Zum Hauptinhalt springen

Der Preis der EU

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Für seine Annäherung an die europäische und transatlantische Gemeinschaft musste Georgien schon bezahlen. Die Mühe sollte aber auch Früchte tragen, meint Außenministerin Tamar Beruchaschwili im Interview.


Batumi. Es sind Trippelschritte, mit denen sich Georgien in seine gewünschte Richtung bewegt. Die Annäherung an die Europäische Union kostet die Südkaukasus-Republik mit ihren knapp vier Millionen Einwohnern Zeit und Mühe. Reformen im Justizwesen, in der Verwaltung oder die Anpassung wirtschaftlicher Standards sind gefordert. Mehr als 6000 europäische und internationale Normen sind nach Angaben der Regierung in Tiflis bereits erfüllt. Doch nicht nur die Visa-Abschaffung lässt auf sich warten, sondern auch die vollständige Umsetzung eines weit reichenden Handelsabkommens mit der EU, das seit fast einem Jahr provisorisch in Kraft ist. Erst diese Woche ratifizierte Deutschland den Vertrag; in Österreich geschah das vor gut zwei Wochen.

Viele Alternativen zu einer Anbindung an die EU hat Georgien jedoch nicht: Das Verhältnis zum benachbarten Russland, das im August 2008 Truppen ins Land geschickt hat, bleibt angespannt. Für Außenministerin Tamar Beruchaschwili ist das der Preis für eine Entscheidung, die schon vor Jahren gefallen ist.

Wiener Zeitung":Georgien, Moldawien, die Ukraine - die Hälfte der Staaten, mit denen die EU in der östlichen Partnerschaft verbunden ist, hat russische Militärinterventionen zu spüren bekommen. War die Reaktion der Europäer darauf zu weich?

Tamar Beruchaschwili: Die Ereignisse in der Ukraine waren ein mächtiger Weckruf. Doch dürfen sie nicht isoliert betrachtet werden. Es fing nämlich schon früher an: Die russische Aggression 2008, die zu einer Besetzung von Teilen des georgischen Territoriums geführt hatte, war nicht nur von regionaler Bedeutung. In ihr war schon ein Muster sichtbar, das eine Gefahr für die europäische Konstruktion darstellt. Russland will seine Einflusssphäre wieder ausweiten, ähnlich umfassend wie in Zeiten der Sowjetunion. Es baut eine Drohkulisse auf, um Länder an ihren eigenen Entscheidungen zu hindern. Das Konzept ist klar, und es ist kein modernes.

Sind die - mittlerweile verlängerten - Sanktionen gegen den Kreml eine ausreichende Antwort darauf?

Alle Instrumente sollten genutzt werden, um die Werte und Regeln zu verteidigen, für die die europäische Union einsteht. Dazu gehört auch das Recht unabhängiger Staaten auf eine selbstbestimmte Außenpolitik. Es geht nicht nur um den Schutz der Ukraine oder Georgiens, sondern der Werte der EU. Da müsste die Union mutiger sein. Im Fall Georgiens ist es ihr nicht gelungen, die weit reichenden Auswirkungen der russischen Intervention abzuschätzen. Die Gemeinschaft ging schnell wieder zum "Business as usual", zu ihren üblichen Geschäften zurück.

Von Enttäuschung über die EU möchte dennoch kein georgischer Regierungsvertreter sprechen. Ist die Bevölkerung auch so zurückhaltend oder könnte die Sympathie für die Union bald sinken?

Die Zustimmung zur EU ist noch immer sehr hoch. Aber wir müssen ihr auch Nahrung geben, um sie zu erhalten - und um den Menschen zu zeigen, dass unsere Bemühungen nicht umsonst sind. Denn Georgien hat teuer bezahlt für seine Entscheidung, sich der EU und Nato zuzuwenden. Der Krieg im Jahr 2008 war der Preis für seine Nato-Ambitionen. Doch unsere Arbeit muss auch Früchte tragen.

Das scheint die EU derzeit nicht im Blickfeld zu haben...

Sie müsste es aber, auch um selbst glaubwürdig zu bleiben. Und wir brauchen sie als glaubwürdige Partnerin, die uns auf unserem Weg unterstützt. Sie will ja selbst die Demokratie in ihrer Nachbarschaft stärken. Die EU hat ebenfalls Vorteile, in der Zusammenarbeit bei der ökonomischen Entwicklung, der Energieversorgung, der Sicherheitspolitik. Für die Wirtschaft kann Georgien als Drehscheibe für die gesamte Region dienen.

Deswegen ist die Wirtschaft ja für eine rasche Abschaffung der Visa-Pflicht für Georgier. Doch die Politik zögert. Schon vor gut zwei Monaten, beim Gipfel der Ostpartnerschaft in Riga, haben Sie auf verbindliche Zusagen aus der EU gehofft. Die sind aber ausgeblieben. Und wieder die Frage: Ist das nicht enttäuschend?

Selbstverständlich würden wir in der EU gern mehr Visionen und Mut sehen bei der Unterstützung jener Länder, die europäische Ambitionen haben und diesen auch verpflichtet sind. Wir haben uns schon vor Monaten ein klareres Signal für die Visa-Liberalisierung erhofft, weil Georgien viel Mühe in die Erfüllung der Bedingungen investiert hat. Auf der anderen Seite wissen wir, dass Politik die Kunst des Möglichen ist. Und die Erklärung des Gipfels in Riga war das Ergebnis eines Kompromisses zwischen mehr als 30 Staaten.

Die Entscheidung über Visa-Liberalisierungen ist so - zumindest - auf Jahresende verschoben. Wird es dann im nächsten Jahr Reisefreiheit geben?

Es ist extrem wichtig, sich an Zusagen zu halten. Das muss Georgien tun - aber ebenfalls die EU. Das ist nicht nur für die Politik von Belang, sondern auch für die Bürger. Am konkreten Beispiel der Visa-Abschaffung würden die Georgier sehen, dass die EU-Aspirationen ihres Landes eine positive Auswirkung auf die Menschen haben. Zusammen mit dem Freihandels-Abkommen ermöglicht das mehr persönliche Kontakte, für Wirtschaftstreibende, Studenten, Touristen. Wenn wir Partner und Nachbarn sein wollen, müssen wir uns aufeinander zubewegen können. 

Zur Person Tamar Beruchaschwili.
Die 1961 geborene Karrierediplomatin beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit der europäischen Integration ihres Landes. Seit November ist sie Außenministerin Georgiens. Die Ökonomin, die auch Chemie und Französisch studiert hat, war ebenfalls als Hochschulprofessorin tätig.