Zum Hauptinhalt springen

"Ich dachte, der Krieg sei vorbei"

Von Fabian Köhler

Politik

Das sächsische Heidenau erlangte durch rechtsextreme Ausschreitungen traurige überregionale Bekanntheit. Der Bürgermeister kämpft gegen die Parolen an. Ein Lokalaugenschein.


Heidenau. "Der Baumarkt wird nicht mehr lange stehen, das ist klar." Sagt der untersetzte Mann mit rotem Basecap und Bierflasche in der Hand und grinst. Ja, er habe etwas gegen Flüchtlinge: "Weil die nicht arbeiten und wir Deutschen haben nichts." Oder: "Weil die uns die Arbeit wegnehmen und wir Deutschen haben nichts." Wie lang er hier noch sitzen bleiben wolle? "Bis die Ausländer weg sind." Nur zu gut passt der Mann in das Klischeebild des Rassisten aus der ostdeutschen Provinz. Er fügt sich in diesem Sinne nahtlos in das schlechte Bild der 15.000-Einwohner-Stadt ein, seit rund 1000 Neonazis in den vergangenen Wochen Flüchtlinge immer wieder mit Böllern, Flaschen und Steinen begrüßten.

Freital, Meißen, Heidenau. Sie alle liegen kaum 15 Autominuten von Dresden entfernt - der Hauptstadt jener flüchtlingsfeindlichen Bewegung, deren Anhänger sich mal als "patriotische Europäer", mal als "ganz normale Deutsche" oder "besorgte Bürger" verstehen und doch vor allem ihren Rassismus gemeinsam haben. Wäre diese Geschichte fiktiv, man müsste das, was in den vergangenen Tagen vor der Heidenauer Flüchtlingsunterkunft passierte, in dieser Geballtheit von Stereotypen als zu unrealistisch abtun. Da wüten zwei Tage lang Neonazis vor einer Flüchtlingsunterkunft. Dahinter skandieren Anwohner. Davor schafft es die Polizei tagelang nicht, die Gewalt in unmittelbarer Nähe der Flüchtlingsunterkunft, einem stillgelegten Baumarkt, unter Kontrolle zu bekommen. Trotz 33 Verletzten in ihren eigenen Reihen gibt es nur eine Festnahme. Ein Journalist. Als dann schließlich doch die Wasserwerfer auffahren, gelten diese linken Gegendemonstranten. Und das alles auf den Tag genau 23 Jahre nach Rostock Lichtenhagen. Damals wurden eine Aufnahmestelle für Asylwerber und ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter in Brand gesteckt.

Auch Merkel in Heidenau

"Als wir mit dem Bus am Samstag hier ankamen, hab ich nur gebetet, bitte lass uns nicht hier anhalten", erzählt Mahmud von dem Tag, als er nach Heidenau gebracht wurde. Ob man ihm gesagt habe, warum ausgerechnet hier? "Nein." Erklärt, was in Heidenau auf ihn wartet? "Nein, nichts." Vor zwei Monaten flüchtete er aus der syrischen Stadt Aleppo. "Ich dachte, der Krieg sei vorbei", ist einer der Sätze, die aus dem Mund eines Kriegsflüchtlings erst übertrieben wirken und dann doch die ganze dramatische Realität von Flüchtlingen in Deutschland offenbaren.

Eine Bundesstraßenbreite und eine Reihe aus Bauzäunen trennt mittlerweile Flüchtlinge und Demonstranten. Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel war am Montag vor Ort und wählte in Bezug auf Letztere jene deutlichen Worte, nach denen sich viele Deutsche sehnten. "Das sind Leute aus dem Rand der Gesellschaft. Das ist Pack, das sich hier herumtreibt." Er lobte Menschen wie Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz, der "kein Millimeter zurückgewichen" sei. Und dennoch erntete auch seine Rede viel Skepsis und Häme. Kritiker erinnern Gabriel daran, dass er die deutschen Waffenexporte auf ein Rekordhoch brachte und damit mitverantwortlich für die hohe Anzahl an Flüchtlingen sei.

Welchen Stellenwert die Ereignisse in Heidenau einnehmen, zeigt sich auch daran, dass Kanzlerin Angela Merkel am heutigen Mittwoch die Flüchtlingsunterkunft besucht. "Es ist abstoßend, wie Rechtsextreme und Neonazis versuchen, dumpfe Hassbotschaften zu verkünden", sagte sie vorab. Am Dienstag musste indes die SPD-Zentrale in Berlin nach einer Bombendrohung evakuiert werden, die Polizei gab jedoch nach kurzer Zeit Entwarnung.

Flüchtling für Flüchtlinge

In drei Wochen müsste sein Kind auf die Welt kommen, erzählt Ahmad. "Aber ich weiß nicht einmal, ob meine Frau noch lebt", sagt er und fragt, ob es nicht doch einen Weg gebe, seine Frau zu ihm zu holen. Mit einem Freund steht er vor dem Bratwurststand auf dem Parkplatz einer Supermarktkette. Nach fünf Minuten bildet sich eine Gruppe Schaulustiger aus Frau mit Kinderwagen, Glatzkopf und zwei Pensionistenpärchen. Sie unken: "Nichts gegen Flüchtlinge. Aber warum gerade bei uns? Wir kriegen doch auch nichts. Wer weiß, was die hier anstellen?"

Einer jener "anständigen Deutschen", von denen Gabriel in seiner Rede sprach, könnte Mesbah sein - wäre er nicht Iraner. Ein paar Stunden, nachdem der Minister wieder verschwunden ist und längst wieder die Besorgten hinter den Büschen ihre Parolen brüllen, kommt der Aktivist beim Baumarkt an. Mesbah ist selbst Flüchtling. Mit seiner Frau war er am Freitag einer der ersten Gegendemonstranten, die sich bis zu 1000 Nazis entgegenstellten: "Die Polizei hat uns gesagt, dass sie uns nicht schützen können, ich denke, sie wollten es auch nicht." Ob es keine Unterstützung aus dem Ort gegeben habe? "Nein, niemand."

Es ist spät am Abend, als Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz vom ökumenischen Friedensgebet zu seinem täglichen Besuch vor die Flüchtlingsunterkunft kommt. Zwei Dutzend Polizisten und ungefähr ebenso viele angereiste Aktivisten sitzen noch immer dort. Aus einem vorbeifahrenden Auto ruft jemand "Wer Heidenau nicht liebt, soll Heidenau verlassen" und "Deutschland den Deutschen". Opitz stellt sich auch an diesem Abend wieder gegen jenen Teil seiner Bevölkerung, die für ihn "nicht mein Heidenau" ist: "Wenn ich die Gaffer hinter der Hecke sehe, kriege ich so ’nen Hals und so ’nen Kamm", sagt er. "Sein Heidenau", das waren die Menschen in der Kirche, die gerade für die Flüchtlinge beteten. Eineinhalb Kilometer vom Baumarkt entfernt, weit weg von Bundesstraße und Polizeiabsperrungen. Und weit weg von den Flüchtlingen.