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"Wir bluffen nicht"

Von Konstanze Walther

Politik
Der Stimmzettel und die linke Morgenzeitung I Avgi, die ein Nein empfahl.

Syriza-Berater Paraskevopoulos über kurzfristige Änderungen, das Ultimatum und die Bereitschaft, zu verhandeln.


"Wiener Zeitung": Nach den Ereignissen der letzten Tage drängt sich die Frage auf: Hat die griechische Regierung einen langfristigen Plan oder wird spontan von Tag zu Tag entschieden?Theodoros Paraskevopoulos: Die griechische Regierung hatte von Anfang an einen Plan. Pläne sind aber dazu da, dass sie revidiert werden, je nachdem, wie sich die Lage entwickelt. Wir haben in diesen fünf Monaten ziemlich viele Änderungen der Lage erfahren, sodass auch die Pläne der Regierung sich ändern mussten.

Das Wichtigste war allerdings die große Änderung, die vergangene Woche kam. Am Anfang der letzten Woche hatten wir gehofft, dass wir schnell zu einer Einigung kommen, weil der letzte Vorschlag der griechischen Regierung in Europa positiv aufgenommen wurde - mit Ausnahme des Finanzministeriums in Berlin, das schon von Anfang an seine Bedenken geäußert hatte -, sodass die Planung eben war, einen neuen Vertrag zu unterschreiben und diesen umzusetzen. Am Donnerstag änderte sich die Lage dramatisch, weil unsere Partner den schon inoffiziell angenommenen Vorschlag abgelehnt haben und der griechischen Regierung ein Ultimatum stellten. Das war sowohl in der Form als auch vom Inhalt her unannehmbar. Das hat die griechische Regierung abgelehnt und hat das jetzt dem Volk zur Entscheidung vorgelegt.

Stimmt es, dass Griechenland von sich aus am Freitag die Verhandlungen abgebrochen hat?

Nein. Griechenland hat die Verhandlungen nicht abgebrochen. Griechenland hat nur das Ultimatum nicht akzeptiert. Athen war bereit, die Verhandlungen weiter zu führen, aber nur, falls das Ultimatum vom Tisch ist.

Das Referendum ist auf den letzten Drücker einberufen worden. Dabei hat sich doch fünf Monate lang abgezeichnet, dass es zu einer Patt-Situation kommen wird.

Nein, das hat sich nicht abgezeichnet. Die Verantwortlichen in Athen als auch in Brüssel haben immer gesagt: "Wir machen Fortschritte."

Theodoros Paraskevopoulos: "Die Fragen bei der Volksabstimmung lauten: Ja oder Nein zum Ultimatum"

Wenn es Fortschritte gegeben hätte, wie kann es dann zu so einer komplett neuen Situation kommen, die zu einem Ausschluss von Personen führt und wo von "Vertrauensbrüchen" die Rede ist?

Da kann ich nur mutmaßen.

Bitte.

Ich meine, das ist ideologische Borniertheit. Sie wollen keine linke Regierung in Europa haben. Das ist deren Problem. Es ist keine Frage von Zahlen. Es ist keine Frage von Maßnahmen oder Reformen. Es ist auch keine Frage der Rückzahlungen von Schulden. Das interessiert sie alles nicht. Was sie interessiert, ist, dass es kein linkes Projekt in Europa gibt. Sie haben davor Angst, dass andere Länder auch die alten Regierungen abgewählt werden, weil sie kein Modell für Europa haben.

Wie sieht das griechische Modell aus?

Der Vorschlag, den die griechische Regierung macht, ist, dass die öffentliche Hand es auf sich nimmt, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, dass wir in Europa ein Investitionsprogramm haben. Dass in Europa nicht mehr die Pensionen gekürzt werden. Weil das nicht nur sozial ungerecht ist, sondern auch wirtschaftlich unvernünftig ist. Weil Rentner geben ihr ganzes Geld für den Konsum aus - die Renten kürzen, heißt, die Nachfrage kürzen.

Wie wird das Referendum Ihrer Meinung nach ausgehen?

Bei der Diskussion im Parlament hat sich die Opposition geschlossen gegen die Politik der Regierung gestellt. Aber auch geschlossen gegen den Vorschlag unserer Partner (aus Brüssel, Anm.). So kann ich mir nicht vorstellen, dass das Referendum negativ für den griechischen Regierungsvorschlag ausfällt. Niemand im Parlament hält die Vorschläge unserer Partner für akzeptabel.

Wie geht dann weiter? Wie lange hat Griechenland noch Geld?

Bald kann Griechenland seine gesamten Verpflichtungen - gegenüber den Bürgern und den Partnern - nicht mehr erfüllen. Wie Ministerpräsident Alexis Tsipras schon gesagt hat, in dem Fall haben die Verpflichtungen gegenüber den Bürgern Vorrang.

Gibt es eine Schätzung, wie lange das funktionieren kann, wie lange Pensionen gezahlt werden können?

Die Pensionen kann man aus eigener Kraft zahlen, aus den Steuereinnahmen der Regierung.

Glauben Sie wirklich, dass man in einem derart geschlossenen System überleben kann?

Eine Zeit lang schon.

Wie lang kann man Kapitalverkehrskontrollen aufrechterhalten?

So lange man will. Zypern hat das zwei Jahre lang gemacht. Ich nehme an, die Kapitalverkehrskontrollen werden länger andauern. Bedenken Sie, Griechenland hatte vor dem Eintritt in die EU 50 Jahre lang Kapitalverkehrskontrollen. Und wir haben überlebt. Kapitalverkehrskontrollen bedeuten nur, dass, wenn man einen Betrag ins Ausland überweisen will, es melden und begründen muss. Für ein Unternehmen, das seine Rechnungen bezahlen will, ist das kein Problem. Aber dafür können reiche Griechen nicht einfach so ihr Geld in die Schweiz transferieren.

Wenn Griechen 60 Euro täglich abheben dürfen und es, statt in die Wirtschaft, in die Matratze stecken, bringt es das geschlossene System auch ins Kippen.

Ich kenne nicht viele Griechen, die 60 Euro abheben können. Aber diesen Betrag kann man nicht in der Matratze verstecken. Das ist eine Summe, die ich für tägliche Ausgaben brauche.

Glauben Sie, dass es vor diesem Wochenende doch noch eine Einigung geben kann?

Der griechische Finanzminister hat gesagt, sollten unsere Partner das Ultimatum zurücknehmen und einen vernünftigen Vorschlag machen, dann würde die Regierung dem Volk empfehlen, mit "Ja" zu stimmen. Dann wären wir wieder "back in business".

Woran spießt es sich jetzt?

Es geht um Pensionskürzungen. Es ging um Mehrwertsteuererhöhungen - obwohl sie das jetzt wieder revidiert haben. Hinterher. Sie (die Partner in Brüssel) sagten: "Ja, wir meinten das nicht so ganz." Es geht um das Steuersystem. Beispielsweise haben die Verhandlungspartner die Absicht der griechischen Regierung zurückgewiesen, die Gewinnsteuer bei Großunternehmen zu erhöhen. Sie haben den Vorschlag zurückgewiesen, den Spitzensteuersatz, das heißt, den Sonderzuschlag zur Einkommensteuer für höhere Einkommen zu erhöhen, sodass der Spitzensteuersatz für sehr hohe Einkommen auf über 50 Prozent steigt, bei Vermögen von über 500.000 Euro pro Jahr. Und für Einkommen von unter 20.000 hätte er um 20 Prozent gesenkt werden sollen. Das sind Weigerungen, die vernünftig nicht zu erklären sind. Die sind nur ideologisch zu erklären. Und dann haben sie verlangt, dass die Privatisierungen durchgeführt werden, ohne den Käufern Bedingungen zu stellen, wie zum Beispiel die Verpflichtung, eine bestimmte Summe zu investieren, wenn sie kaufen, oder die griechische Arbeitsgesetzgebung einzuhalten. Und das sind starke Eingriffe in die Souveränität des Staates, die obendrein ungerecht und unvernünftig sind.

Urlauber auf den griechischen Inseln, die sich in der Nähe zu Kleinasien befinden, sagen, dass sie an nur einem einzigen Tag hunderte syrische Flüchtlinge gesehen haben, die mit dem Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland übergesetzt sind. Die werden auf Lesbos etwa in einer Zeltstadt beim Hafen in Mytilini untergebracht. Wer zahlt für die Versorgung? Gibt es eine Sonderunterstützung?

Griechenland finanziert die Versorgung der Flüchtlinge inzwischen nur mit Geld aus seinem Haushalt. Aus dem griechischen Budget. Die vorherige Regierung hat die Sonderzahlung der EU von 90 Millionen Euro für die Aufnahme von Flüchtlingen nicht angenommen, weil die damalige Regierung die Flüchtlinge eben nicht aufnehmen wollte, sondern die Politik des "Draußenhaltens" verfolgte. Nun hat die jetzige griechische Regierung die Flüchtlingspolitik geändert, aber die Hunderttausenden können nicht aufgenommen werden. Wenn Menschen kommen, dann brauchen sie Unterkunft und ärztliche Versorgung, brauchen sie Essen. Und das ist finanziell und organisatorisch sehr schlimm für Griechenland. Das wird sich fortsetzen, weil der Krieg in Syrien geht weiter.

Für manche bedeutet ein Referendum, dass sich damit die Regierung aus der Verantwortung stiehlt, obwohl sie gewählt worden ist, um Entscheidungen zu treffen.

Nein, das ist es nicht. Meine Partei hat vor der Wahl gesagt: Das ist unser Programm. Wenn wir sehen, dass es bei den Verhandlungen zu großen Abweichungen davon kommt, muss das Volk befragt werden. Denn bei den Wahlen stimmt ja das Volk ab aufgrund von Parteiprogrammen. Erwartet ihre Umsetzung. Und wenn sich die Sache ändert, dann muss es noch mal befragt werden.

Nehmen wir an, dass das Volk Ja sagt, wir akzeptieren die Bedingungen aus Brüssel. . .

(Lacht.) Das kann ich mir nicht vorstellen.

Ich habe Umfragen gesehen, dass es schon knapp werden kann.

Nein, die Umfragen sagen nur aus, dass die große Mehrheit der Griechen die gemeinsame Währung will. Und dass die große Mehrheit der Griechen einen Kompromiss will. Und das ist ja der Vorschlag der griechischen Regierung. Beim Referendum geht es ja nur um die Ablehnung diese konkreten Vorschläge.

Wie werden die Fragen dann formuliert? Soll das Ultimatum angenommen werden, ja oder nein?

Ja oder Nein.

Und: Sollen wir weiterverhandeln?

Diese Frage wird nicht gestellt, weil das nicht im Raum steht. Wir wollen weiterverhandeln.

Falls das Ultimatum nicht angenommen wird - kommt es zu einer langen Schweigephase zwischen Griechenland und den Partnern...

Ich bin der Meinung, dass es schon in dieser Woche, vor dem Referendum, Kontakte und Gespräche geben wird.

Das klingt wieder so, als ob Griechenland pokert und "All-In" geht, also alles auf eine Karte setzt: Vielleicht gibt es ja noch Gespräche vor dem Referendum - bis es dann kurz davor heißt: Okay, das mit dem Ultimatum war nicht so gemeint.

Das hatten die Partner schon letzten Freitag gesagt. Und danach haben sie gesagt: Nein, das Ultimatum steht doch. Das ist nicht seriös. Aber - so wie es die IWF-Chefin gesagt hat - man soll daran denken, dass erwachsene Leute miteinander reden.

Die aber eine gewisse Risikoaffinität haben.

Wir sind keine Pokerspieler. Wir pokern nicht. Wir bluffen nicht.

Theodoros Paraskevopoulos ist wirtschaftspolitischer Berater des linken Bündnisses Syriza. Der griechische Ökonom, der in Deutschland studiert hat, war am Montag in Wien und diskutierte auf Puls4 bei "Pro und Contra" zum Thema Griechenland.