Athen. Mit seiner Zustimmung zu einem ersten schmerzhaften Reformpaket hat das griechische Parlament den Weg frei gemacht für Verhandlungen über ein dringend benötigtes drittes Hilfspaket der Euro-Länder. Für die Rentenreform und andere Maßnahmen stimmten in der Nacht zum Donnerstag in Athen 229 Abgeordnete, dagegen 64. Griechenland.

Schäuble stellt Verhandlungen über ESM in Aussicht

Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble hat die Zustimmung des griechischen Parlaments zu den mit den Geldgebern abgesprochenen Reformplänen als Fortschritt begrüßt. "Wir sind einen Schritt weiter", sagte er dem Radiosender Deutschlandfunk. "Das ist ein wichtiger Schritt." Die Eurogruppe werde nun vermutlich empfehlen, konkrete Verhandlungen über ein ESM-Hilfspaket aufzunehmen.

Sehr viele Ökonomen zweifelten daran, dass in Griechenland ohne einen wirklichen Schuldenschnitt die Probleme wirklich gelöst werden könnten, sagte Schäuble. Ein wirklicher Schuldenschnitt sei aber mit einer Mitgliedschaft des Landes im Euro unvereinbar, das Land müsste also zeitweilig die Währungszone verlassen. "Aber es wäre vielleicht für Griechenland der bessere Weg", verteidigte er eine entsprechende Idee, die er ins Gespräch gebracht hatte.

Der Chef des ESM-Rettungsschirms, Klaus Regling, geht davon aus, dass der ESM von den insgesamt vorgesehenen bis zu 85 Milliarden Euro Hilfen für Griechenland etwa 50 Milliarden Euro übernehmen wird. Das sagte Regling am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin".

"Die Summe ist nicht mindestens, sondern höchstens 85 Milliarden Euro. So hat sich der Gipfel am Wochenende geeinigt", betonte er. "Ich erwarte, dass aus dem Rettungsschirm nur davon ein großer Teil kommt, vielleicht 50 Milliarden, denn an dem Rettungspaket beteiligt sich auch der IWF." Die genaue Summe sei aber noch unbekannt.


Keine Alternative?

Regierungschef Alexis Tsipras hatte die Auflagen als alternativlos dargestellt, damit aber knapp ein Drittel seiner Fraktion nicht überzeugt. Von den 64 erklärten Gegnern der Reformauflagen gehören 32 Tsipras' Syriza-Partei an. Auch die sechs Enthaltungen kamen aus dem Regierungslager, ein weiterer Abgeordneter blieb der Abstimmung fern. Vorab hatte Vize-Finanzministerin Nadia Valavani aus Protest gegen die Auflagen ihren Rücktritt eingereicht.

Tsipras verlor damit die eigene Regierungsmehrheit von 162 der 300 Parlamentssitze. Ohne die Unterstützung des Koalitionspartners Anel und der proeuropäischen Oppositionsparteien hätte er die Maßnahmen, zu denen auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und automatische Ausgabenkürzungen gehören, nicht durchs Parlament gebracht.

Auch Ex-Finanzminister Varoufakis stimmte mit Nein

Die Zustimmung verweigerten unter anderem Energieminister Panagiotis Lafazanis und Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou. Auch der ehemalige Finanzminister Yanis Varoufakis stimmte mit Nein. Die Zahl der Abweichler in der Syriza-Fraktion lag in etwa so hoch wie erwartet. Einen Stimmungsumschwung hatte Tsipras auch mit seinem eindringlichen Appell vor dem Parlament nicht bewirken können.

"Ich stand vor verschiedenen Möglichkeiten: Eine war es, ein Abkommen zu akzeptieren, mit dem ich in vielen Punkten nicht einverstanden bin, eine andere war ein ungeordneter Zahlungsausfall", erklärte Tsipras den Abgeordneten sein Dilemma. Es gebe "für uns alle keine andere Möglichkeit, als die Last dieser Verantwortung zu teilen". "Wir werden nicht von unserem Versprechen abrücken, bis zum Ende für die Rechte der arbeitenden Menschen zu kämpfen", versprach Tsipras zugleich.

Der neue Finanzminister Euklides Tsakalotos sagte in der Parlamentsdebatte, die Entscheidung für das neue Hilfspaket werde "auf meinem ganzen Leben lasten". "Ich weiß nicht, ob wir das Richtige getan haben. Ich weiß, dass wir etwas getan haben, bei dem wir aus unserer Sicht keine Wahl hatten", bekannte Tsakalotos. Der zweite Teil des Reformprogramms soll bis Mittwoch kommender Woche verabschiedet werden.

Der Chef der griechischen konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, Evangelos Meimarakis, begrüßte die Zustimmung zu den Spar- und Reformgesetze. "Das Parlament hält Griechenland auf Kurs", sagte Meimarakis am frühen Donnerstagmorgen. Dies sei die richtige Nachricht an Europa. Neuwahlen seien für ihn keine Option, sagte Meimarakis. Seine Partei werde auch kein Misstrauensvotum beantragen, obwohl die Regierung ihre Mehrheit bei dieser Abstimmung verloren habe.

Der Anführer des linken Flügels der Syriza-Partei, Energieminister Lafazanis, erklärte, er unterstütze weiter die Regierung trotz der negativen Stimmen bei diesem Votum. "Wir werden gemeinsam weitermachen. Wir stützen die Regierung, sind aber gegen die Sparprogramme", sagte er.

17-stündiger Verhandlungsmarathon

Die Euro-Länder hatten sich am Montag nach einem 17-stündigen Verhandlungsmarathon bereit erklärt, das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland mit einem neuen Milliarden-Programm zu unterstützen. Sie knüpften dies aber an umfangreiche Bedingungen. Diese sind weitaus härter als die Gläubiger-Bedingungen, die die Griechen in einem Referendum vor eineinhalb Wochen abgelehnt hatten.

Daran erinnerten auch aufgebrachte Demonstranten vor dem Athener Parlament. Sie hielten Schilder mit der Aufschrift "Wir haben 'Nein' gesagt, wir haben 'Nein' gemeint" hoch. An der Demonstration beteiligten sich rund 12.000 Menschen. "Er hat uns belogen", schimpfte ein Demonstrant über Tsipras. "Wenn er noch ein Fünkchen Ehre hat, muss er zurücktreten."

Am Rande der Protestkundgebung warfen junge vermummte Demonstranten Steine und Brandbomben auf die Polizei. Der Kleinbus eines Fernsehsenders wurde in Brand gesetzt, mehrere Geldautomaten und Schaufenster zerstört. Die Polizei setzte Tränengas und Pfefferspray ein. Nach Angaben aus Polizeikreisen wurden vier Beamte leicht verletzt und etwa 40 Randalierer festgenommen.

Griechenland ist akut von der Pleite bedroht, die Banken sind seit zweieinhalb Wochen geschlossen. Der Finanzierungsbedarf des Landes in den kommenden drei Jahren wird mit 82 bis 86 Milliarden Euro beziffert. Davon sollen die Euro-Länder etwa 40 bis 50 Milliarden Euro aufbringen. Es dürfte allerdings noch Wochen dauern, bis das neue Hilfspaket steht, zumal auch einige Parlamente anderer Euro-Länder zustimmen müssen.

Der deutsche Bundestag stimmt am Freitag über die offizielle Aufnahme von Verhandlungen über das Hilfsprogramm ab, es wird mit einer Zustimmung gerechnet. Auch der Nationalrat in Wien soll am Freitag über das Verhandlungsmandat abstimmen.

Telefonkonferenz der Eurogruppe am Donnerstagvormittag

Wenige Stunden nach dem Votum des griechischen Parlaments über die Spar- und Reformauflagen der internationalen Geldgeber wollen die Euro-Finanzminister bei einer Telefonkonferenz über das weitere Vorgehen beraten. Für Donnerstagvormittag 10 Uhr ist eine Telefonkonferenz angesetzt.

Tweets: Wo ist Tsipras? Antworten: Warum versteckt er sich heute Abend? (links oben) Verteidigt nicht einmal sein Abkommen im Parlament (rechts oben). Eine Frage, die sich alle stellen (links unten). Vielleicht tritt er zurück? (rechts unten)
Tweets: Wo ist Tsipras? Antworten: Warum versteckt er sich heute Abend? (links oben) Verteidigt nicht einmal sein Abkommen im Parlament (rechts oben). Eine Frage, die sich alle stellen (links unten). Vielleicht tritt er zurück? (rechts unten)