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Grüße aus der Planwirtschaft

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik
Bloß weg von den Ruinen: Der Athener Anwalt Yannos Grammatidis berät griechische Firmen, die ihren Sitz ins Ausland verlegen wollen. Beliebte Ziele sind Irland, Luxemburg und Zypern.
© Ferry Batzoglou

Die Kapitalverkehrskontrollen beschleunigen noch einmal die Firmenflucht aus Griechenland.


Farsala. "Ich bin ein Industrieller. Ich glaube an die Produktion". Apostolos Dontas, Mitte vierzig, Bubi-Gesicht, Scheitel, schreitet durch eine Produktionshalle seiner Firma Epilektos in Farsala in Zentralgriechenland. Unentwegt wird hier Baumwolle mit der Presse zu großen Ballen gepresst, die Baumwollfasern in hochmodernen Entkörnungsmaschinen von Kapselresten getrennt, in der Spinnerei aus den Baumwollfasern Garn gezwirnt, das Garn gefärbt und schließlich auf dem Webstuhl zu fertigen Stoffen fabriziert.

Laut ist es hier, noch heißer als draußen an diesem Tag im Juli. Doch Apostolos Dontas ist in seinem Element. Kein Wunder. Denn in diesen Hallen ist er aufgewachsen. Die Familie Dontas und Baumwolle sind seit mehr als vierzig Jahren faktisch Synonyme.

Griechenland ist Europas größter Baumwollproduzent. In Farsala, vier Stunden nördlich von Athen, schlägt Hellas’ Herz in Sachen Baumwollanbau. Die Firma Epilektos verarbeitet den Rohstoff aus der fruchtbaren Agrarregion zu dem, was ihn bei Europas führenden Textilherstellern so begehrt macht: zu einem Spitzenprodukt, Made in Greece.

Apostolos Dontas führt in zweiter Generation die Geschäfte. Derzeit kein leichtes Unterfangen. Denn Ende Juni schlossen in Griechenland auf einen Schlag alle Geschäftsbanken, erst Anfang der Woche öffneten sie wieder ihre Pforten. Doch die zugleich verhängten Kapitalkontrollen gelten weiter. Dies trifft die ohnehin krisengebeutelte Realwirtschaft im Euro-Sorgenland hart. Auch Dontas’ Firma leidet.

Als Apostolos Dontas nach den Auswirkungen gefragt wird, verdüstert sich sein Gesicht. Epilektos exportiere vor allem in Länder der Eurozone, sagt er. Immerhin: Die Kunden hielten der Firma die Treue, die Bezahlungen würden weiter auf die Bankkonten von Epilektos in Griechenland eingehen. So wie immer.

Das Problem: Er könne nicht mehr frei über das Guthaben auf dem Konto verfügen, klagt Dontas. Ob lokale Rohstofflieferanten oder Spediteure, die die Ware zu den Kunden im Ausland transportieren: Sie müssen bezahlt werden. Nur wie?

"Zahle bitte nichts auf unser griechisches Konto"

Charalambos Gotsis, Brille, modische Krawatte, perfekt sitzender Anzug, sitzt an diesem sonnigen Morgen in seinem Lieblingscafé an der Ermou-Strasse, Athens wichtigster Geschäftsmeile. Flink tippt der Professor für Makroökonomie an der Universität Piräus auf den Bildschirm seines Smartphones. Plötzlich sagt er: "Hier, sehen Sie bitte diese E-Mail! Sie ist von einem griechischen Touristikunternehmen an einen Kunden gesendet worden."

Der Text lautet: "Zahle bitte nichts auf unser griechisches Bankkonto ein. Du wirst verstehen: Wir haben ein großes Problem. Wir können das Guthaben dort nicht verwenden. Überweise das Geld bitte auf eines unserer Auslandskonten in Zypern oder Luxemburg. Vielen Dank."

Gotsis zieht die Augenbrauen hoch. "Das ist eine Anomalie!", poltert er. Das war so nicht gedacht. Aber die Firmen können ihre Lieferanten im Ausland nicht mehr bezahlen. Denn dies müsse bei einem eigens eingerichteten Ausschuss für Zahlungsverkehr beim Athener Rechnungshof beantragt werden. "Wissen Sie, wie man so etwas nennt?", fragt Gotsis und beantwortet es gleich selbst: "Planwirtschaft!"

Experten warnen: Griechenland blutet aus. Es kämpft schon längst mit einem "Brain-Drain" ("Talentschwund"). Seit vorigen Herbst räumen die Griechen zudem ihre Bankkonten leer ("Bank Run"). Die Einlagen bei griechischen Banken sind im Juni auf den niedrigsten Stand seit Ende 2003 gesunken. Da zahlreiche verunsicherte Kunden ihre Konten leerten, schrumpften die Einlagen im vergangenen Monat um rund 8 Milliarden Euro.

Zu allem Überfluss sieht sich Hellas nun mit einem "Business Run" ("Firmenflucht") konfrontiert - mit fatalen Folgen.

"Die Kapitalkontrollen strapazieren uns. Sie haben dem Markt Handschellen angelegt", klagt Vassilis Korkidis, Präsident des griechischen Verbandes der Handelsfirmen (Esee).

Weniger als die Hälfte der Zahlungen wird genehmigt

Fakt ist: Griechenland hat im Jahr 2014 Waren und Güter im Wert von 47 Milliarden Euro importiert. Damit waren im Schnitt rund 130 Millionen Euro pro Tag für Zahlungen an die Lieferanten im Ausland fällig. Aber: Die Behörden hätten seit der Verhängung der Kapitalkontrollen Zahlungen griechischer Firmen in Höhe von kumuliert nur 59 Millionen Euro an Lieferanten im Ausland genehmigt, so Korkidis. Die Folge: Laut Korkidis hätten seit Anfang Juli 60.000 griechische Firmen in Bulgarien eine Firmengründung samt Öffnung von Firmenkonten beantragt.

Weitere 10.000 Firmen aus Hellas stünden in Zypern "in der Warteschlange, um zumindest in Bezug auf den Geldverkehr ohne Beschränkungen agieren zu können." "Die Kapitalkontrollen werden hier drei Jahre gelten - solange das angepeilte dritte Hilfsprogramm dauert", glaubt der Esee-Chef. Auch der Industrie-Verband von Athen und Piräus (SBAP) warnte nach einer jüngsten Krisensitzung vor dem "Chaos" durch einen Business Run.

Noch entfalten rund 765.000 Firmen Aktivitäten in Griechenland. Fragt sich, wie lange noch.

Einer, der insbesondere Großfirmen bei der Verlegung ihres Firmensitzes ins Ausland berät, ist Yannos Grammatidis. Der Athener Top-Anwalt, Ehrenpräsident der Griechisch-Amerikanischen Industrie- und Handelskammer, ist bestens vernetzt. Grammatidis ist ein Mann des Marktes. "Seit Anfang Juni erhalte ich verstärkt Anfragen von Firmen, die ihren Sitz ins Ausland verlegen wollen. Seit 15 Tagen hat sich der Trend wegen der Kapitalkontrollen noch einmal verstärkt. Die beliebtesten Zielländer sind Irland, Luxemburg, England und Zypern", sagt Grammatidis.

Firmen flüchten auch vor den jüngsten Steuererhöhungen

Der Business Run betreffe sogar die Verlegung von Produktionsstätten ins Ausland, fügt er hinzu. Dies liege aber nicht nur an den jüngsten Kapitalkontrollen. Grammatidis legt den Finger in die Wunde. Das Athener Parlament habe zuletzt massive Steuererhöhungen für Unternehmen in Griechenland beschlossen, auf Geheiß von Griechenlands öffentlichen Gläubigern EU, EZB und Internationaler Währungsfonds.