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"Alles nur punktuelle Maßnahmen"

Von Daniel Bischof, Klaus Huhold und Alexander U. Mathé

Politik

UNHCR plädiert für mehr legale Einreisechancen für Flüchtlinge - Aufnahmezentren an EU-Außengrenzen seien zu wenig.


Wien/Brüssel. Hotspots werden als neue Wunderwaffe gegen die Flüchtlingskrise angepriesen. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel spricht von Registrierungszentren, die in Griechenland und Italien eingerichtet werden, und auch Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner setzt sich für die Schaffung derartiger "Anlaufstellen" an den EU-Außengrenzen ein. Doch wer sich nun riesige Erstaufnahmezentren vorstellt, in denen die neu angekommenen Flüchtlinge versorgt und anschließend auf Europa aufgeteilt werden, der irrt.

Es gibt bereits einen ersten solchen Hotspot. Er befindet sich in Catania auf Sizilien. Dabei handelt es sich um ein EU-Büro, in dem Vertreter diverser Behörden sitzen, wie etwa Frontex, die Agentur für die Außengrenze, das europäische Polizeiamt Europol und das Unterstützungsbüro für Asylfragen Easo. "Ein Hotspot ist ein Koordinationspunkt in einer Region mit hohem Immigrationsdruck - wie zum Beispiel Sizilien", erklärt Frontex-Sprecherin Ewa Moncure gegenüber der "Wiener Zeitung". "Ein Hotspot ist kein Ort, sondern ein Büro, ein Konzept, dem zufolge europäische Agenturen gemeinsam den nationalen Behörden mit Experten in einer Krise helfen." Ein weiterer solcher Hotspot ist am Hafen von Athen, Piräus, "so bald als möglich" geplant.

Die EU-Beamten werden je nach Bedarf von diesen Büros aus zu den Orten geschickt, an denen die neuen Flüchtlinge ankommen. Dort nehmen sie dann diverse Daten auf, beispielsweise die Zahl der Flüchtlinge, ob diese von Schleppern gebracht wurden, Gesundheitszustand, Herkunftsland. Auch Überprüfungen werden durchgeführt. So wird etwa der Europol-Mitarbeiter einen Abgleich mit der Datenbank seiner Behörde durchführen, auch die Richtigkeit der Angaben über das Herkunftsland wird nach Möglichkeit überprüft. Denn es kommt vor, dass Immigranten hier schwindeln und beispielsweise angeben, aus Eritrea zu sein, obwohl sie eigentlich aus Gambia sind und somit aus einem Land, dessen Bürgern aufgrund der politisch ruhigen Situation kein Asyl gewährt wird. Doch ob Asyl gewährt wird und wie dann weiter vorgegangen wird, das obliegt nach wie vor den nationalen Beamten.

Unterschiedliche Vorstellungen von Hotspots

Im österreichischen Innenministerium hat man offenbar andere Erwartungen. Die Hotspots sollen laut Pressesprecher Hermann Muhr die umfassende Registrierung an den EU-Außengrenzen und anschließende EU-weite Verteilung von Flüchtlingen sichern. Eine Vorstellung, die dem derzeitigen Hotspot, der ja lediglich als Unterstützungszentrum für Italien eingerichtet ist, widerspricht. Laut Muhr würde das System so aber nicht funktionieren: Denn die Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen in Griechenland und Italien würden nicht registriert und schlicht in andere Länder weitergeleitet werden.

Ob Italien der Errichtung der viel gepriesenen Hotspots in der vom Innenministerium gewünschten Form zustimmt, ist fraglich. Denn Rom knüpft deren Errichtung an eine verpflichtende Verteilungsquote - 40.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland müssten auf andere EU-Staaten umverteilt werden, hieß es am Mittwoch aus dem italienischen Innenministerium.

Die UNHCR-Pressesprecherin Melitta H. Sunjic , die bereits jahrelang für das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen arbeitet und derzeit in Belgrad stationiert ist, plädiert für einen ganzheitlichen Ansatz. Nur so könne das Flüchtlingsproblem gelöst und könnten Schmugglern die Hände gebunden werden. "Es werden verschiedenste Maßnahmen gesetzt: Hier wird eine Grenze geschlossen, hier ein Aufnahmezentrum eröffnet, hier über Calais diskutiert. Das sind nur punktuelle Maßnahmen", sagt Sunjic im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Um den Migrationsdruck zu mindern, müsse einerseits die Versorgung der Flüchtlingslager in den Krisengebieten verbessert werden, so Sunjic: "Das UNHCR operiert in diesen Krisenländern im großen Stil. Doch diese Länder sind bis an den Rand ihrer Kapazitäten mit Flüchtlingen gefüllt. Zudem hat das UNHCR nicht die finanziellen Möglichkeiten, den Flüchtlingen dort ein ordentliches Leben zu bieten." Andererseits müsse es legale Wege für Flüchtlinge geben, in die EU zu kommen - etwa durch die Beantragung von Asyl außerhalb der Union, so Sunjic. Auch ein Ansiedlungsprogramm in Europa wäre wünschenswert: So könnte man eine gewisse Anzahl an Flüchtlingen nach bestimmten Kriterien - etwa jene, die wegen medizinischer Hilfsbedürftigkeit nicht in jordanischen Flüchtlingslagern bleiben könnten - aufnehmen. Zudem sei es notwendig, humanitäre Visa auszustellen. "Es gibt Leute, die eine Familie in Europa haben und sich selbst versorgen könnten, aber nicht legal in die EU einreisen dürfen", sagt Sunjic.

Das Dublin-Abkommen, nach welchem dasjenige Land für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig ist, in welchem der Flüchtling zuerst registriert werde, hält Sunjic für eine an sich flexible Regelung. So kann man das Abkommen zeitweise außer Kraft setzten, etwa für bestimmte Gruppen. Das Problem sei laut Sunjic aber, dass die Dublin-Regelung sehr rigide ausgelegt werde. "Es läuft nach dem Motto: Die Flüchtlinge sollen woanders hingehen, nur nicht zu uns. Das ist nicht die Solidarität, die man sich von der EU erwartet. Was mich besonders traurig stimmt: Aus den seit 2004 beigetretenen Staaten sind bis vor einem Jahr noch selbst Bürger geflohen, die anderswo Asyl erhalten haben. Diese Länder akzeptieren nicht, dass sie nun an der Reihe wären, Schutz zu gewähren", kritisiert Sunjic. Tatsächlich nehmen Tschechien oder die Slowakei kaum Flüchtlinge auf.

Die EU selbst setzt neben der Schaffung von Hotspots auch auf eine Liste "sicherer" Herkunftsländer - darunter sollen jene Balkan-Staaten fallen, die als EU-Beitrittskandidaten gelten. Dadurch soll die Rückführung abgelehnter Asylwerber in ihre Heimatstaaten beschleunigt werden. Denn das derzeitige Rückführungssystem der EU hat seine Schwachstellen, was auch die Union offen eingesteht: Schlepper würden bewusst die Tatsache ausnützen, dass relativ wenige Rückführungsentscheidungen durchgesetzt werden könnten, heißt es in einem Fact-sheet der Europäischen Kommission zur Migrationsagenda vom Mai 2015.

Laut Eurostat hätten 2013 von 425.000 Personen, gegen die eine Rückführungsentscheidung ergangen sei, nur etwa 167.000 die EU verlassen. In Österreich erfolgten von Jänner bis Ende Juni 2015 insgesamt 4164 Außerlandesbringungen - 2014 waren es im gesamten Jahr 5966. Derzeit halten sich rund 2700 Personen in Österreich auf, deren Asylantrag "rechtskräftig negativ" beschieden worden ist und die außer Landes zu bringen wären.

Pilotprojekt in Niger startet Ende des Jahres

Um die geringe Anzahl an durchsetzbaren Rückführungen zu steigern, soll auch die Kooperationen der EU mit anderen Drittstaaten verstärkt werden. Im westafrikanischen Niger soll ein derartiges Pilotprojekt unter Leitung der EU, des UNHCR und der internationalen Organisation für Migration, bis Ende dieses Jahres starten. Westafrikaner, die über die Sahara nach Libyen und dann weiter nach Europa flüchten, sollen bereits vor ihrer Flucht über die Risiken ihrer Reise aufgeklärt werden. Fachleute sollen die Flüchtlinge vor Ort unter anderem darüber aufklären, ob sie überhaupt eine Chance haben, in der EU Asyl zu finden.

Am Freitag kündigte die EU zudem an, ihren Militäreinsatz gegen Schlepperkriminalität im Mittelmeer ab Anfang Oktober auszuweiten: Beteiligte Soldaten sollen unter anderem von Schleppern genutzte Schiffe auf hoher See durchsuchen dürfen und mutmaßliche Menschenschmuggler festnehmen. Derzeit besitzen die Soldaten nur die Kompetenz, Informationen über die Schlepperbanden - unter anderem durch die Befragung in Seenot geratener Flüchtlinge - zu sammeln. Die Einsatzführung drängt laut EU-Kreisen darauf, dass bereits im September eine entsprechende politische Entscheidung in der EU dazu fällt.

Kurzfristig will die EU auch die EU-Grenzschutzbehörde Frontex und die von den Flüchtlingsströmen am meisten betroffenen Länder an der EU-Außengrenze mit zusätzlichem Geld finanzieren. Zusätzlich will die EU die Rolle von Europol stärken, um kriminellen Netzwerken, die täglich tausende Menschen über das Mittelmeer schmuggeln, das Handwerk zu legen.

Mittel- und langfristig will die EU-Kommission den Anreiz für illegale Immigration verringern. Gegen Schleppernetze soll schärfer als bisher vorgegangen werden und Maßnahmen getroffen werden, um Rückführengen besser durchzuführen. Außerdem sollen Todesfälle durch eine bessere Sicherung der EU-Außengrenzen reduziert werden. Dazu gehört auch eine stärkere Solidarität mit besonders betroffenen Ländern wie Italien und Griechenland. Während sich noch viele EU-Mitgliedstaaten gegen einen EU-weiten Verteilungsschlüssel heftig wehren, will die EU-Kommission einen neuen Anlauf dafür starten.