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Das Nein des Establishments

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik
Jeremy Corbyn hat in der eigenen Fraktion wenig Rückhalt.
© reu/Neil Hall

Labours frischgebackener Vorsitzender sucht Verbündete. Viele verweigern die Zusammenarbeit.


London. Mit äußerster Mühe hat zu Wochenbeginn der neue Labour-Party-Vorsitzende Jeremy Corbyn ein Schattenkabinett - das traditionelle Team der Opposition - zusammengezimmert. Kaum einer seiner prominenten Fraktionskollegen ist willens, den linkssozialistischen Parteichef zu unterstützen.

Zwölf bisherige Mitglieder des Schattenkabinetts gaben nach Corbyns Wahl ihre Posten ab, weil sie sich mit seinen Vorstellungen nicht identifizieren können. Einzelne Labour-Politiker sprechen bereits davon, dass Corbyns Zeit an der Labour-Spitze nicht länger als bis zum nächsten Mai, dem Datum landesweiter Kommunalwahlen, dauern werde.

Beobachter sehen eine konzertierte Verweigerungs-Aktion auf Fraktionsebene. Dabei hatte der 66-jährige Corbyn die Wahl zum Vorsitzenden mit 59,5 Prozent der Stimmen, einer Rekordmarke, gewonnen. Allein in den ersten 24 Stunden nach seiner Wahl strömten der Labour Party 15.000 neue Mitglieder zu.

"Corbymania", ein enormer Zuspruch an der Parteibasis, war Corbyn in diesem Sommer ja allerorten entgegengeschlagen - und hatte ihm jetzt auch zu seinem Erfolg verholfen. Ungeduld mit herrschenden Denkmustern, Überdruss an Ungleichheit und sozialem Rückschritt, Verlangen nach alternativen Rezepten zu Finanzkrise und Austerität nährten den Enthusiasmus für seine Kandidatur.

Corbyns unbekümmerte Radikalität fand weithin Anklang bei Zehntausenden Unzufriedenen im Lande. Der Politiker verwies auf Lösungen, die Britannien "echten Wandel", einen neuen Gemeinschaftsgeist, bescheren sollten.

Seine Stimme hartnäckigen Protests gegen bestehende Verhältnisse war aus Westminster klar herauszuhören. Zum Beispiel versprach Corbyn Wachstum durch massive öffentliche Investitionen. Weiters fordert er die Wiederverstaatlichung des Eisenbahnwesens und der großen Energiekonzerne - etwas, womit er bei breiten Bevölkerungsschichten in Umfragen Zustimmung findet.

In der eigenen Fraktion jedoch hat Corbyn, als "ewiger Rebell" und jahrzehntelang ignorierter Außenseiter, wenig Rückhalt. Nur etwa 20 der 232 Unterhaus-Abgeordneten seiner Partei stimmten für ihn bei der Vorsitzendenwahl. Bisher zentrale Figuren wie Ex-Ministerin Yvette Cooper weigern sich prinzipiell, Corbyns Schattenkabinett anzugehören. Der vormalige Schatten-Wirtschaftsminister Chuka Umunna erklärte, er halte sich fern, weil man nicht sicher sein könne, ob Corbyn beim kommenden EU-Referendum auf Seiten der EU-Befürworter stehen werde.

Der einzige große Name aus dem Mittelfeld der Labour-Politik, den Corbyn in sein Team ziehen konnte, ist sein unterlegener Rivale Andy Burnham, der unter Gordon Brown Gesundheitsminister war. Burnham soll nun das Innenressort beschatten, während der moderat-linke Hilary Benn für die Außenpolitik zuständig ist.

Zu seinem Mann für die Schatzkanzlei (das Finanzministerium) hat der neue Parteichef allerdings seinen ältesten Vertrauten John McDonnell berufen. McDonnell hat sich in der Vergangenheit für eine kräftige Anhebung der Steuersätze für die Reichen und für die Verstaatlichung der Banken in Großbritannien ausgesprochen.

Die Ernennung des Kampfgefährten aus alten Protestzeiten ist Corbyn von weiten Teilen der Fraktion übel genommen worden, nachdem er noch am Wochenende versichert hatte, ihm sei an einem ausgewogenen Team gelegen. Kritik erntete der neue Parteichef auch dafür, dass bei der Besetzung der drei Top-Posten keine Frau zum Zug kam. Ingesamt stellen Frauen in Corbyns Schattenkabinett aber die Mehrheit: Was, laut Corbyn, schon "ein historisches Novum" ist.

Gewisse Probleme bleiben. Zwischen dem Parteichef und seinem ebenfalls neu gewählten Stellvertreter, dem gewerkschaftsnahen Tom Watson, bestehen klare Gegensätze. Während Watson nachdrücklich die Nato-Mitgliedschaft Britanniens befürwortet, hat Corbyn in der Vergangenheit für einen Austritt plädiert.

"Unter allen Umständenin der EU bleiben"

Watson ist allerdings der Ansicht, dass sich solche Meinungsverschiedenheiten mit Corbyn "ausdiskutieren" lassen. Zur Frage, ob Corbyn wirklich so euroskeptisch sei, dass er beim kommenden EU-Referendum einen Rückzug aus der EU befürworten könnte, meinte der neue Schatten-Außenminister Benn kategorisch: "Wir werden uns unter allen Umständen dafür einsetzen, in der EU zu bleiben."

Eine Großzahl von Labour-Leuten hält es im Augenblick jedenfalls für wenig wahrscheinlich, dass Corbyn die Partei in die nächsten Unterhauswahlen - im Mai 2020 - führen wird. Das Wettbüro William Hill ängstigt Bryants Partei damit, dass es Wetten darauf annimmt, ob Labour "je vor 2031" wieder mit einer eigenen Unterhaus-Mehrheit an der Regierung sein wird.

Die Konservativen unter Regierungschef David Cameron attackieren Corbyn derweil massiv als "Gefahr für die Sicherheit unserer Nation, unserer Wirtschaft und unserer Familien". Der immer gleiche Wortlaut der Attacke, die nun dutzende Mal am Tag zu hören ist, deutet auf eine sorgsam abgestimmte Offensive hin.

Die Komödiantin Vikki Stone hat darauf mit einem Foto reagiert, auf dem sie hinterm Fensterchen ihres Gartenschuppens mit einem Gemüsesieb auf dem Kopf zu sehen ist. "Lieber David Cameron, ich fürcht mich so", heißt der Beitext. "Glaubst du, dass ich hier drinnen vor der Labour Party sicher bin?"