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"Es braucht eine kleine Revolution"

Von Alexander U. Mathé

Politik

Die griechisch-britische Ökonomin Vicky Pryce über die Zukunft Griechenlands und warum der Euro schädlich war.


"Wiener Zeitung":Werfen wir einen Blick zurück. Was waren eigentlich die Ursachen für die Griechenland-Krise?

Vicky Pryce: Als Griechenland dem Euro beigetreten ist, waren die Zinsen auf Staatsanleihen auf einmal ziemlich niedrig. Die Schuldrückzahlungen der Regierung wurden dadurch stark reduziert. Das wiederum wurde dazu genutzt, den öffentlichen Sektor zu vergrößern. Das war zwar ein geborgtes Glück, aber es ist eine Zeit lang gut gegangen. Griechenland ist schnell gewachsen. Dann sind aber schon bald die Gewitterwolken aufgezogen: Die Regierung hat bei der Ausrichtung der Olympiade zuviel ausgegeben, zudem haben die Daten, die damals veröffentlicht wurden, nicht das ganze Problem Griechenlands abgebildet. Als dann die Finanzkrise ausgebrochen ist, hatte Griechenland schon ein ziemlich hohes Defizit, das immer größer wurde und auch die Wirtschaft kühlte ab. Als dann die Märkte bemerkt haben, dass die Zahlen schlechter waren als erwartet, gingen die Zinsen hinauf und Griechenland war nicht in der Lage, über die Kapitalmärkte sein Defizit zu verringern. Das Resultat war das erste Rettungsprogramm für Griechenland im Jahr 2010. Damit sollte es dem Land möglich gemacht werden, zumindest einen Teil seines Defizits zu reduzieren, das sich damals auf 50 Prozent der Wirtschaftsleistung belief. Es war einiges an Geld nötig, um diese Lücke zu schließen. Nachdem man Teil der Eurozone war, konnte man auf die üblichen Mechanismen wie etwa eine Währungsabwertung oder die Einführung einer neuen Währung nicht zurückgreifen. Das einzige, was Griechenland machen konnte, war eine interne Abwertung.

Was wurde da gemacht?

Die Regierung hat die Gehälter im öffentlichen Sektor und die Pensionen beschnitten sowie Ausgaben gekürzt. 2012, nachdem die Situation sich noch immer nicht gebessert hatte, gab es dann das zweite Rettungsprogramm. Inzwischen hatte speziell das Bankensystem Probleme und die griechischen Banken sollten am Leben gehalten werden. In diesem Programm war auch ein Schuldenschnitt für Privatinvestoren dabei. Vieles von dem Geld floss in die Rekapitalisierung, was es deutschen und französischen Banken, die im Sektor sehr involviert waren, erlaubt hat, ihr Geld abzuziehen, ohne zuviel zu verlieren. Ich bin überzeugt davon, dass es am Ende so war, dass der griechische Staat die Banken im Norden retten musste. Denn von dem Geld des zweiten Rettungsprogramms hat Griechenland fast nichts gesehen. Neben der Rekapitalisierung der Banken wurde es dazu verwendet, Schulden zu bezahlen, die bereits getilgt waren und Leute für ihre Verluste beim Schuldenschnitt zu kompensieren. Das Problem ist, dass Griechenland jetzt mit Sparmaßnahmen konfrontiert ist, die das Bruttoinlandsprodukt um 25 Prozent reduzieren und zu einer sehr hohen Arbeitslosigkeit, zumal Jugendarbeitslosigkeit, führen.

Wie problematisch ist es, dass die Eurozone aus Ländern mit so unterschiedlichen Bedürfnissen wie Deutschland und Griechenland besteht. Gibt es da einen Systemfehler? Es heißt ja, dass auch die spanische Immobilienkrise durch den Euro befeuert wurde.

Ja. In Spanien gab es dasselbe Problem: Die Zinsen waren niedrig und die deutschen und französischen Banken waren nur zu glücklich, Geld über das spanische Bankensystem verleihen zu können oder sogar Banken und Bankenanteile zu kaufen. So haben sie eigentlich den Immobilienboom in Spanien finanziert. Der Euro hat viele Fehler, unter ihnen einen einzigen, sehr niedrigen Zinssatz, der für Länder wie Österreich und Deutschland gut ist, allerdings auch für andere Länder gilt, die eine völlig andere Struktur haben und hoch verschuldet sind. Für die ist das alles andere als optimal. Wir leben nicht in einer optimalen Währungsunion. Ohne eine Risikoteilung mussten manche Länder die Überexpansion des Bankensystems auf sich nehmen und das ist speziell nach Einführung des Euro geschehen.

Wie könnte das System dahin gehend reformiert werden, dass es nicht zu einer weiteren Krise kommt?

Es würde schon einmal helfen, wenn Geld von den reichen zu den ärmeren Ländern fließt. Die Bankenunion in der Eurozone sollte zumindest sicherstellen, dass ein wenig Vertrauen in die Banken der verschiedenen Ländern zurückkehrt - auch innerhalb dieser Länder. Was am Anfang der Finanzkrise geschehen ist, ist, dass niemand mehr den Banken Geld leiht, was die Diskontsätze in die Höhe getrieben hat. Das wiederum hat zu beträchtlich weniger Vergabe von Konsumentenkrediten geführt und was noch wichtiger ist: Auch die Vergabe von Handelskrediten ist zusammengebrochen. Unternehmen wurden finanziell ausgehungert, weil sich die Banken rekapitalisieren mussten.

Blicken wir in die Zukunft. Es gibt ein Reformpaket, aber Griechenland wird tiefer greifende strukturelle Reformen brauchen. Wie könnten die aussehen?

Die Wirtschaft muss sich substanziell ändern. Sie muss viel unbürokratischer werden, sie muss ausländische Investoren anziehen und zwar solche, die die produktive Leistung Griechenlands erhöhen. Es hat zu lange Vorbehalte dagegen gegeben, dass es zu dieser Art von Einfluss kommt. Es müsste mehr in die Infrastruktur investiert werden - dazu wird es hoffentlich von Seiten Europas kommen. Die Verwaltung muss stark reformiert werden. Auf diesem Gebiet ist Griechenland eines der am wenigsten wettbewerbsfähigen Länder dieser Größenordnung. Die Arbeit auf ministerieller Ebene ist wenig zielgerichtet; es gibt kaum Kommunikation, dafür grassierende Korruption. Letztere ist ein wirklich ernstes Problem. Das sind alles Sachen, die man sich ansehen muss. Natürlich auch die Steuerflucht.

Braucht Griechenland beim Kampf gegen Korruption Hilfe von außen?

Ja. Allerdings ist das schwierig. Die vorangegangene griechische Regierung hat seinerzeit dafür einen griechischen Experten aus Großbritannien angeheuert. Der hat dann das Finanzamt geleitet und ein neues Team aufgebaut. Doch sein Wirken hat nicht lange gedauert. Es heißt, dass er, als er mehr Steuern von den Oligarchen eintreiben wollte, ein paar der großen Fische irritiert hat. Er wurde dann durch jemand anderen ersetzt. Er ist jetzt Abgeordneter, nachdem er vorher ein Beamter gewesen ist. Er hat sich der linken Partei Potamos angeschlossen. Es gibt Gerüchte, dass er wieder an die Spitze des Finanzamts zurückkehren könnte. Aber Griechenland benötigt natürlich generell mehr Hilfe von außen.

Wie kann Griechenland zu Geld kommen? Das Land lebt ja praktisch vom Tourismus. Die Industrie macht gerade einmal sechs Prozent der Wirtschaftsleistung aus und das größte börsennotierte Unternehmen ist ein Flaschenabfüller, die teilweise Coca Cola gehört.

Der erwähnte Tourismus befindet sich derzeit auf Rekordniveau. Auch wenn manch einer aus Furcht vor dem Grexit noch in letzter Minute versucht hat, seinen Urlaub zu stornieren. Es herrschte eben Angst, dass man von der Bank kein Geld bekommt. Das ist selbstverständlich nach wie vor möglich. Der Tourismus könnte jedenfalls noch eine ordentliche Modernisierung vertragen. Auch im Bereich der Landwirtschaft kann mit Infrastruktur und Marketing viel bewirkt werden. Die Produktion ist hier auch noch zu kleinteilig und unorganisiert. Es braucht eine kleine Revolution. Man könnte die Anbindung der Inseln verbessern, sodass man beispielsweise in Athen griechische Tomaten zu kaufen bekommt, statt aus den Niederlanden importierte. Was die Industrie betrifft, stimmt es, dass die sehr klein ausfällt. Einer der Gründe dafür ist, dass das wenige an Industrie, das es hier gegeben hat, sehr geschützt wurde. Das, weil die großen Länder keine Konkurrenz von kleineren Ländern haben wollten. Das ausländische Kapital, das einen Aufbau der Industrie möglich gemacht hätte, ist da natürlich auch ausgeblieben. Jetzt allerdings ist Griechenland sehr billig geworden. Die Löhne sind signifikant gefallen. Es gibt also keinen triftigen Grund, warum etwas nicht hier, statt etwa in Rumänien produziert werden könnte. Griechenland könnte der Verteilerknoten für die ganze Region sein, inklusive des Mittleren Osten - immer vorausgesetzt, die Kriege hören dort einmal auf. Und dann gibt es noch die Schiffsindustrie. Die bietet sehr viele Arbeitsplätze, auch wenn sie wenig Steuern einbringt, aber das ließe sich ändern. Was auch immer geschieht, um die Wirtschaft neu zu strukturieren, es wird viel Planung und Kooperation nötig sein. Nur leider waren die Griechen bisher in keinem von beiden herausragend. Das könnte sich aber ändern, weil die Griechen wissen, dass sie sich ändern müssen.

Gibt es Möglichkeiten für intelligente Privatisierung, die auf lange Sicht auch dem Land etwas bringt? Als einer der ersten Werte wurde ja die Lotterie privatisiert, was nicht unbedingt schlau ist, angesichts der Tatsache, dass hier gerade in Krisenzeiten mit konstant hohen Einnahmen zu rechnen ist.

Was wirklich funktionieren könnte, sind die Inseln. Es gibt da sehr viel Besitz, der verkauft werden könnte, um eine ordentliche Industrie und Handelszentren aufzubauen und so etwas Sinnvolles zu entwickeln. Das ist am Anfang unter den Rettungsprogrammen geschehen, aber man ist nicht sehr weit gekommen. Das ist aber seinerzeit sehr planlos und zum Schleuderpreis erfolgt.

Welches werden die wichtigsten Faktoren für die Entwicklung Griechenlands sein?

Der erste ist die Regierung. Viel wird davon abhängen, ob Griechenland die Art von Politikern und Verwaltung haben wird, die einen Wandel möglich machen und die Bürokratie verringern. Dann die angebotenen Anreize, um Kapital ins Land zu holen, auch wenn hier von der EU schon viel in die Osterweiterung geflossen ist. Und drittens der Bankensektor, der wieder in der Lage sein muss, kleine und mittelständische Betriebe mit Krediten zu versorgen.

Vicky Pryce ist eine griechischstämmige britische Wirtschaftlerin. Sie war Chefin des Wirtschaftsservices der britischen Regierung und ist Autorin des Buchs "Greekonomics", in dem sie die Euro- und Griechenlandkrise analysiert.