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"Brauchen eine Zusammenarbeit mit Libyen"

Von Teresa Reiter

Politik
Wolfgang Wosolsobe: "Realistische Chancen" für UN-Mandat.
© Luiza Puiu

Wolfgang Wosolsobe, Generaldirektor des EU-Militärstabes, im Interview über militärische Einsätze gegen Schleppernetzwerke im Mittelmeer.


Im Juli 2015 begann die EU einen militärischen Einsatz gegen die Schleppernetzwerke im Bereich des Mittelmeers, um Schlepperboote zu finden und zu zerstören. Wolfgang Wosolsobe, Generaldirektor des Militärstabs der Europäischen Union, zeigt sich zuversichtlich, dass der Einsatz von Erfolg gekrönt sein wird, betont jedoch, dass die vollständige Wirksamkeit der Aktion erst sichtbar werden könne, sobald es ein UN-Mandat für einen Einsatz auf libyschem Territorium gibt.

"Wiener Zeitung": Seit Juli gibt es einen militärischen Einsatz der EU im Mittelmeer, deren Ziel es ist, Schlepperboote zu finden und zu zerstören. Wie kann man sich das vorstellen?Wolfgang Wosolsobe: Es gibt zwei Phasen. Jene, in der wir jetzt sind oder auf die wir uns gerade zubewegen, hat das Ziel, Schiffe aufzubringen und Schlepperboote, nachdem die Flüchtlinge auf unsere Schiffe oder auf jene anderer Organisationen an Bord genommen wurden, zu zerstören. Man kann die Boote entweder in Europa an Land bringen und dort entsorgen oder sie in bestimmten Fällen auch auf See zerstören. Sobald wir ein UN-Mandat haben, das uns erlaubt, sowohl in libyschen Territorialgewässern als auch auf libyschem Territorium zu wirken, besteht auch die Möglichkeit, die Boote oder die Orte, wo diese Boote vorbereitet werden, zu zerstören, unbrauchbar zu machen. Das ist die eigentliche Absicht.

Rechnen Sie bei der Zerstörung der Boote auf See mit Kollateralschäden? Sind dabei schon Flüchtlinge ums Leben gekommen?

Dadurch nicht. Wenn ich sage, dass man sie in bestimmten Fällen auf diese Weise zerstören kann, dann meine ich, dass es durch das Seerecht definiert ist, dass solche Boote in bestimmten Situationen eine Gefahr für die internationale Schifffahrt darstellen können. In solchen Fällen können Boote auf See zerstört werden.

Schließen Sie aus, dass Flüchtlinge dabei ums Leben kommen werden?

Absolut.

Für einen Einsatz auf libyschem Territorium bräuchten Sie nicht nur ein UN-Mandat, sondern auch die Zustimmung Libyens. Was hat die libysche Regierung diesbezüglich bis jetzt signalisiert?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt davon ab, wen man dort anhört. Unsere politische Priorität ist es, eine einheitliche libysche Regierung zu unterstützen, sobald sie geschaffen wird. In Zusammenarbeit mit dieser Regierung muss dann auch diese Zustimmung erfolgen. Alles andere, was vorher passiert, ist Stückwerk und nicht wirklich wirksam.

Rechnen Sie damit, ein UN-Mandat zu bekommen? Wie lange könnte das noch dauern?

Das wird sicherlich noch einige Zeit dauern, aber ich glaube, es gibt realistische Chancen darauf. Einen Zeitpunkt zu nennen, wäre nicht realistisch.

Schleppernetzwerke im Mittelmeer zu zerstören, wird den Flüchtlingsstrom nicht stoppen, sondern den Druck auf andere Routen wie etwa die Westbalkanroute erhöhen.

Es geht auch nicht darum, primär direkt den Flüchtlingsansturm zu stoppen, sondern darum, die Netzwerke, die hinter diesen Bewegungen stehen, zu stoppen. Das gelingt teilweise schon und würde natürlich besser gelingen, wenn wir besser auf dieses Territorium zugreifen könnten. Dass das eine teilweise Verlagerung auf andere Routen bringt, ist auch klar, allerdings sind es nicht dieselben Flüchtlinge. Großteils kommen über die Mittelmeer-Route andere Flüchtlinge als über die Balkanroute.

Wenn die Schleppernetzwerke im Mittelmeer geschwächt oder zerstört werden, was ist dann mit den Menschen in Nordafrika, die dringend fliehen wollen? Hofft man, dass diese dann dort an der Küste gefangen sind? Es gibt keinen legalen, sicheren Korridor für sie . . .

Auch das ist eines der Elemente, wo wir eine Zusammenarbeit mit Libyen brauchen. Sobald wir diese haben, können wir erste schützende und unterstützende Maßnahmen auf der libyschen Seite treffen.

Was versucht die EU, um militärische Einsätze der EU-Staaten zu koordinieren, wenn es um das Management der Flüchtlingsströme geht?

Zurzeit ist das kein Thema. Die Mitgliedstaaten setzen ihre Streitkräfte vollkommen unter nationaler Ägide, meist zu Unterstützungsleistungen, ein, um in den verschiedenen Bereichen die Flüchtlingsströme besser zu bewältigen.

Frankreich führt gegenwärtig militärische Einsätze in der Zentralafrikanischen Republik und in Mali durch. Wäre es für die EU vorstellbar, auf solche Einsätze stärker aufzubauen, um Stabilität in Konfliktzonen zu fördern?

In beiden Fällen wurde auf die französischen Einsätze nicht nur europäisch aufgebaut, sondern auch durch die Vereinten Nationen, und zwar in wesentlich größerem Umfang.

Ich bin überzeugt, dass es mehrere Orte auf dem afrikanischen Kontinent gibt, wo das notwendig wäre, nicht zwingend nur dort, wo Frankreich schon Anfangsarbeit geleistet hat. Frankreich führt derzeit eine sehr erfolgreiche und - ich würde sagen - wegweisende Operation in der Sahelzone durch. Das kann eine europäische Folgeaktion notwendig machen. Ich sehe das aber auch eher in den Händen der UN und der Staaten in der Region.

Könnte man auf die Flüchtlingskrise besser reagieren, wenn die Mitglieder der EU im Bereich gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik mehr Kompetenzen an Brüssel abtreten würden?

Dieses Spannungsfeld zwischen nationaler Souveränität und der Notwendigkeit, gemeinsam zu handeln, wird es immer geben. Aber meine Antwort ist ein klares Ja. Jede Abgabe von Souveränität kommt der Schnelligkeit und Wirksamkeit europäischer Einsätze zugute.