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Mein Leben als Heuschrecke im Griechenland-Drama

Von Corinna Milborn

Politik
© Peter M. Hoffmann

Griechische Staatsanleihen kaufen? Ein Selbstversuch zwischen Elend und Rendite.


Wien. Irgendwann Ende 2011 beschloss ich, griechische Staatsanleihen zu kaufen. Es war, zugegeben, eine seltsame Idee für jemanden, der nicht ein Hedgefonds- oder Adrenalinjunkie war. Die Eurokrise war in vollem Schwung, die PIGS-Staaten taumelten am Rande des Bankrotts dahin, aus Portugal, Irland und Spanien kamen täglich finanzmarkttechnische Katastrophenmeldungen - und doch reichte auch damals nichts an die griechische Tragödie heran.

© Peter M. Hoffmann

Fast zwei Jahre waren seit dem ersten Rettungspaket im Jahr 2010 vergangen, und in den letzten Monaten des Jahres 2011 wurde Tag für Tag klarer: Griechenland wird seine Gläubiger nicht auszahlen können. 350 Milliarden Euro Schulden standen in den griechischen Büchern. Im März 2012 waren Auszahlungen von 15 Milliarden fällig, die Griechenland bis dahin nicht auftreiben konnte. Ohne neuerliches Rettungspaket drohte der Bankrott. Was den Euro-Staaten großes Kopfzerbrechen bereitete, wurde auf den Finanzmärkten zu einem beliebten Spiel: das Wetten für oder gegen den Bankrott. Aber wie darüber schreiben, wenn man nicht selbst Teil dieses Casinos war? Ich beschloss also, selbst zur Heuschrecke zu werden. Mein Plan: Gemeinsam mit den Hedgefonds wollte ich mich vom europäischen Steuerzahler retten und vom griechischen auszahlen lassen - oder bei einem Schuldenschnitt Haare lassen.

Es stellte sich heraus: Spekulieren ist für die Großen vorgesehen, Kleinanleger werden in diesem Spiel misstrauisch beäugt oder gar nicht zugelassen. Mein Bankberater starrte mich sekundenlang wortlos an, ließ mich zweimal wiederkommen und wies mich dann schlicht zurück. Ich weiß nicht, ob es ehrliche Sorge um meinen Geisteszustand war oder doch nur Angst vor einer Klage wegen Fehlberatung: Jedenfalls weigerte er sich, mir griechische Anleihen zu verkaufen.

In der Bank-Austria-Filiale am Schwedenplatz suchte man mir immerhin Anleihen und ihre Nummern heraus - um sie mir dann auch nicht zu verkaufen: Das könne man nicht verantworten, es sei ein Himmelfahrtskommando, jemandem zu diesem Zeitpunkt seine Griechenlandschulden abzukaufen, und sei es noch so billig. Bei der dritten Bank fragte man mich fassungslos, ob ich keine Zeitung läse. Vom Taxifahrer bis zum Trafikanten - alle wussten: Griechischen Anleihen sind Hochrisiko-Papiere, nur für die millionenschweren Zockerfonds geeignet.

Eine fantastische Rendite

Schließlich hatte ich bei einem angenehm anonymen Online-Broker Erfolg. Im Jänner 2012 kaufte ich griechischen Staatsanleihen im Nominalwert von 1000 Euro (weniger ging nicht) und zahlte dafür den Tageskurs von 411 Euro. Auszahlungstermin sollte der 20. März sein - der Schicksalstag für die griechischen Finanzen. In den Tabellen neben meiner Anlagenummer - ISIN: GR0110021236 - standen erwartete Renditen von über 900 Prozent: Sollte Griechenland seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen, müsste es mir kaum acht Wochen später fast das 2,5-Fache auszahlen - nämlich 1000 Euro. Hochgerechnet auf ein Jahr eine fantastische, fast vierstellige Rendite.

Damit war ich (wenn auch als winziges Rädchen) in den illustren Kreis der Griechenland-Gläubiger aufgestiegen - jener Institutionen und Anleger, für die die Pleite Griechenlands 2010 verhindert wurde. Zur Erinnerung: Griechenland hatte sich - unter tatkräftiger Mithilfe der US-Bank Goldman Sachs - mit Hilfe falscher Zahlen in die Eurozone geschmuggelt und Jahr für Jahr falsche Budgetzahlen abgegeben.

Als mit der Finanzkrise das ganze Ausmaß des Desasters sichtbar wurde, hätte es nur einen logischen Schritt gegeben: eine geordnete Insolvenz mit einem kräftigen Schuldenschnitt. Doch die Gläubiger, die dabei draufgezahlt hätten, waren zum Großteil europäische Banken. Man fürchtete eine Kettenreaktion wie bei der Lehman-Pleite. Also wurde gerettet. Offiziell gingen die Rettungspakete - in Form von Krediten - an Griechenland, unter strengen Sparauflagen. Griechenland aber zahlte sie umgehend an die Gläubiger aus: Banken, Fonds, Versicherungen.

Es waren die Gläubiger, wegen denen die Eurogruppe nächtelange Krisentreffen abhielt, ein Rettungspaket ums nächste verabschiedet wurde und die griechische Bevölkerung das härteste Sparpaket auferlegt bekam, das Europa je gesehen hatte - und ich war nun eine davon.

Um selbst festzustellen, wer meine 1000 Prozent Rendite zahlen werde müssen, fuhr ich Mitte Februar 2012 nach Athen. Was mich dort erwartete, übertraf meine schlimmsten Erwartungen. Athen, bei meinem letzten Besuch eine blühende Stadt, war innerhalb von zwei Krisenjahren auf den Stand eines Entwicklungslandes abgerutscht.

Der erste Eindruck: An der U-Bahn steht eine ältere Frau, gut gekleidet, offensichtlich gerade noch Mittelstand, und bittet um Geld für Essen. Mann: Job verloren. Söhne: Job verloren. Miete: Seit drei Monaten nicht gezahlt. Sie habe noch eine Wohnung, sagt sie, ein Glück, viele seien schon auf der Straße gelandet. In der Innenstadt sind die Geschäfte leer oder geschlossen. Das bestätigt sich bei einer der Suppenküchen, die in der Innenstadt aus dem Boden sprießen. Ein Ingenieur steht dort an - Job weg, Wohnung weg, und nun lebt die Familie von der Pension seiner Schwester.

Auf Leben und Tod

Grafik zum Vergrößern bitte anklicken.

Mein erster Termin mit dem Finanzredakteur der Tageszeitung "Eletherotypia" führt in ein Geisterhaus: Die Zeitung - vergleichbar mit dem österreichischen "Standard" - erscheint seit Wochen nicht mehr, die 800 Angestellten haben seit Monaten kein Gehalt bekommen. Ich wollte mit Moisis Litsis, Spezialist für Finanzmärkte, über die verrückten Anleihenmärkte fachsimpeln. Doch der Vater zweier Kinder hat andere Sorgen - er weiß nicht mehr, wie er im Supermarkt bezahlen soll. Wie lange reichen Ersparnisse eines durchschnittlichen Mittelklasse-Angestellten? Oft nicht mehr als ein paar Monate. Im Konferenzraum der Redaktion werden Lebensmittelspenden gesammelt.

Der wahre Notstand - auf Leben und Tod - findet im Gesundheitssystem statt. Vor dem größten Krankenhaus der Stadt treffe ich eine Gruppe von Ärzten. Sie haben keine Skalpelle, keinen Gips, keinen Mundschutz und viel zu wenig Personal. Wichtige Medikamente werden nicht mehr ausgegeben, Krebspatienten heimgeschickt. Wer eine Chemotherapie braucht, erklärt die Apothekerin gegenüber, muss das Geld in bar haben und Tage im Voraus bestellen - die Pharmafirmen liefern nur mehr nach Vorauszahlung, seit die griechischen Versicherungen Zahlungsschwierigkeiten haben. Die Entwicklungsorganisation "Medecins du Monde" öffnete ihre Praxis für Griechen, so viele waren aus dem Gesundheitssystem gefallen.

Neben der humanitären Krise steht in diesem Winter 2012 die Demokratie selbst auf dem Prüfstand. Auf dem Syntagma-Platz wird demonstriert: Das Parlament muss auf Anordnung der Geldgeber - also im Sinne von uns Gläubigern - ein neuerliches Sparpaket beschließen. Diskussionen sind nicht vorgesehen - das musste der sozialdemokratische Premier Georgios Papandreou schmerzlich feststellen, als er im Herbst 2011 ein Referendum über die Sparpolitik ansetzen wollte: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zitierte ihn zum G20-Gipfel nach Cannes - und wenige Tage später war Papandreou weg. Sein Nachfolger Loukas Papadimos war nicht gewählt und hatte auch nicht vor, sich Wahlen zu stellen - er sah seine Aufgabe darin, die Sparpolitik durchzuziehen. An diesem Sonntag im Februar heißt das: Mindestlöhne und Pensionen kürzen, sonst wird das nächste Rettungspaket nicht freigegeben.

Papadopoulos beugt sich. Der Mindestlohn wird auf 582 Euro gekürzt (etwa 420 Euro netto), die Pensionen werden beschnitten. 40 Abgeordnete der Regierungsparteien weigern sich, mitzustimmen. Sie alle werden am nächsten Tag aus ihren Parteien ausgeschlossen. An diesem Abend brennt Athen: 100.000 demonstrieren gegen das neuerliche Sparpaket, im Zentrum werden 40 Häuser angezündet. Die Innenstadt versinkt in einer Wolke aus Tränengas.

Ich beginne zu verstehen, warum Hedgefonds-Manager sich nicht in Suppenküchen, Kliniken und auf Demonstrationen herumtreiben. Den Preis für die schöne Rendite meiner kleinen Anleihe so vor Augen zu haben, ist nicht gerade erfreulich. Eine ältere Frau auf dem Syntagma-Platz bringt die Stimmung auf den Punkt: "Bitte, hört endlich auf, uns zu retten. Wir können nicht mehr."

Haare lassen

Mit dem Sparpaket ist der Weg zur neuerlichen Rettung allerdings frei. Die Finanzmärkte atmen auf - nur meine Griechenland-Anleihe sackt weiter ab. Der Kurs ist jetzt nur bei bei knapp über 30 Prozent, und selbst das ist überbewertet, glaubt man den großen Finanzinstitutionen: Die Allianz etwa hat ihre Griechenland Anleihen in ihrer Bilanz 2011 mit unter 25 Prozent bewertet und den Rest abgeschrieben. Alles wartet auf den Schuldenschnitt für private Gläubiger: 206 Milliarden schuldet ihnen Griechenland. Der Haircut wird zur Bedingung für die Auszahlung der 130 Milliarden Rettungsgeld. Und die Zeit drängt: Meine 1000 Euro (inklusive der 1000-prozentigen Rendite) sind mit weiteren 15 Milliarden am 20. März fällig.

Anfang März hat die Regierung die großen Gläubiger überzeugt. Über 75 Prozent sind beim Haircut freiwillig dabei. Bleiben die Hedgefonds - und ich. Darf Griechenland jene, die nicht freiwillig mitmachen, zum Schuldenschnitt zwingen? Die Frage liegt bis zuletzt in der Luft. Den 12. März 2012 verbringe ich in Anlegerforen und den Tickern von Finanz-Medien.

Am Abend meldet die griechische Regierung Vollzug: Der Schuldenschnitt ist durch. Wer nicht freiwillig mitmacht, wird gezwungen. Weg sind meine 1000 Prozent Rendite. Kalt enteignet. Die Heuschrecken schäumen und bereiten Klagen vor. Ich bin insgeheim froh, dass mein Experiment nicht darin endet, dass die griechischen Pensionskürzungen auf meinem Konto landen.

Und wie viel Geld habe ich Mini-Heuschrecke nun beim Schuldenschnitt verloren? Die Antwort auf meinem nächsten Konto-Auszug zeigt: gar keines. Der Schuldenschnitt lag bei 53 Prozent - die Gläubiger erhielten beim Anleihentausch also 47 Prozent des ursprünglichen Wertes ihrer Anleihen. Gezahlt hatte ich nur 41 Prozent. Die großen Banken und Versicherungen hatten ihre Papiere gar nur mit 25 Prozent bewertet und den Verlust schon abgeschrieben.

Ich hatte also in acht Wochen etwa 15 Prozent Gewinn - eine schöne Heuschreckenrendite. Trotz Schuldenschnitt. Zwar haben einige der 24 Papiere, die ich im Zwangstausch für eines bekommen habe, Laufzeiten von zehn bis 30 Jahren - ich bekomme dafür aber auch Zinsen von bis zu drei Prozent.

Und ich war mit der beruhigten Stimmung nicht alleine. Ein paar Kleinanleger klagten wegen falscher Beratung und ein paar Hedgefonds versuchten ihr Glück auf dem Rechtsweg. Aber alle wussten nur zu gut, dass Griechenland à la longue seine Schulden nicht bedienen kann, und
haben entweder die Verluste
bereits abgeschrieben oder (wie ich) gezockt. Der Haircut, zwei Jahre lang panisch hinausgeschoben, hatte keinerlei Drama ausgelöst.

"We want our money back"

Schon direkt nach diesem Schuldenschnitt war allerdings klar: Das kann es noch nicht gewesen sein. Nur wenige Monate danach - im Herbst 2012 - verlangten zwei der drei Geldgeberinstitutionen - EZB und Internationaler Währungsfonds - einen neuerlichen, radikalen Schuldenschnitt. Dazu kam das völlige Versagen der Sparauflagen, zu denen die Geldgeber Griechenland zwangen: Seit Beginn der Krise ist die griechische Wirtschaft um erschreckende 26 Prozent geschrumpft, mit verheerenden Folgen auf dem Arbeitsmarkt. "Wie soll die Wirtschaft auch wachsen, wenn sich aus Jobangst niemand traut, auch nur eine Waschmaschine zu kaufen?", sagt dazu Finanzjournalist Litsis.

Nun, drei Jahre später, wiederholt sich das Tauziehen um das neue Rettungspaket und den neuen Schuldenschnitt gerade auf neue, noch dramatischere Art. Die Sparpakete und das Regime der Geldgeber in Griechenland haben die linke Syriza zur Nummer eins gemacht und in die Regierung gebracht - und die ist mit klaren Wahlversprechen angetreten: keine Pensionskürzungen, höhere Löhne, ein Schuldenschnitt. Auf die meisten ihrer Forderungen haben die Griechen im monatelangen Tauziehen bereits verzichtet. Auch auf den Budgetrahmen hat man sich bereits fast geeinigt. Übrig geblieben sind Forderungen, die tief in die Kernthemen von Syriza eingreifen: Athen will Kollektivverträge wieder zulassen - die Geldgeber sind dagegen. Athen weigert sich, die Pensionen (die bereits um 40 Prozent gekürzt wurden) weiter zu beschneiden - die Geldgeber bestehen darauf. Und Athen will einen Schuldenschnitt als Teil des jetzigen Deals. In dieser Frage hat es den IWF und die Europäische Zentralbank auf ihrer Seite. Doch die EU sagt: "We want our money back."

Ende mit Schrecken

Als Anlegerin, die bereits einen Schuldenschnitt hinter sich hat, stehe ich nun als Steuerzahlerin also vor der Entscheidung über den nächsten. Die Banken und Versicherungen sind mittlerweile - über den Umweg der Rettungspakete - aus dem Schneider. Fast die gesamte Schuld Griechenlands ist mittlerweile in öffentlichen Händen. Wäre es also falsch, den europäischen Steuerzahlern eine Umschuldung zuzumuten?

Ich denke: Nein. Die EU ist mit der Rettung Griechenlands nicht nur ein absurd hohes Risiko eingegangen: Sie hat wissentlich Geld in einen Staat gesteckt, der faktisch bankrott war. Das wusste schon 2010 jeder, der nur ein Fünkchen Ahnung von Bilanzen oder auch nur ein bisschen Hausverstand mitbrachte. Die EU hat das Geld trotzdem überwiesen, vor allem, um einen Bankencrash zu verhindern. Mit Erfolg: 77 Prozent der bisherigen Rettungsgelder gingen - das zeigt ein Faktencheck des "Spiegel" - postwendend an den Finanzsektor.

Die Kosten haben die Geldgeber allerdings bisher über die damit verbundenen Sparpakete und Auflagen der griechischen Bevölkerung sowie beim ersten Schuldenschnitt den übriggebliebenen Privatanlegern aufgehalst. Die Lage in Griechenland hat sich seither dramatisch verschlechtert. Die Zahlungsfähigkeit ebenfalls. Die Sparprogramme haben keine positiven wirtschaftlichen Effekte gezeigt - im Gegenteil. Es fehlt, schreibt die "Washington Post" diese Woche treffend, jeglicher vernünftiger Grund, sie weitertreiben zu wollen.

Die Frage ist also ohnehin nicht, ob der Schuldenschnitt kommt - da sind sich alle einig -, sondern wann und zu welchen Bedingungen. Als Heuschrecke, die schon einen Haircut überlebt hat, sage ich: "Go for it." Es tut nicht so weh, wie man denkt. Griechenland ist wirtschaftlich und humanitär ohnehin schon ausgeblutet. Es hat einen Neustart verdient - und die Rückgewinnung seiner Souveränität.

Corinna Milborn (in der Illustration oben als Heuschrecke zu sehen) ist Infochefin und Moderatorin bei ProSieben.Sat1.Puls 4. Als Politikwissenschafterin und Journalistin arbeitet sie seit Jahren zu den Themen EU, Globalisierung, Menschenrechte und Finanzmärkte. Am Montag den 29. Juni diskutieren bei ihr in "Pro und Contra" der deutsche Wirtschaftswissenschafter Hans-Werner Sinn und Theodoros Paraskevopoulos, Berater des griechischen Premierministers Alexis Tsipras: 22.40 Uhr Puls 4.

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