings sei diese einer zunehmenden Exporttätigkeit zu verdanken - etwas, woran Griechenland noch intensiv arbeiten müsste. Den Fokus der Diskussion nur auf die Budgetziele zu legen, sei zu wenig.

Lediglich die Haushaltszahlen zu berücksichtigen, lehnt ebenfalls Guntram Wolff, Direktor des Bruegel-Instituts, ab. Institutionelle Reformen sowie vertrauensbildende Maßnahmen hätten auch Bedeutung. Als vielleicht wichtigste Lektion der Turbulenzen bezeichnet der Ökonom in einem Kommentar, "dass eine Wirtschaft nicht wachsen kann, wenn kein Vertrauen in sie gesetzt wird". Dieses wiederum muss auch durch politisches Handeln und Zusammenarbeit der Gesprächspartner gestärkt werden.

Ruf nach Zusammenarbeit

Der Ruf nach mehr Kooperation zieht sich aber nicht nur durch die Debatte um Griechenland und die Eurozone allgemein. Beim EU-Gipfel erklang er ebenfalls in den Beratungen zu anderen Themen. Was beinahe banal erscheint, weil es doch ein Fundament einer Gemeinschaft sein müsste, löst immer wieder Zwistigkeiten aus. Unter der Bezeichnung Solidarität wird mehr Kooperation unter den Mitgliedern bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen gefordert. Das Zusammenspiel mit Großbritannien soll fortgesetzt werden, auch wenn eine Form dafür erst gefunden werden muss. Die Wirtschaftsunion soll gestärkt, die gemeinsame Sicherheitsstrategie erneuert werden. Wie all dies erreicht werden soll, bleibt allerdings noch umstritten.