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"Syriza ist unvorhersehbar"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik
"Ja oder Nein zum Euro?" Die Griechen sehen die Zukunft gelassen.
© Luiza Puiu

Die Griechen ziehen vor dem Referendum ihr letztes Erspartes ab - für den Fall der Fälle.


Athen. Christodoulos, Mitte 30, groß, pechschwarzes Haar, dichter Bart, lächelt. Gerade hat er Bares von einem Geldautomaten abgehoben."Nicht viel, 300 Euro. Ich wollte eher sehen, ob das noch funktioniert", sagt er. Fünfzehn Minuten hat er an diesem lauen Samstagvormittag auf den Moment warten müssen, bis er die Euro-Geldscheine in Händen hielt.

"Ich bin ein Patriot. Ich habe wenigstens mein Geld hier in Griechenland behalten", fügt er hinzu. Im Januar habe er Syriza gewählt, weil er "eine andere Politik" wollte. Jetzt dürften die Griechen "bloß nicht die Nerven verlieren." Christodoulos setzt sich die Sonnenbrille auf, dann auf eine alte Vespa, lächelt noch einmal kurz - und gibt dann Gas.

Von Panik keine Spur

Zurück bleiben hier vor einer Filiale der größten griechischen Geschäftsbank NBG in der Athener Leoforos Syngrou-Strasse, einer großen Ausfallstraße, die von der Innenstadt der immerzu pulsierenden Vier-Millionen-Metropole an die malerische Saronische Küste führt, ein gutes Dutzend Menschen. Geduldig harren sie in der Warteschlange. Sie sind stumm, von Panik keine Spur.

Menschen stehen in einer Schlange vor einem Bankomaten in Athen.
© Luiza Puiu

Sind sie an der Reihe, tippen sie auf dem Touchscreen ausnahmslos auf das Feld "Analipsi" ("Abheben"). Das Feld "Katathesi" ("Einzahlen") auf dem Sensorbildschirm berührt heute hingegen keiner.

Kein Murren, kein Maulen

Das ist an anderer Stelle nicht anders. Auch vor einem Geldautomaten im gutbürgerlichen Athener Vorort Palio Faliro einer Filiale der "Eurobank", die neben der NBG, Piräus Bank und Alpha Bank zu Griechenlands vier systemrelevanten Geldinstituten gehört, hat sich eine Warteschlange gebildet. Auch hier herrscht kein Murren, kein Maulen, kein Gedränge. Dafür erblickt man aber nachdenkliche Gesichter.

Die Bankkunden heben kleinere Beträge ab. Eine wartende Frau, Mitte Sechzig, Brille, stark geschminkt, beginnt zu poltern, als sich der Fragesteller als Journalist vorstellt. "Ich war schon an zwei anderen Geldautomaten. Sie haben kein Geld ausgespuckt. Es kam nur der Hinweis: 'Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir Ihnen im Augenblick kein Bargeld geben können.' "

Fest steht: Am Sonntag prangt just jener Hinweis immer öfter von den Bildschirmen der Geldautomaten in Athen, Thessaloniki, Korfu, Kreta oder Rhodos. Der Grund: Immer mehr Geldautomaten sind leer.

Verunsicherung nimmt zu

Die überraschende Ankündigung von Athens schillerndem Premier Alexis Tsipras vom "Bündnis der Radikalen Linken" ("Syriza") in der Nacht zu Samstag nach fast fünf Monaten zäher Verhandlungen mit Hellas' öffentlichen Gläubigern EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds bereits am nächsten Sonntag ein Referendum über die Zustimmung oder Ablehnung eines neuerlichen, schmerzlichen Spar- und Reformpakets für das ewige Euro-Sorgenland abhalten zu lassen, hat beim Gros der Griechen vor allem eines bewirkt: Sie sind nun mehr oder minder verunsichert.

Ihre erste Reaktion bereits wenige Minuten nach Bekanntwerden der Tsipras-Initiative: Plötzlich kaufen sie mehr als üblich im Supermarkt ein, sie tanken ihre Autos voll - und heben ihr Erspartes ab. Fest steht aber auch: Wirklich viel Geld haben die Griechen nicht mehr auf dem Konto. Hatten sie auch nie.

Denn: Betrugen die Spar- und Termineinlagen in Griechenland per Ende letzten Jahres noch 160,285 Milliarden Euro, dürften sie noch vor diesem Wochenende auf lediglich rund 120 Milliarden Euro gesunken sein. Der schleichende Banken-Run der letzten Monate hin, nunmehr drohende Kapitalkontrollen zu Füßen der Akropolis her: Die Griechen waren nie ein Volk der Sparer. Traditionell sind die Hellenen Immobilieneigner.

Im Elf-Millionen-Einwohner-Land erreichten die Spar- und Terminanlagen in Griechenland ihren historischen Höchststand Anfang 2010, bevor die Hellas-Krise richtig ihren Anfang nahm.

Wo ist das Geld geblieben?

Das Guthaben der Griechen damals: 240 Milliarden Euro, pro Kopf eher bescheidene 23.000 Euro. Nun hat es sich sogar halbiert. Nur: Wo ist das Geld geblieben? Die Griechen bunkern Bares zuhause, in Schließfächern, haben es ins Ausland gebracht oder zehren notgedrungen von ihrem Kapital - wegen der seit Ausbruch der desaströsen Hellas-Krise drastisch gesunkenen Gehälter, Löhne, Renten und Pensionen.

Unterdessen ziehen sie ihr letztes Erspartes ab - für den Fall der Fälle. Und: Am vorigen Donnerstag gingen pünktlich die Gehaltszahlungen der landesweit rund 550.000 Beamten für die zweite Monatshälfte auf deren Konten ein. Überdies wurden am Freitag die monatlich fälligen Rentenzahlungen für die Ruheständler von Griechenlands größter Sozialkasse IKA gutgeschrieben. Wohlgemerkt: Die berechtigten Empfänger kassierten das Geld drei Tage früher als es das griechische Gesetz vorschreibt. Überpünktlichkeit auf Griechisch.

Auch dieser Umstand erklärt die jüngsten Warteschlangen vor den Hellas-Banken. Getreu dem Motto: 'Ich habe das Gehalt oder die Rente bekommen. Sicher ist sicher: Lieber ziehe ich das betreffende Geld gleich von meinem Konto ab.'

"Uns geht es um die Würde der Griechen"

Doch nicht alle Griechen kriegen in diesen turbulenten Tagen kalte Füße. Besser: Die Warteschlangen vor den griechischen Banken lässt manche Hellenen demonstrativ kalt. "Uns geht es um die Würde der Griechen. Wir lassen uns nicht von den Gläubigern erpressen", sagt Alexandra Chrystakaki, Producerin beim parteieigenen Syriza-Radiosender "Sto Kokkino" ("Im Roten"), mit fester Stimme.

Mit geradezu pathetischer Überhöhung sagt die bekennende Syriza-Frau: "Wir sind Tsipras dankbar. Wir sind nicht wie Zypern im Jahr 2013: Zuerst mit Getöse Widerstand leisten, um dann vor den Gläubigern sang- und klanglos einzuknicken. Wir sind Syriza. Und Syriza ist unvorhersehbar." Ein Leben ohne Banken inklusive.