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Ukraine trotzt Gas-Lieferstopp

Von Gerhard Lechner

Politik

Der Gasstreit zwischen Moskau und Kiew erfährt eine Neuauflage. Laut Politologen Mangott ist die Ukraine von russischen Lieferungen aber nicht mehr so abhängig.


Kiew/Moskau. Auf den ersten Blick könnte man sagen: nichts Neues unter der Sonne. Russland und die Ukraine streiten sich um die Höhe des Gaspreises. Kiew fordert einen niedrigeren Preis, Moskau lehnt ab. Der russische Staatskonzern Gazprom liefert seit Mittwochfrüh kein Gas mehr ins Nachbarland - außer jenes, das durch die Ukraine in die Länder der EU weitergeleitet wird. Die Verhandlungen in Wien sind gescheitert, die Streitparteien gehen auseinander, neue Gespräche gibt es dem Vernehmen nach erst im September. Man könnte annehmen: Die Gasversorgung der Ukraine im kommenden Winter ist alles andere als sicher. Das Land ist erpressbar.

Doch das ist offenbar ein Irrtum. "Die Ukraine ist von Russland bei der Gasversorgung nicht mehr so abhängig wie noch vor einem Jahr", klärt Russland-Experte Gerhard Mangott in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung" auf. Im ersten Quartal dieses Jahres habe die Ukraine nur noch 23 Prozent ihres Gases direkt aus Russland bezogen. "Im gesamten Jahr 2014 waren es noch etwas mehr als 59 Prozent", rechnet der Politologe vor.

Heute bezieht Kiew sein Gas großteils aus anderen Quellen - etwa über den sogenannten "reverse flow", also jene Gaslieferungen, die die EU an Kiew schickt. Diese stammen zu einem großen Teil zwar ebenfalls aus russischen Quellen. Die Preise, die Gazprom den EU-Ländern verrechnet, sind aber niedriger als jene, die der Ukraine abverlangt werden - sodass die Rechnung für die Ukraine immer noch stimmt.

Kiew könnte sogar das Undenkbare möglich machen und auch im Winter ganz auf Gaslieferungen aus Moskau verzichten. "Die 23 Prozent des Gases, das die Ukraine heute noch aus Russland bezieht, zu diversifizieren, dürfte für Kiew zwar nicht allzu leicht sein. Aber möglich wäre es schon", sagt Mangott. "Sonst hätten die ukrainischen Verhandler in Wien diesen Schritt auch nicht vollzogen, den russischen Preisvorstellungen nicht zuzustimmen." Der Politologe verweist allerdings auch darauf, dass die ukrainischen Gasspeicher derzeit sehr schwach befüllt sind, die Ukraine also noch viel Gas braucht. Die Ex-Sowjetrepublik befindet sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit ihrer Unabhängigkeit 1991.

"Gastransit in die EU gesichert"

Es ist der erste Gaslieferstopp zwischen den verfeindeten Staaten in diesem Jahr. Nach einem Streit um den Gaspreis im Vorjahr hatte Russland ebenfalls die Lieferungen zeitweilig eingestellt, bis es eine Einigung gab. Dieses vorläufige Abkommen, das sogenannte "Winterpaket", das unter Vermittlung der EU zustande gekommen war, war im März noch um ein Quartal verlängert worden. Am Dienstag lief diese Vereinbarung aber aus. Russland hatte einen Rabattpreis von 247,18 US-Dollar je 1000 Kubikmeter Gas vorgeschlagen, die Ukraine erhoffte sich einen Preis von rund 200 Dollar. Die Energiegespräche unter EU-Vermittlung scheiterten.

Kiew kündigte daraufhin die Aussetzung sämtlicher Gaskäufe aus Russland an. Gazprom stellte fest, dass für den Juli kein Geld aus Kiew überwiesen worden sei, und stellte die Lieferungen an das Nachbarland ein.

Auf die EU dürfte sich der Gasstreit diesmal nicht auswirken. Der Transit von russischem Gas über die Ukraine in die EU laufe weiter wie bisher, teilte Kiew mit. Auch der für Energiefragen zuständige Vizepräsident der EU-Kommission Maros Sefcovic sieht den Gastransit durch die Ukraine in die EU "überhaupt nicht gefährdet". Sefcovic meinte trotz der erfolglosen Verhandlungen, Moskau und Kiew würden nicht so weit auseinanderliegen.