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Athen nach dem "Nein"

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Die Unsicherheit wächst, aber es macht sich auch Erleichterung deutlich bemerkbar.


Athen. In der Apotheke der Familie Achparaki im Athener Mittelstandsviertel Pangrati ist es am Morgen nach dem historischen "Nein" der Griechen deutlich voller als an den letzten Tagen. Vor allem ältere Menschen drängen sich in dem kleinen Geschäftsraum und sie fragen nach Mittel gegen Bluthochdruck und Herzprobleme. Vor allem Kopfschmerzmedikamente seien begehrt, sagt die Apothekerin Eleni Achparaki. "Die Unsicherheit nach dem Referendum verursacht den Leuten Kopfschmerzen. Das wundert uns nicht."

Kopfschmerzmittel liegen noch genug im Lager, bei anderen Medikamenten machen sich bereits Engpässe bemerkbar, weil die Medizingroßhändler seit dem Beginn der Kapitalverkehrskontrollen vor einer Woche keine Ware aus dem Ausland mehr ausliefern. "Sie können die ausländischen Firmen nicht mehr bezahlen", sagt Achparaki. Ihr sind die Insulin- und Schilddrüsenpräparate schon ausgegangen, die Blutdrucksenker bald ebenfalls ausverkauft. Viele Kunden versuchen, sich Vorräte anzulegen, weil sie fürchten, dass die aktuelle Krise sich nach dem "Nein"-Votum noch verschärft.

Es gehört zu den schwer verständlichen Eigenheiten der Griechen, dass sie am Tag nach dem Referendum zwar weiter mit dem Schlimmsten rechnen, sich aber trotzdem besser fühlen. Auch Eleni Achparaki glaubt, dass ihre Landsleute mit dem Nein-Votum der Lösung der Krise nähergekommen sind. "Jetzt muss Europa uns wahrnehmen, jetzt kann man uns nicht mehr so abfällig behandeln, jetzt wird es bessere Angebote geben", sagt sie.

"Es kann nur besser werden"

Auf dem Syntagmaplatz ist der Müll von der nächtlichen Siegesfeier der Nein-Befürworter weggeräumt. Hier herrscht vor allem unter jungen Leuten, die überwiegend für das "Nein" stimmten, eine gelöste Stimmung. "Wir sind stolz und froh über das Ergebnis", sagt der 19-jährige Manos Geranis, ein Student der Theologie, "denn jetzt kann es nur besser werden." Manos Geranis und zwei Kommilitonen sind fest davon überzeugt, dass Griechenland den Euro behalten und in der EU bleiben werde. "Was denn sonst! Wir sind doch Europäer!"

Konsens herrscht unter jüngeren Griechen auch darüber, dass die Regierungen der vergangenen Jahrzehnte für die Misere des Landes verantwortlich sind. Sie halten die Kritik daran für berechtigt, aber sie wollen nicht für die Fehler ihrer Elterngeneration mit dem Verlust ihrer eigenen Träume und Chancen büßen. Und sie glauben ihrem Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, dass er mit der Vergangenheit brechen und einen Neustart wagen will. "Ich weiß nicht, ob Tsipras wirklich der Richtige ist. Niemand weiß das. Aber er hat eine Chance verdient", sagt die junge Lehrerin Chrysa Vourgana. Sie sieht es als gutes Zeichen, dass der umstrittene Finanzminister Yanis Varoufakis am Morgen zurückgetreten ist. "Es zeigt, dass die Regierung ernsthaft an einer Lösung interessiert ist." Die junge Frau hat gerade eine Stunde am Bankomaten gewartet, um ihren täglichen 50-Euro-Schein zu erhalten. Viele Geldautomaten sind leer, und an denen, die noch Euros ausspucken, bilden sich in der ganzen Stadt lange Schlangen. Das Geld nutzen die Leute, um sich abzusichern, sagt eine Verkäuferin im Supermarkt "AB City" am Kipseli-Platz. Sie zeigt auf die Regale mit Pasta, Mehl und Reis, die ebenso leergekauft sind wie die Abteilungen für Bohnen und Tomatenkonserven.

Während der Supermarkt nicht über Umsatzeinbußen klagt, spüren viele kleine Händler in Kipseli die Folgen der Bankenschließung. Der 67-jährigen Fischhändlerin Anastasia hat ein Lieferant bereits gekündigt. "Unser pakistanischer Händler schickt uns keine Shrimps und Tintenfische mehr. Er wollte eine Bankenbürgschaft, die wir ihm nicht geben konnten." Die alte Frau hebt die Hände. "Die Lage ist seit letzter Woche dramatisch. Wir haben 50 Prozent Verkaufseinbußen, weil die Leute am Fisch sparen." Bis zum Nachmittag ist am Montag noch kein Kunde gekommen. Sie hat trotzdem für das "Nein" gestimmt, "denn wir wollen nicht mehr in dieser schrecklichen Lage verharren". Eine Mischung aus Trotz, Verzweiflung und Stolz ist es wohl, die auch die meisten kleinen Kaufleute in Kipseli dazu brachte, gegen die Sparpolitik zu stimmen.

Auch der Elektrogerätehändler Theodoros Politzogopoulos muss einen dramatischen Umsatzrückgang von 80 Prozent seit letzter Woche verkraften. "Alle haben Angst", sagt der 66-Jährige, der deshalb für das "Ja" stimmte. "Noch ist mein Lager gefüllt, aber die ausländischen Firmen verkaufen mir kein einziges Gerät mehr, weil wir kein Geld mehr per Bank überweisen können." Die Händler überleben, weil sie fast ausschließlich Familienbetriebe führen.

"Buy and sell Gold"

Doch viele Menschen in Kipseli sind bereits gezwungen, Wertsachen und Familienschmuck zu verkaufen. Ihnen nimmt die Franchise-Kette "Buy and sell Gold", deren Läden seit Beginn der Krise vor fünf Jahren in Athen aus dem Boden schossen, die Wertgegenstände ab und verkauft sie weiter. Das schmucklose Büro am Kipseli-Platz wird von zwei Mittdreißigerinnen geführt. "Die Krise ist gut für uns, denn die Leute brauchen Bargeld, das sie sonst nicht bekommen", sagt Cetinia Kelaidi, "auch ein Krieg wäre gut für uns." Die beiden Frauen haben am Montag 20 Prozent mehr Umsatz gemacht als in der vergangenen Woche, schätzen sie.