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Athener Gleichschritt

Von Aaron Salzer und Michael Schmölzer

Politik

Die Griechen gehen einmal mehr zu den Wahlurnen. Syriza und Nea Dimokratia liefern sich ein spannendes Wettrennen. | In der Frage der Schuldenpolitik haben sie ähnliche Antworten.


Athen. Es sind die fünften Parlamentswahlen innerhalb von sechs Jahren; die zweiten in diesem Jahr; die dritte Abstimmung innerhalb von acht Monaten, darunter jene über die Annahme der Spar- und Reformprogramme der Troika. Diesen Sonntag schreiten die Griechen erneut zu den Urnen. Der Ausgang des Votums ist unklar, die linke Syriza unter Alexis Tsipras liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der konservativen Nea Dimokratia. Klar scheint, dass Tsipras seine bisherige Macht nicht festigen können wird, doch auch die Konservativen unter ihrem Parteichef Evangelos Meimarakis sind von einem klaren Wahlsieg weit entfernt.

Klar ist auch, dass sich seit den letzten Wahlen im Jänner - damals hat Tsipras klar gewonnen - überall im Land Ernüchterung breit gemacht hat. Damals ließ sich der Shooting-Star der griechischen Innenpolitik von der Menge feiern; versprach das Spar- und Reformprogramm zu beenden und sagte dem griechischen Klientelismus sowie der Korruption den Kampf an. Das alte Establishment, bestehend aus Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen Pasok, habe das Land gemeinsam in den Abgrund geführt, hieß es. Damit sollte Schluss sein: Es herrschte Aufbruchstimmung auf der einen und Untergangsstimmung auf der anderen Seite. Eine Zwischenposition war schwer auffindbar.

Enttäuschung ist groß

Jetzt ist alles anders: Tsipras hat die Sparforderungen der Geldgeber akzeptiert: Er sei von Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble, Kanzlerin Angela Merkel, Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem erpresst worden, sagen seine verbliebenen Anhänger. Tsipras sei ein Verräter am griechischen Volk sagen die, die sich jetzt getäuscht fühlen, und wählen eine andere Partei oder verzichten gänzlich auf den Urnengang. Enttäuschung macht sich breit. Was die Schuldenpolitik betrifft, gibt es keinen großen Unterschied zwischen Tsipras und Meimarakis. Beide wollen die Sparvorgaben einhalten. Die Kapitalverkehrskontrollen sind wieder aufgehoben, wirtschaftlich hat sich aber wenig gebessert. Die Arbeitslosigkeit liegt noch immer bei rund 25 Prozent, Investoren sind nach wie vor zurückhaltend.

Der 41-jährige Tsipras gilt trotzdem immer noch als der "Sauberste" unter den griechischen Politikern, auch wenn ihm jüngst ein Skandal zu schaffen macht, da einer seiner Vertrauten Alekos Flambouraris drei Tage vor den Parlamentswahlen wegen eines möglichen Interessenskonflikts in seiner Anfangszeit als Minister Syrizas verdächtigt wurde.

Sein 61-jähriger Kontrahent, der Vorsitzende von Nea Dimokratia, Evangelos Meimarakis, ist inzwischen beinahe so populär wie Alexis Tsipras. Er ist zwar ein relativ neues Gesicht, für viele zählt er jedoch zum "alten Establishment". 2007 bis 2009 war er Verteidigungsminister, danach 2012 bis 2015 Parlamentspräsident. Er wirkt freundlich, gelassen und bodenständig; nahe an den Bürgern; auch in seiner Sprache. Zu Tsipras sagte er um eine Regierung der nationalen Einheit mit Syriza werbend: "Sag mal. Ich kann morgen früh in deinem Parteibüro vorbeikommen. Dann können wir über eine große Koalition reden." Tsipras hingegen lehnte bisher eine Zusammenarbeit ab.

Gegen Ende des Wahlkampfes kritisierte Meimarakis nochmals Tsipras hart: Er habe leere Versprechungen gegeben. Das Land dann mit falschen Entscheidungen in eine Katastrophe geführt: Pensionen gekürzt, Steuern erhöht und Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Das neue Sparprogramm werde das Volk mit 12 Milliarden Euro belasten. Tsipras gestand daraufhin Fehler ein. Das Volk habe er aber nicht verraten. Seit dem Wahlsieg vor acht Monaten hätte er und seine Partei hart gekämpft, um die strengen Sparauflagen der Kreditgeber abzuschwächen. Dies sei ihm zwar nicht gelungen, trotzdem habe er eine "zweite Chance" verdient. "Wir machen endgültig Schluss mit dem alten (korrupten) System und machen den Weg frei für das Neue."

Unterdessen rätseln Politologen und Arithmetiker über die künftige Regierung. Wegen einer Drei-Prozent-Hürde könnten diesmal bis zu neun Parteien im Parlament vertreten sein. Der erste Platz ist von besonderer Bedeutung, denn die stärkste Partei erhält zusätzlich 50 Sitze im Parlament; die restlichen 250 von 300 Mandaten werden proportional aufgeteilt. Laut bisherigen Umfrageergebnissen würde keine Partei eine absolute Mehrheit von 151 Mandaten erreichen. Der Wahlgewinner müsste daher einen Koalitionspartner suchen.

Koalitionsmöglichkeiten

Eine große Koalition zwischen Syriza und Nea Dimokratia ginge sich rechnerisch ganz klar aus. Auch inhaltlich haben sich beide Parteien angenähert. Sie akzeptieren beide die Sparauflagen. Bei den Bürgerrechten gibt es allerdings Differenzen. Und: Auch wenn Tsipras das Spar- und Reformprogramm grundsätzlich einhalten möchte, sprach er im Wahlkampf zuletzt von Nachbesserungen bei den Kreditvereinbarungen mit den internationalen Gläubigern und trat für eine Umstrukturierung der griechischen Schulden ein. Auch der IWF hat zuletzt eine Schuldenerleichterung Griechenlands verlangt.

Beim letzten EU-Finanzministertreffen wurde Athen ausdrücklich vor Nachverhandlungen des dritten Hilfspakets gewarnt. Einen Schuldenschnitt für Griechenland schloss die Eurogruppe dementsprechend aus.

Kommt es in Griechenland zu keiner großen Koalition, stünden je nach Wahlausgang fünf Parteien für eine Koalitionsregierung zur Auswahl. Die rechtsextreme Partei der Goldenen Morgenröte - die nach derzeitigen Umfragen den dritten Platz belegen würde - wird von allen Parteien als Koalitionspartner ausgeschlossen. Die kommunistische KKE sieht keine Basis für eine Zusammenarbeit mit den anderen Parteien.

Konservative als Erste?

Syriza würde bei einem Wahlsieg die Neuauflage der bisherigen Koalition mit Anel bevorzugen. Dies sei jedoch sehr unrealistisch, meint der Politologe Kostas Gemenis von der Universität Twente. Es sehe so aus, als würde Anel die Drei-Prozent-Hürde nicht überwinden. Doch abseits davon hätten Syriza und Anel keine Mehrheit mehr.

Viel wahrscheinlicher sei daher eine Koalition zwischen Syriza und der sozialdemokratischen Pasok oder der liberalen Partei To Potami, sagt Gemenis im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". In der Vergangenheit habe Syriza zwar eine Zusammenarbeit mit beiden Parteien ausgeschlossen und diese wegen Korruption und Nähe zu Medienkonzernen kritisiert, das habe sich inzwischen aber geändert. Ebenso sei eine Dreierkoalition zwischen Syriza, Pasok und To Potami denkbar. Diese Parteien wären auch eine gute Option für Nea Dimokratie, sollten sie die Wahl gewinnen.

Das erste Szenario mit Syriza als stärkste Partei sei jedoch wahrscheinlicher, wenn Stichprobengröße, Streuverhältnisse der Umfragen und das Wahlergebnis im Jänner berücksichtigt werden, sagt Gemenis. "Wenn Nea Dimokratia die stärkste Partei wird, dann wäre das eine große Überraschung", meint der Politologe.