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Zwei Euro pro Tag

Von WZ-Korrespondentin Birgit Johannsmeier

Politik

Die Osteuropäer sollen mehr Solidarität zeigen, so die Kritik. Doch viele können den Flüchtlingen keine Perspektive bieten - so wie Lettland.


Riga. (n-ost) "Flüchtlinge willkommen" steht auf den handgemalten Transparenten, die eine Gruppe durch Riga vor sich her trägt. Am Wochenende hat es die erste Pro-Flüchtlingsdemonstration in der lettischen Hauptstadt gegeben. Das ist bemerkenswert, denn das kleine baltische Land ist strikt gegen die verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen.

"Wir dürfen die Geschichte nicht vergessen und müssen jenen Menschen die Hand reichen, die vor Tod und Verfolgung aus ihrer Heimat fliehen", sagt ein junger Demonstrant. Im Zweiten Weltkrieg hätten auch Letten wie die einstige Präsidentin Vaira Vike Freiberga vor der Roten Armee fliehen müssen.

Bisher reagieren nicht nur Politiker, sondern auch die Bürger in Lettland mit scharfer Ablehnung auf die Einführung von Flüchtlingsquoten. Lettland ist bislang nur zur Aufnahme von 250 Flüchtlingen bereit.

Gegenüber den knapp hundert Demonstranten haben sich auch einzelne Gegendemonstranten aufgebaut. Mit ihrem Slogan "Stoppt die Masseneinwanderung" unterstützen sie die Politik der "Nationalen Allianz", die an der Regierung beteiligt ist.

Lettland habe bereits nach dem Zweiten Weltkrieg hunderttausende Einwanderer aus Russland aufnehmen müssen, argumentiert deren Abgeordneter Janis Dombrova. Er macht sich im Auswärtigen Ausschuss des Parlaments gegen die Einführung von Flüchtlingsquoten stark.

Tatsächlich ist in Lettland jeder Dritte russischer Herkunft. Davon ist seit der Unabhängigkeit vor 24 Jahren noch immer knapp die Hälfte ohne lettischen Pass. Im Sozialismus siedelte Moskau Hunderttausende in die damalige Sowjetrepublik Lettland um. Nach heutiger Lesart sollten die Russen das kleine Land unterwandern und den Kommunismus etablieren. Mit seinen sogenannten "Nichtbürgern" hat Lettland nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR nun die meisten Staatenlosen innerhalb der EU.

Angst vor Kürzungen

Die meisten Letten fürchten allerdings die hohen Kosten, die auf das arme Land mit der Aufnahme von Flüchtlingen zukommen. Wie ein Rentner am Rande der Kundgebung. "Ich muss mich mit 200 Euro im Monat durchschlagen", klagt er. "Wenn dann noch die Flüchtlinge kommen, wird der Staat dann plötzlich meine Bezüge kürzen?"

Bisher sind nur wenige Asylsuchende nach Lettland gekommen. So wie der 35-jährige Wasim Alhati aus Syrien. Er wohnt mit 60 weiteren Flüchtlingen im Lager von Mucenieki, 40 Kilometer von Riga entfernt. Er sei eigentlich auf dem Weg nach Deutschland oder Schweden gewesen, sagt er, leider hätten die lettischen Grenzbeamten seinen gefälschten Pass entdeckt.

Die Unterkunft, ein ehemaliger Stützpunkt der Sowjetarmee, sei hell renoviert und gut ausgestattet, sagt er. Aber Lettland könne ihm nichts bieten. "Wir erhalten zwei Euro und 15 Cent am Tag. Davon kann man doch nicht leben. Ich warte auf meine Aufenthaltsgenehmigung und will dann weiter nach Deutschland."

Wasim Alhati sei kein Einzelfall, sagt Laura Laiva, die das Lager leitet. Nur 64 Menschen haben im Laufe der vergangenen 16 Jahre eine Aufenthaltsberechtigung erhalten, weil ihr Asylgrund anerkannt wurde. 126 gelten als schutzbedürftig.

Laiva beklagt, dass der lettische Staat den Flüchtlingen so wenig zahlt. Ohne Geld aus dem europäischen Flüchtlingsfonds könnte sie den Asylsuchenden weder Medikamente, Kleidung noch Fahrkarten für den Bus in die Hauptstadt zahlen. Und doch schmerze sie manchmal die hohe Erwartungshaltung.

Sie erinnert an einen Besuch von lettischen Rentnern aus der Nachbarschaft. "Die alten Leute hatten Tränen in den Augen, als sie sahen, wie gut die Flüchtlinge leben. Unsere Rentner müssen oft mit 100 Euro im Monat auskommen und wohnen ganz erbärmlich."

Nach einer Stunde rollen die Demonstranten ihre Transparente wieder ein. "Die lettische Regierung muss endlich aus eigener Kraft eine wirksame Flüchtlingspolitik finanzieren", sagt die Sozialarbeiterin Sandra Zalcmane. Helfen könnten dabei jene mehr als 800 Freiwilligen, die sich über Facebook zusammengetan haben und den Flüchtlingen als Paten zur Seite stehen wollen.