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"Wir betreten völlig neues Territorium"

Von Reinhard Göweil

Politik

EZB kann noch helfen - Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny über Folgen einer EU-Tragödie griechischen Ausmaßes


Wien/Athen/Brüssel. In Griechenland sind die Banken geschlossen, es gelten strenge Kapitalverkehrskontrollen. Am kommenden Sonntag findet ein Referendum statt, in dem das griechische Volk über die Sanierungsmaßnahmen befragt wird. Ist das nun der "Grexit" und die Staatspleite Griechenlands?

Eine Antwort darauf wird am Mittwoch die Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) geben. Denn am Mittwoch, null Uhr, läuft das EU-Hilfsprogramm aus, und damit hätte die EZB keine Handhabe mehr, griechischen Banken Nothilfe zu gewähren. Und diese Banken wären ohne EZB-Hilfe sofort pleite.

Österreichs Vertreter in diesem Gremium ist Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny. "Der 30. Juni ist ein heikler Termin", sagte Nowotny im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Es gilt die Frage zu beantworten, ob die EZB ohne Programm diese Hilfe leisten kann, und es werden alle rechtlichen Aspekte geprüft." Darüber hinaus gibt Nowotny unumwunden zu, dass es im EZB-Rat dazu unterschiedliche Meinungen gibt. "Es geht auch um die Frage, ob Griechenland über den Referendumstermin unterstützt wird."

Griechenland könnte über Referendum gehievt werden

Eine Möglichkeit dazu skizzierten am Montag EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in öffentlichen Auftritten. Merkel erklärte, dass sich die Euroländer weiteren Verhandlungen mit Griechenland nicht verweigern werden. Juncker sagte in Brüssel, dass die "Tür offen bleibt". Und Tsipras hat Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz am Montag gebeten, das auslaufende Hilfsprogramm um "ein paar Tage zu verlängern". Allein diese Möglichkeit könnte die EZB in die Lage versetzen, die ELA ("Emergency Liquidity Assistance") genannte Bankenhilfe fortzusetzen. Der Chef der deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, ist zwar ein strikter Gegner, doch EZB-Präsident Mario Draghi gilt, so ist zu hören, als Befürworter einer solchen Lösung. Bisher glich die EZB die Kapitalflucht aus Griechenland mit solchen ELA-Hilfen aus; derzeit hat sie so knapp 90 Milliarden Euro an griechische Banken vergeben.

Wenn die EZB am Mittwoch die Fortsetzung der Hilfe beschließt, könnten die Banken noch vor dem Wochenende wieder aufsperren - und den Griechen das Gefühl geben, dass sie von Europa nicht im Stich gelassen werden, ist inoffiziell in Brüsseler Kreisen zu hören.

Dafür gilt es als ziemlich sicher, dass Griechenland den am 3. Juli fälligen Kredit an den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 1,6 Milliarden Euro nicht zurückzahlen wird.

Währungsfonds wird bis Mitte August Zeit geben

Auch dies wird allerdings keine Staatspleite auslösen. "Der Währungsfonds wird den Zahlungsverzug feststellen und die Regierung in Athen zur Zahlung auffordern", sagt Nowotny. Ein "Mahnschreiben" auf höchstem Niveau sozusagen. Der IWF wird einen neuen Termin nennen, der allerdings erst in sechs bis sieben Wochen sein wird. Bis Mitte August wird Griechenland also nicht offiziell pleitegehen. In dieser "tiefsten Euro-Krise seit Abschluss der Römischen Verträge" (O-Ton Sigmar Gabriel, SPD-Chef und deutscher Vizekanzler) sind ein paar Wochen bereits ein wertvoller Zeitgewinn. Denn in Wahrheit weiß niemand, wie es nun weitergeht. Juncker sagte in bisher nie gehörter Klarheit, dass ein "Nein" beim griechischen Referendum auch ein "Nein" Griechenlands zur EU bedeuten würde.

Nowotny: "Faktisch stimmt das wohl. Aber es gibt keine Möglichkeit, ein Land aus der EU rauszuwerfen. Wir betreten hier völlig neues Territorium."

Und daneben noch einen Finanzmarkt-Dschungel, der sich vor Ansteckung fürchtet. Griechische Banken sind beispielsweise in Zypern stark präsent. Wenn nun eine griechische Bank Probleme hat, ihre zypriotische Tochterbank zu finanzieren, könnte die EZB sehr wohl helfen. "Das ELA-Programm liegt ja bei den nationalen Zentralbanken. Zyperns Notenbank könnte also auch einer griechischen Bank dort Finanzhilfe leisten, die darf aber nicht nach Griechenland" fließen, erklärte Nowotny der "Wiener Zeitung". Indirekt würde das aber helfen.

EZB hilft Banken der griechischen Nachbarländer

"Auch mit Bulgarien gibt es laufende Gespräche seitens der Europäischen Zentralbank", sagte der Nationalbank-Gouverneur. Dem Vernehmen nach unterstützt die EZB den bulgarischen Bankensektor bereits aktiv. Denn viele Griechen haben ihre Ersparnisse von griechischen Banken abgehoben, und bei Banken im Nachbarland deponiert. Es geht hier um Milliarden, auch wenn es kaum belastbare Daten gibt. Vor allem Klein- und Mittelunternehmer sowie Privatpersonen in den Grenzregionen nutzten diese Möglichkeit. Die ganz Reichen zieht es in Steueroasen und die Schweiz. Dort sind zweistellige Milliardenbeträge gebunkert, bei einem guten Teil handelt es sich um Schwarzgeld. Die Schweizer Regierung etwa war sogar öffentlich erstaunt, dass sich der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis noch nie gemeldet hat.

Etwas anders schaut es in Serbien aus: Das Land ist kein EU-Mitglied, aber auch dort sind griechische Banken aktiv. "In dem Fall kann nur die nationale Zentralbank helfen", sagte Nowotny.

EZB-Beobachter gehen jedenfalls davon aus, dass Mario Draghi am Mittwoch versuchen wird, Griechenlands Banken über das Referendum zu hieven. Denn ohne ELA wären sie bankrott - und das würde die sofortige Staatspleite Griechenlands auslösen, selbst wenn Tsipras einlenkt.

Bonität
Die US-Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) hat Griechenland am Montagabend weiter herabgestuft. Die Bewertung für die langfristigen Verbindlichkeiten wurde auf CCC- von zuvor CCC gesenkt. Die Bewertung bedeutet, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls besteht. Die Wahrscheinlichkeit eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone liege nun bei rund 50 Prozent. Der Ausblick sei negativ.