Zum Hauptinhalt springen

Auf dem Sprung ins Exil

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Die junge Generation bezahlt in Griechenland nun für die Jahre des schönen Scheins. Wie fünf Studentinnen in Athen mit der Krise leben - und wie sie ihre Zukunft sehen.


Athen. "Eigentlich gibt es für uns hier keine Zukunft", sagen Nefeli, eine Studentin mit langer, schwarzgelockter Mähne und Vasilina, die ihre dunklen Haare mit Henna rot getönt hat. Die zwei jungen Griechinnen sitzen mit ihren Freundinnen Georgia, Lia und Katerina in einem Café des Athener Studentenviertels Exarchia vor Eiskaffee, Papieren und Laptops.

Mit Ausnahme von Vasilina, die Medizin studiert, bereiten sich die jungen Frauen gerade auf das Jahresexamen an der Athener Fachhochschule für Innenarchitektur vor; ein Jahr müssen sie noch studieren. Alle sprechen hervorragend Englisch und wirken sehr weltoffen.

"Nein gesagt wegen Würde"

"Wir wollen keine Milliarden ohne Gegenleistung und unser Klientelsystem, das uns heruntergewirtschaftet hat, ist total falsch", sagt Vasilina, "aber wir haben Nein gesagt wegen unserer Würde." Wie die große Mehrheit der jungen Griechen haben sie beim Referendum über die Sparmaßnahmen mit Oxi (Nein) gestimmt. Weil sie glauben, dass sie nichts mehr zu verlieren haben. Alle fünf haben Europa bereist und lieben gelernt, hassen aber die Austeritätspolitik, die ihnen auferlegt wird, und deren Folgen: Krise, Massenarbeitslosigkeit, Obdachlose und Bettler. Dazu kamen in der letzten Woche Hamsterkäufe der Eltern, die sich wegen der Kapitalverkehrskontrollen Vorräte an Spaghetti, Reis und wichtigen Arzneien anlegten.

Sie haben das Oxi angekreuzt, obwohl sie genau wussten, welche Konsequenzen damit verbunden sein könnten: ein Euro-Austritt mit noch mehr Armut. Keineswegs wollen sie den Euro aufgeben, mit dem sie ein Gefühl für das geeinte Europa verbinden. Den jungen Regierungschef Alexis Tsipras mögen sie. Nefeli sagt, sie habe sich über das Ergebnis des Referendums gefreut, weil es zeigte, dass sie mit ihren Gefühlen und Ängsten nicht allein seien. Die zurückhaltende Lia ist skeptischer. "Wir hatten keine andere Wahl, aber jetzt wollen wir auch Resultate sehen", sagt sie. Da stimmen die anderen zu.

Die jungen Frauen kennen kaum jemanden in ihrem Alter, der eine feste Arbeit hat. 50 bis 60 Prozent der jungen Griechen sind arbeitslos. Wer nicht studiert, lebt von Eltern oder Großeltern oder hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.

Deshalb droht Griechenland die Abwanderung einer ganzen Generation, wenn die Wirtschaftskrise anhält. Fast eine Viertel Millionen meist junger Leute haben das Land in den vergangenen drei Jahren bereits verlassen. Hunderttausende weitere sind auf dem Sprung. Wie Nefeli, Vasilina, Georgia, Lia und Katerina.

"Wir sind die Kinder der goldenen Jahre. Wir haben nie schlimme Zeiten erlebt", sagt die 23-jährige, zierliche Georgia, die einen Ring durch die Unterlippe trägt. "Die Gehälter stiegen ständig, jeder hatte ein Haus, zwei oder drei Autos, machte jährlich Urlaub auf den Inseln. Das ist alles über Schulden finanziert worden - aber wir Jüngeren haben doch nichts damit zu tun."

Vasilina, deren Vater Arzt und deren Mutter Lehrerin ist, widerspricht: "Zumindest meine Familie hat nie über unsere Verhältnisse gelebt. Wir haben ein Auto und ein Haus, aber nie teure Klamotten oder Schuhe gekauft."

Einige Eltern, wie die von Nefeli und Katerina, sind noch aus armen Dörfern ohne Stromanschluss in die Millionenmetropole Athen gezogen. Aber alle sind inzwischen Teil einer breiten Mittelschicht, die in den vergangenen Jahrzehnten entstand und jetzt den sozialen Abstieg erlebt. Und wie die Eltern von Georgia, ehemalige Angestellte einer staatlichen Bank, wollten auch die anderen Mütter und Väter aus ihren Kindern etwas "Besseres" machen. Es habe enormen Druck gegeben, dass sie studieren und "Know-How" erwerben. "Ob in der Stadt oder im Dorf, alle Kinder sollen studieren und am besten Wissenschaftler werden", spottet Vasilina, mit 22 Jahren die jüngste der Gruppe.

Wohnen im "Hotel Mama"

Dafür hätten die Eltern enorm viel Geld investiert, sagen die jungen Frauen. Jetzt finanzieren sie das Studium, deren Kosten sich auf rund 300 Euro im Monat summieren und nur deshalb nicht höher sind, weil sie entweder noch im "Hotel Mama" wohnen oder bei Geschwistern eingezogen sind. Die fünf bestätigen, dass sie außer für Computerprogramme, Bücher und Zeichenmaterial keine großen Ausgaben haben. "Nur der Kaffee und die Zigaretten müssen sein", sagt Vasilina und zündet sich eine Selbstgedrehte an.

Als die Mädchen 2010 ihr Studium begannen, war Innenarchitektur noch ein gefragter Beruf. Heute ist das anders. Designer und Innenarchitekten hangeln sich von Job zu Job. "Ich bin gut ausgebildet, kann hier aber nur 500 Euro im Monat verdienen. Das ist der Grund, warum praktisch alle jungen Leute, die ich kenne, ins Ausland wollen", sagt die forsche Nefeli und nimmt einen Schluck Eiskaffee.

Die Eltern unterstützen ihre Auswanderungspläne, ergänzt Vasilina. "Natürlich wollen sie, dass ihre Kinder dahin gehen, wo sie bessere Chancen und eine Zukunft für sie sehen." Sie selbst fühle sich als Europäerin, und als EU-Bürgerin stehe ihr jedes Land der Union ohne Visum offen. "Das ist toll und macht es uns leicht. Würde ich in Istanbul leben, wäre es viel schwieriger, dann bräuchte ich ein Visum, eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung. Aber das fällt für uns ja alles weg, weil Griechenland zur EU gehört."

Vasilina denkt darüber nach, in London zu leben, wo sie ein Praktikum absolviert hat. Keine der Freundinnen hat Angst vor dem Auswandern. Nefeli zum Beispiel ist oft in Berlin, weil ihr Freund Deutscher ist. Sie liebe das viele Grün in der deutschen Hauptstadt, die guten Spielplätze für die Kinder, die Wertschätzung der Frauen in der Gesellschaft, das bessere Sozialwesen, sagt sie.

Es ist nicht so, dass die jungen Frauen nicht die Fehler der älteren Generation erkennen würden, vor allem der Politiker, aber auch ihrer Eltern, weil sie schließlich diese Politiker gewählt hätten. Seit Beginn der Wirtschaftskrise reden die Studentinnen oft mit ihren Eltern über die Gründe dafür. "Wir wollen wissen, wieso es dazu kam, dass wir jetzt für ihre Fehler büßen müssen."

Sie streiten sich, weil die Eltern ihnen vorwerfen, undankbar zu sein, während sie sich einschränken.

"Meine Eltern sind pensioniert und sind jetzt wieder ins Dorf der Großeltern gezogen. Sie bauen auf den alten Feldern wieder Gemüse und Obst für sich an, wie sie es früher getan haben", erzählt Georgia.

"Fürchte, alles wird schlimmer"

Einige Eltern leben bereits von Pensionen, obwohl sie noch gar nicht so alt sind. Anders als viele Deutsche verfügen sie alle nicht über nennenswerte Sparguthaben. Die wichtigste Vorsorge durchschnittlicher griechischer Familien ist die eigene Immobilie, um keine Miete zahlen zu müssen. Die jungen Frauen halten es aber für abwegig, Griechenland als Entwicklungs- oder Schwellenland zu bezeichnen. S

ie wissen jedoch auch, dass der schöne Schein auf Pump finanziert wurde. Nefeli sagt, sie wolle eigentlich nicht ins Ausland nur wegen der besseren Bezahlung. "Geld allein macht nicht glücklich. Hier ist mein ganzes Leben, meine Umgebung, meine Freunde, meine Kultur. Aber ich fürchte, dass alles noch viel schlimmer wird und ich dann keine wirkliche Alternative habe."

Nur die beiden Stillsten in der Runde, Georgia und Katerina, glauben noch daran, dass sie in Griechenland Arbeit finden können. "Enorm viele junge Leute waren im Ausland wie wir, haben ein anderes Denken kennengelernt und sind flexibel. Wir könnten Griechenland neu aufbauen" sagt Katerina, Tochter eines Seemanns. "Wir sollten hier bleiben und kämpfen."

Die anderen nicken, aber man sieht ihnen an, dass sie nicht wirklich daran glauben.