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"Syriza hat sich selbst marginalisiert"

Von Gerhard Lechner

Politik

Die griechische Politologin Eleni Panagiotarea im Interview über die Selbstüberschätzung der Regierung Tsipras und die fundamentalen Fehler, die bei der Konstruktion des Euro gemacht wurden.


"Wiener Zeitung": Frau Panagiotarea, die griechische Regierung musste bei den Verhandlungen in Brüssel ihren Widerstand gegen die verordneten Sparprogramme aufgeben. Griechenland wird unter Kuratel der Gläubiger gestellt. Sind die Bedingungen der Geldgeber zu hart? Oder sind die Maßnahmen gerechtfertigt?

Eleni Panagiotarea: Es ist sicher das bisher härteste Bailout-Programm. Daran ist die griechische Regierung nicht ganz unschuldig. Mit dem Referendum hat sie ihre Partner in der Eurozone provoziert. Die von der linken Syriza geführte griechische Regierung sah in dem Referendum einen Sieg der Demokratie. Die Partner in der Eurozone werteten es als ein Nein zur weiteren Mitgliedschaft im Euro. Eben das wirkte sich für die Syriza-Regierung fatal aus: Nach dem Referendum hatte sie es noch schwerer, ihre Partner davon zu überzeugen, dass Griechenland im Euro bleiben will. Es gab ein totales Defizit an Vertrauen. Am Ende hat Griechenland im Grunde in jedem einzelnen Punkt kapituliert.

Abgesehen vom Referendum: Was waren die Hauptfehler der griechischen Regierung?

Ich glaube nicht, dass Syriza einen kohärenten Wirtschaftsplan hatte - einen Plan, wie man Wachstum in der griechischen Wirtschaft fördern und Griechenlands Schulden reduzieren kann. Auch das Regelwerk in der Eurozone hat die Regierung nicht verstanden. Man muss bedenken: Griechenland war Ende letzten Jahres bereits an einen guten Punkt gelangt. Es gab im letzten Quartal 2014 einen Primärüberschuss, die griechische Wirtschaft ist wieder moderat gewachsen. Das Land war am Weg, seine Wirtschaft wieder aufzubauen. Man konnte hoffen, dass Griechenland mittelfristig wieder Zugang zu den Märkten erhält.

War es also die Syriza-Regierung, die diese positiven Entwicklungen beendete und das Land an die Wand fuhr? Ministerpräsident Alexis Tsipras wurde ja im Jänner 2015 gewählt.

Die Syriza-Regierung hat sich hohe Ziele gestellt, vielleicht zu hohe. Statt die nötigen Reformen in Griechenland durchzuführen, ging es ihr mehr darum, die Wirtschaftspolitik der ganzen Eurozone zu verändern. Theoretisch hätte sie dafür auch Verbündete finden können: In der Eurozone hoffen schließlich eine ganze Reihe Länder auf ein alternatives Wirtschaftsmodell, das vor allem auf Wachstum und Investitionen setzt statt auf allzu exzessives Sparen. Aber die Syriza-Regierung hat ihren Vertrauensvorschuss in Europa sehr, sehr schnell verspielt. Mit ihrer radikalisierten Rhetorik und ihrer Art, die Regeln der Eurozone einfach zu ignorieren, hat sich die griechische Regierung keine Freunde gemacht. Sie hat sich selbst marginalisiert.

Sie haben vor einiger Zeit im griechischen Finanzsektor gearbeitet und waren als Beraterin für verschiedene Ministerien tätig. Was sind die strukturellen Probleme der griechischen Wirtschaft?

Das größte Problem ist zweifelsohne der übergroße öffentliche Sektor. Die überdehnte Bürokratie und die allgegenwärtige Korruption würgen die Aktivität der Wirtschaft ab. Dazu kommt noch ein schwaches politisches System und ein nicht stabiles Steuersystem. Seit der Übernahme der Regierung durch Syriza, seit gut einem halben Jahr also, stand zudem auch noch Griechenlands Mitgliedschaft in der Eurozone zur Disposition.

Wäre ein "Grexit", ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone, nicht ein gangbarer Weg? Sowohl linke griechische Ökonomen wie Costas Lapavitsas wie auch konservative deutsche Wirtschaftsforscher wie Hans-Werner Sinn fordern ihn.

Als man die Eurozone konstruierte, hat man leider einige fundamentale Fehler begangen. Für einen Staat wie Griechenland ist es sehr schwer, sich in einer Währungsunion mit einigen der größten Wirtschaftsmächten der Welt - wie Deutschland - zu behaupten. Das hätte in jedem Fall entweder eine Fiskalunion oder einen brauchbaren Transfermechanismus notwendig gemacht, der Griechenland im Falle eines "assymetrischen Schocks" helfen hätte können. Die griechische Wirtschaft war nicht fit für die europäische Währungsunion. Griechenland hat es darüber hinaus auch noch versäumt, in den ersten Jahren in der Eurozone die nötigen Reformen zu machen.

Und was soll Griechenland jetzt machen? Raus aus dem Euro?

Nein. Derzeit liefert die Eurozone das einzige Sicherheitsnetz für Griechenland. Nicht nur finanziell, auch geopolitisch. Für Griechenland ist es jetzt das Beste, im Euro zu bleiben. Die Regierung muss aber eine Reihe wichtiger Reformen vorantreiben: Man muss mit der Überregulierung der Wirtschaft Schluss machen, eine brauchbare Pensionsreform durchführen und Privatisierungen auf den Weg bringen. Griechenland braucht Reformen, die ihm helfen werden, seine Wirtschaft zu öffnen. Das würde langfristig auch dem Export helfen.

Aber wird der griechische Export nicht gerade durch den - aus griechischer Sicht starken - Euro abgewürgt? Die Drachme würde, sagen die Grexit-Befürworter, Griechenland erst wieder die Chance geben, die Exporte zu steigern.

Ich denke, das wäre jetzt der falsche Weg. Griechenland muss seine Leistungsfähigkeit steigern, in Forschung und Entwicklung investieren und Unternehmergeist im Land ermöglichen. Es muss ein gutes Geschäftsklima erzeugen, auch für ausländische Investoren. All das braucht natürlich Zeit. Wenn es aber den politischen Willen für solche Reformen gibt, sehe ich nicht, warum all das nicht passieren soll. In gewissem Sinne hätte gerade die Syriza-Regierung die Chance dazu. Sie ist als Anti-System-Partei angetreten. Sie ist eine neue Partei und - zumindest theoretisch - nicht so sehr der Klientelpolitik verhaftet wie die traditionellen griechischen Parteien. Allerdings gibt die bisherige Politik Syrizas da nur wenig Hoffnung. Möglicherweise ändert sich die Lage aber durch dieses schmerzhafte Abkommen von Brüssel. Es sieht zumindest so aus, dass es jetzt einen nationalen Konsens darüber gibt, dass Griechenland in der Eurozone bleiben muss.

Zur Person
Eleni Panagiotarea ist eine Analytikerin zu wirtschaftspolitischen Themen beim Think-Tank Eliamep in Athen. Sie hat als Beraterin für das griechische Außen- und Finanzministerium gearbeitet. Panagiotarea hat mehrere Publikationen zu Griechenland und zur Euro-Krise verfasst.