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Tsipras hat es eilig

Von Michael Schmölzer

Politik

Athen und Gläubiger einigen sich über drittes Hilfspaket über 86 Milliarden Euro.


Athen/Brüssel/Berlin. Den Griechen wird einmal mehr geholfen werden: Das Euro-Land, das ohne massive finanzielle Zuwendungen von außen längst pleite wäre, hat sich mit den Geldgebern auf ein weiteres Hilfspaket geeinigt. Offen, so heißt es aus Athen, seien nur noch kleinere Detailfragen.

Die EU-Kommission bestätigte, dass es auf Experten-Ebene eine grundsätzliche Einigung gibt. Hochrangige Politiker auf Seite der Gläubiger-Staaten haben sich am Dienstag noch nicht dazu geäußert. Im Kreis der Euro-Staaten gibt es aber nach einer ersten Informationsrunde offenbar keine grundlegenden Einwände gegen den nun ausverhandelten Rahmen. In einer Telefonkonferenz von Stellvertretern der Finanzminister seien die vorliegenden Informationen über die Grundsatzeinigung "positiv aufgenommen" worden, hieß es am Dienstagabend aus EU-Kreisen.

Der Zeitplan der Griechen ist jedenfalls ambitioniert, jetzt kann es nicht schnell genug gehen. Premier Alexis Tsipras will die Sparauflagen rasch unter Dach und Fach bringen, denn der Widerstand gegen den Syriza-Politiker wird nach dessen Kehrtwende im Umgang mit den Geldgebern immer größer. Er will im Herbst Neuwahlen abhalten und dann seine innerparteilichen Gegner abmontieren. Am heutigen Mittwoch tagt der griechische Finanzausschuss. Und noch am Donnerstag soll die Einigung vom griechischen Parlament abgesegnet werden. Danach soll die Eurogruppe am Freitag in Brüssel tagen. Bei diesem könnten die Finanzminister der Eurostaaten über das neue Hilfsprogramm abstimmen.

Wichtige Eckpunkte des Abkommens sind bereits bekannt: Laut einem EU-Insider wird das Hilfspaket bis zu 86 Milliarden Euro schwer sein. Die Griechen selber sprechen von "nur" 85 Milliarden, die sie innerhalb von drei Jahren erhalten sollen. Die Banken des Landes sollen kurzfristig mit zehn Milliarden Euro gestützt werden. Das Geld stammt vom Europäischen Rettungsschirm ESM, der Internationale Währungsfonds IWF steuert nach derzeitigem Stand nichts bei. Hier ist man allerdings der Ansicht, dass die Griechen sogar mindestens 90 Milliarden benötigen würden.

Schuldenschnitt ist offiziell kein Thema

Ein Schuldenschnitt, wie in Griechenland verlangt, ist nicht vorgesehen. Experten verweisen aber schon lange darauf, dass der griechische Schuldenberg eine derartige Höhe erreicht hat, dass er in mehreren Menschenleben nicht abgetragen werden kann. Das ist auch den meisten politischen Akteuren in Europa klar. Dennoch will man mit einem Nachlass offenbar zuwarten, bis Athen geforderte Reformen wirklich umgesetzt hat und ein Primärüberschuss erreicht ist. Das wäre dann der Fall, wenn Athen seine Kreditzinsen zumindest zum Teil selbst zahlen kann.

Davon ist man noch meilenweit entfernt - und wird es auch bleiben, wenn man der Einschätzung des ehemaligen Finanzministers Yanis Varoufakis folgt.

Interessant ist, was die Geldgeber im Gegenzug für ihre Finanzhilfe verlangen und offenbar auch bekommen. Einiges davon wird von der Syriza-Regierung selbst gefordert, anderes zähneknirschend akzeptiert. So sollen die Steuern für Reeder erhöht und Steuerhinterzieher härter bestraft werden. Die Steuerfahndungsbehörden dürften durch zusätzliches Personal aus anderen Behörden gestärkt werden. Ferner soll Steuersündern nicht länger erlaubt werden, ihre Schulden in Raten abzustottern. Wogegen sich Athen lange gesträubt hat: Steuerbegünstigungen für Landwirte sollen abgeschafft werden, spätestens 2016 ist der verminderte Mehrwertsteuersatz für die Inseln Geschichte. Zudem wird die umstrittene Immobiliensteuer weiter gelten. Die stufenweise Abschaffung aller Frührenten gehört ebenso zum Auflagenpaket wie der Umgang mit faulen Krediten. Dazu kommen die vollständige Liberalisierung des Energiemarktes und andere weitreichende Privatisierungen wie Flughäfen und Immobilien.

Was die Haushaltsziele für die kommenden Jahre betrifft, hat Athen seine Forderungen weitgehend durchgesetzt. So soll in diesem Jahr ein Primärüberschuss (die Zinszahlungen bleiben ausgeklammert) von 0,25 Prozent erwirtschaftet werden. 2016 soll es einen Überschuss von 0,5 Prozent und 2017 von 1,75 Prozent geben. Die Gläubiger geben sich demnach mit einem niedrigeren Überschuss zufrieden als bis vor kurzem gefordert: Die bisherigen Vorgaben lagen bei 1, 2, 3 und 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018.

Vor allem 3 und 3,5 Prozent sind reine Illusion, kein Euro-Land, nicht einmal die mustergültigen Deutschen, erreichen diesen Wert.

Bürgermeister von Koswarnt vor Blutvergießen

Griechenland droht nicht nur an finanziellen Problemen zu ersticken - auch die Flüchtlingsproblematik wird immer dramatischer. Der Bürgermeister der auch bei Österreichern beliebten Ferieninsel Kos hat einen dramatischen Hilferuf nach Athen gesandt: Es seien zuletzt mehr als 7000 Migranten angekommen, man könne mit dem Problem nicht mehr fertig werden, so Giorgos Kyritsis in einem Brief an die Regierung. "Ich warne davor, die Gefahr eines Blutvergießens ist real." Hintergrund des Hilferufs: Verzweifelte Migranten haben gestern die Küstenpromenade des Hauptortes der Insel blockiert, sie forderten lautstark Papiere, um Kos wieder verlassen und weiter nach Mitteleuropa reisen zu können. Im kleinen Stadion von Kos ist es nach Augenzeugenberichten zu Schlägereien zwischen Flüchtlingen gekommen. Die Polizei hat die Tobenden mit Feuerlöschern in Schach gehalten.