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"Es kann so nicht weitergehen"

Von Siobhan Geets und Gerhard Lechner

Politik

Auf der Westbalkan-Konferenz wurde klar: Einen einheitlichen europäischen Ansatz in der Flüchtlingskrise gibt es nicht.


Wien. Die Westbalkan-Konferenz in Wien war im Vorfeld bereits von der aktuellen Flüchtlingskrise überschattet. Die schreckliche Tragödie auf der A4 verlieh dem Thema auf dem Treffen noch eine zusätzliche Brisanz. Dementsprechend ernst und entschlossen gaben sich Bundeskanzler Werner Faymann, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der serbische Premier Aleksandar Vucic auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstag in Wien. Vor allem Faymann pochte auf den "Zusammenhalt" und die "Gemeinsamkeit" in Europa - und bemühte drastische historische Beispiele: Auch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, so der Kanzler, sei es notwendig gewesen, Flüchtlingen Schutz zu geben. Europa müsse jetzt zusammenstehen, um Parteien, die Hass säen und zerstören, keinen Spielraum zu lassen.

"Geist des Miteinander"

Merkel pflichtete Faymann ostentativ bei. "Die Welt schaut auf uns", sagte die deutsche Kanzlerin. Sie erinnerte daran, dass es derzeit weltweit mehr Flüchtlinge als nach dem Zweiten Weltkrieg gibt. "Europa ist als reicher Kontinent aber in der Lage, diese Probleme zu bewältigen", zeigte sich die deutsche Kanzlerin überzeugt. Die Flüchtlingstragödie in Österreich mahne Europa, "das Thema Migration im europäischen Geist anzugehen und auch Lösungen zu finden".

Wie die letztlich aussehen, bleibt noch offen. "Jeder sagt: Ja, wir brauchen einen europäischen Ansatz. Das Problem ist aber, dass jeder Europa anders sieht", sagte Mogherini. "Es kann so nicht weitergehen." Schweigeminuten würden nicht helfen. "Wir müssen Verantwortung übernehmen."

Mut machten den vier Politikern allerdings die Ergebnisse der Konferenz: Mit demselben "Geist des Miteinander" sollte in Europa auch die Flüchtlingsfrage angegangen werden, sagte Faymann. Merkel lobte die "Dynamik der Kooperation" der Länder des Westbalkan, die bei dieser Konferenz zu einer "Vielzahl von Ergebnissen" geführt habe - etwa zur Aussöhnung zwischen Serbien und dem Kosovo. Vucic lobte die "enge" Zusammenarbeit zwischen Serben und Albanern und verwies auf die gemeinsam geplanten Infrastrukturprojekte. "Wir wollen die Balkanmentalität ändern", sagte der serbische Ministerpräsident. Man wolle auf Eigeninitiative statt auf die Fürsorge des Staates setzen und sich "mit voller Kraft Richtung Europa" bewegen.

Die schönen Worte konnten die Unstimmigkeiten in der Tat nicht überdecken: Die gab es zwischen dem EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn, der das "neue Klima" am Balkan lobte, und dem serbischen Außenminister Ivica Dacic. Der wies darauf hin, dass nicht alles "so idyllisch ist, wie es scheint", und übte scharfe Kritik an seinen Nachbarstaaten. "Heute werden wieder alle von der großen Einheit reden, aber das trifft nur bis zum nächsten Problem zu", sagte Dacic in Anspielung an den wiederkehrenden Vorwurf, die EU lasse die Staaten des Westbalkans im Stich - auch in Bezug auf die Flüchtlingspolitik. Mit Unverständnis regierte Dacic auf Hahns vage Formulierung in Bezug auf die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen. "Die Fakten sprechen dafür, dass wir sicher sehr bald ganz offiziell mit Serbien Beitrittsgespräche führen werden", hatte dieser erklärt. Darauf wartet Serbien bereits seit zwei Jahren. "Sie sollten uns eine klare Perspektive liefern, statt neue Zäune zu errichten", erwiderte Dacic in Anspielung an die vier Meter hohe Barriere, die Ungarn an der Grenze zu Serbien errichtet.

Steinmeier und Hahn wiederholten ihr Versprechen, die Transitländer Serbien und Mazedonien finanziell zu unterstützen (siehe Infobox). Aus Sicht der Westbalkanstaaten reicht das nicht. Allein in Mazedonien kommen derzeit täglich rund 3000 Flüchtlinge an - und das aus dem EU-Mitgliedsstaat Griechenland, wie der mazedonische Außenminister Nikola Poposki anmerkte. "Die EU fordert von Serbien einen Plan", stimmte sein serbischer Amtskollege Ivica Dacic in die Kritik ein, "aber ich denke, die EU sollte zuerst einmal selbst einen Plan haben, wie sie mit Flüchtlingen umgeht".

In Brüssel wies indes EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Kritik an seinen Vorschlägen zur Flüchtlingspolitik zurück. "Nicht die EU-Kommission oder die Europäische Union sollten verantwortlich gemacht werden, sondern die Mitgliedstaaten."

Einigkeit herrscht darüber, dass die EU ohne den Westbalkan nicht vorstellbar ist. "Ohne den Westbalkan wäre die Europäische Union nicht komplett", schreiben die Außenminister Deutschlands und Österreichs, Frank-Walter Steinmeier und Sebastian Kurz, in einem gemeinsamen Artikel über die Konferenz.

Finanzspritzen für den Westbalkan
Um Serbien und Mazedonien in der Versorgung von Flüchtlingen zu helfen, sollen aus EU-Mitteln jeweils 1,5 Millionen Euro fließen, Deutschland stellt eine Million Euro zur Verfügung. Die Europäische Kommission will die Staaten des Westbalkans und die Türkei nun mit acht Millionen Euro unterstützen, damit sie Flüchtlinge besser identifizieren und versorgen können. Zudem beschlossen die Wirtschaftsminister der Westbalkanländer und der EU Investitionen von 600 Millionen Euro für Infrastrukturprojekte. Weitere 24 solcher Projekte im Umfang von 7,7 Milliarden Euro sollen bis zur nächsten Westbalkankonferenz in Frankreich konkretisiert werden.