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"Grexit ist der Weg in die Katastrophe"

Von Gerhard Lechner

Politik

Ökonom und Deutschgrieche Alexander Kritikos über die Vorteile einer stabilen Währung für die Griechen, hausgemachte Probleme und die Notwendigkeit von Deregulierung, damit Investitionen nachhaltig sind.


"Wiener Zeitung": Herr Kritikos, Sie haben im Mai in einem Gastbeitrag in der deutschen Wochenzeitung "Zeit" für ein Referendum in Griechenland als "Befreiungsschlag" plädiert. Nun hat ein solches Referendum stattgefunden - allerdings mit einem ganz anderen Text als dem von Ihnen intendierten.Alexander Kritikos: Der Vorschlag war, dass die griechische Bevölkerung gefragt wird, ob sie im Euro bleiben will - und dafür die nötigen, lange aufgeschobenen Strukturreformen durchführt. Oder ob sie zur Drachme zurückkehren will, was die Fortsetzung des Staatsdirigismus zur Folge hätte.

Wie würde denn Ihrer Ansicht nach heute ein Referendum mit dieser Fragestellung ausgehen? Mit einem Ja zum Euro?

Ich denke ja. Zumindest hätte man danach endlich Klarheit, was man machen müsste. Denn dieses "Nein" vom Sonntag ist ja nicht wirklich interpretierbar. Die Regierung hat gesagt, ein "Nein" bedeute keinen Austritt aus dem Euro. Im Gegenteil: Dann gäbe es sogar binnen 48 Stunden eine Verhandlungslösung. Man hat auch fragen lassen: Stimme ich zu, dass die Renten gesenkt werden? Wer stimmt da schon zu. Insofern darf man dieses Referendum nicht überinterpretieren. Es ist eine Abstimmung darüber, ob man weitere Sparmaßnahmen akzeptiert oder nicht. Mit dem "Nein" ist das klare Signal aus der griechischen Bevölkerung gekommen: Wir können nicht mehr.

Wie kann Griechenland aus dieser verfahrenen Lage überhaupt herauskommen? Es gibt ja unter Ökonomen eine Art Glaubenskrieg zwischen Anhängern eines Verbleibs Griechenlands im Euro und Leuten wie dem deutschen Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn, die einen "Grexit" favorisieren, weil Griechenland dann wieder abwerten und exportieren könnte. Ist ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone für Sie ein gangbarer Weg oder ist der "Grexit" der Weg in die Katastrophe?

Aus meiner Sicht ist der "Grexit" der Weg in die Katastrophe. Die Argumente, dass man mit einer abgewerteten Währung wieder konkurrenzfähig würde, greifen zu kurz. Griechenland hat nur wenige Exporte. Tourismus und die landwirtschaftlichen Produkte wie Tomaten und Oliven lassen sich im Euro genauso exportieren wie in der Drachme. Das Potenzial für Steigerungen ist minimal. Was aber viel wichtiger ist: Wenn man eine eigene Währung hat, heißt das, dass man auch eine eigene Notenbank braucht. Und die entscheidet dann auch wieder über die Geldmenge. Es ist zu befürchten, dass Griechenland dann erneut eine politische Notenbank bekommt, dass man also so viel Geld druckt, um seine Ausgaben zu finanzieren.

Und das würde den Schlendrian in Hellas prolongieren?

Ich fürchte, das würde jeden Reformdruck von Griechenland nehmen. Noch schlimmer wäre aber, dass es dann wieder Inflationsraten von 30 Prozent geben wird - wie in der Vergangenheit. In einem solchen Umfeld wird niemand investieren. Das wäre noch weit weniger attraktiv als das jetzige. Viele gut ausgebildeten Griechen - Forscher, Unternehmer, Fachkräfte - würden angesichts der Freizügigkeit innerhalb der EU wohl das Land verlassen. Sie werden nicht bereit sein, sich mit Löhnen abzufinden, die jedes Jahr 30 Prozent an Wert verlieren. Insofern glaube ich, dass das die völlig falsche Lösung ist. Es wird dann keine Investitionen geben.

Und das Nicht-Abwerten-Können, das der Euro mit sich bringt, sehen Sie nicht als Nachteil?

Das ist ein Vorteil, den man nutzen muss. Griechenland hat in den letzten zehn Jahren aber leider nichts gemacht aus einer stabilen, nicht abwertenden Währung, die für Investitionen attraktiv hätte sein können. Die griechischen Regierungen haben Deregulierung und Bürokratieabbau nicht gefördert.

Wie kann man sich das erklären?

Viele in Griechenland haben ein Interesse an diesem bürokratischen Dschungel. Das sind jene Unternehmer, die auf den Märkten kleine Monopole innehaben. Sie wissen, aufgrund der Dichte an Regulierungen ist der Eintritt in den griechischen Markt wahnsinnig schwer. Die Überregulierung schützt diese Leute vor Konkurrenz. Diese Unternehmer wissen zwar, dass sie ihren Ertrag mit korrupten Beamten teilen müssen, indem sie eben die üblichen Zahlungen leisten. Aber dafür haben sie den Vorteil eines geschützten Marktes. Sie haben ein Interesse daran, dass hier nichts verändert wird. Premierminister Alexis Tsipras hat ja vor Beginn seiner Amtszeit angekündigt, er wolle den Reichen sozusagen an die Gurgel. Das Beste, was er diesbezüglich machen könnte, wäre, zu deregulieren, um neuen Unternehmern den Eintritt in die Märkte zu ermöglichen. Damit könnte man diese lähmenden Monopole auflösen.

In der Nachbarschaft Griechenlands befindet sich die Türkei. Die griechische und die türkische Wirtschaft haben sich lange quasi parallel entwickelt. Seit der Einführung des Euro gibt’s in der Türkei einen Wirtschaftsaufschwung, während Griechenland in den Bankrott treibt. Hat das etwas mit dem Euro zu tun oder sind die Gründe für Griechenlands Desaster hausgemacht?

Die sind hausgemacht. Wir müssen uns ja nur andere Länder ansehen, die auch im Euro sind und permanent wachsen. Wir sehen das vor allem in den osteuropäischen Reformstaaten - egal, ob sie im Euro sind oder nicht. Die schaffen es, Wohlstand aufzubauen - durch entsprechende Investitionspolitik, durch Deregulierung und dadurch, dass man eben privates Unternehmertum unterstützt. Viele von ihnen haben inzwischen Griechenland überholt. Sie machen eben genau die Politik, die Griechenland nicht macht. Die nutzen die stabile Währung - sei es die eigene Währung wie in Polen oder den Euro - und sorgen für Innovation.

Ist es für Sie möglich, dass Griechenland ohne Schuldenschnitt wieder auf die Beine kommt? Was soll Griechenland in der jetzigen Situation überhaupt machen?

Was Griechenland jetzt ganz dringend braucht, ist eine Entscheidung, die klarmacht, bin ich im Euro oder nicht. Ein Ja oder Nein. Eine ewig dauernde Grexit-Debatte ohne Grexit ist schlimmer als der Grexit selbst. Wenn man im Euro bleiben möchte, muss man so schnell wie möglich zusehen, dass die griechischen Schulden tragfähig werden. Das muss kein direkter Schuldenschnitt sein, das kann auch ein indirekter sein, also etwa: Verlängerung der Laufzeiten der Kredite, Aussetzen der Zinszahlungen.

Nur wenn die griechische Staatsschuld tragfähig gemacht wird, wird die Grexit-Debatte enden. Nur dann. Das ist die Voraussetzung für alles. Wenn man diese Entscheidung nicht trifft, wird die Debatte sich fortsetzen. Außerdem müsste man natürlich all die Wirtschaftsreformen anstoßen, die jetzt ein halbes Jahr lang überhaupt nicht mehr im Gespräch waren. Diese Reformen in Kombination mit einem Investitionsprogramm für Griechenland, das wäre ein gangbarer Weg.

Sollte in Griechenland mehr investiert werden, statt dem Land Sparprogramme aufzuzwingen?

Solange die Überregulierung am griechischen Markt bestehen bleibt, hat es keinen Sinn, in Griechenland zu investieren. Das würde verpuffen. Beispielsweise kann man sich Investitionen in Forschung und Entwicklung in diesem Regulierungsumfeld ohne Deregulierung wirklich sparen. Es geht um die richtige Kombination von Investitionen und echten Strukturreformen. Sparen und Investieren ist hier kein Widerspruch: In Griechenland muss investiert werden, und zwar massiv, wenn man in Griechenland bereit ist, zu deregulieren. Trotzdem muss man an anderen Stellen auch anfangen, zu sparen - auch wenn das nicht mehr so im Vordergrund stehen sollte wie in den vergangenen fünf Jahren. Das jetzt diskutierte Rentenproblem beispielsweise muss man wirklich lösen. Es ist nur jetzt vielleicht nicht der beste Zeitpunkt dafür.

Wo müsste man in Griechenland am dringendsten investieren?

Beispielsweise in Forschung und Entwicklung. In anderen Ländern werden etwa drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in diesen Bereich gesteckt, in Griechenland 0,67 Prozent. Darüber hinaus ist die Logistikbranche sicher zukunftsträchtig, wenn man an die griechischen Häfen denkt. Und natürlich wäre es auch wichtig, in den IT-Sektor zu investieren. Griechenland hat hier großes Potenzial, das derzeit kaum genutzt wird.

Herr Kritikos, ich danke für das Gespräch.

Alexander Kritikos ist Forschungsdirektor der Querschnittsgruppe "Entrepreneurship" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Der Deutschgrieche hat unter anderem eine Professur für Industrie- und Institutionenökonomie an der Universität Potsdam inne und beschäftigt sich mit Entrepreneurship und Innovation.