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"Das Regime steht unter Druck"

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik
Gegen die Aufhebung der EU-Sanktionen: Ales Bjaljazki.
© Brunner

Weißrusslands Diktator Lukaschenko ruft zu den Wahlurnen. Interview mit dem Menschenrechtsaktivisten Ales Bjaljazki.


Minsk. Es wäre die fünfte Amtszeit von Alexander Lukaschenko, wenn er am 11. Oktober erneut zum Präsidenten Weißrusslands gewählt wird. 1994 kam "Europas letzter Diktator" ins Amt, eine Verfassungsänderung ermöglichte ihm nach zwei Amtszeiten die Wiederwahl. Die weißrussische Opposition sieht sich massiven Repressionen ausgesetzt. Im Interview der "Wiener Zeitung" spricht der weißrussische Menschenrechtsaktivist Ales Bjaljazki über die Situation im Land und was die jüngste Freilassung von politischen Gefangenen bedeutet.

"Wiener Zeitung":Herr Bjaljazki, Sie haben 1996 die Menschenrechtsorganisation "Viasna" (Frühling) gegründet. Zuletzt hat Präsident Aleksander Lukaschenko sechs politische Gefangene freigelassen. Fängt jetzt der politische Frühling an?Ales Bjaljazki: Es ist ganz klar, dass Lukaschenko diese Entscheidung unter dem Druck der EU-Länder getroffen hat. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Frühling anbricht. Abgesehen davon sehen wir praktisch keine Veränderungen im Land. Politisch Verfolgte können wieder jeden Moment im Gefängnis landen.

Wie zum Beispiel die "Graffiti-Sprayer", die wegen patriotischer Graffitis verfolgt werden. Sehen Sie denn einen Trend, dass eher unbekannte Aktivisten verfolgt werden?

Wir sehen wieder ein Szenario wie vor den Präsidentschaftswahlen 2010, als Anarchisten verhaftet wurden: Den Druck der Macht bekommt jetzt wieder jene Gruppen zu spüren, die weniger bekannt und somit auch weniger geschützt sind. Die Situation hat sich nicht in die bessere Richtung verändert. Aber es ist offensichtlich, dass das Regime unter Druck ist. Lukaschenko kann die Unterstützung aus Russland nicht mehr in dem Ausmaß bekommen, wie früher, und deswegen macht er Zugeständnisse gegenüber der EU, um die wirtschaftlichen Beziehungen zu verbessern.

Schon wird über eine Aufhebung der EU-Sanktionen gegenüber Belarus spekuliert. Wäre das der richtige Weg?

Dass die politischen Gefangenen freigelassen wurden, ist natürlich ein entscheidender Schritt, der unmöglich unbemerkt bleiben kann. Aber die Frage nach fairen und freien Wahlen ist keineswegs geklärt. Die Wahlen von 2015 werden unter den gleichen Umständen stattfinden wie 2010. Die Wahlkommission ist zu 100 Prozent unter der Kontrolle des Regimes. Ich finde es daher sehr verfrüht, über die Aufhebung der Sanktionen zu sprechen.

Zugleich ist die Situation für die Opposition vertrackt: Einerseits werden Sanktionen gegen das Regime von Lukaschenko gefordert, andererseits ist es klar, dass es einen Dialog mit der EU - insbesondere infolge der Ukraine-Krise - geben muss.

Es kann nicht sein, dass man Lukaschenko bedingungslos Geld gibt. Der wirkliche Partner für die EU sollte die weißrussische Zivilgesellschaft sein, die wirklich pro-europäische und demokratische Veränderungen will. Lukaschenkos Regime ist für die EU derzeit ein situativer Partner. Die geopolitische Lage zwingt die Partner dazu, sich zusammenzusetzen, weil im Nachbarland Krieg herrscht. Und Belarus ist in diesem Gefüge nicht ganz unwichtig. Aber zu hoffen, Lukaschenko sei ein ehrlicher und verlässlicher Partner für die EU, ist falsch. Wenn sich die wirtschaftliche Lage wieder bessert, werden Sie sehen, wie Lukaschenko wieder auf die EU pfeifen wird.

Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Was für uns besonders unangenehm wäre: Wenn die Wahlen mehr oder weniger ruhig verlaufen und sich die Kontakte zwischen der EU und Lukaschenko verstärken, rücken die Anliegen der Zivilgesellschaft automatisch ins Abseits. Zugleich werden wir vom Regime ständig unter Druck gesetzt.

Inwiefern?

Unsere Versuche, uns offiziell zu registrieren, werden von den Behörden ständig ignoriert. Das ist gefährlich, weil wir dafür immer strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Zuletzt wurden wieder Regional-Büros untersucht und Aktivisten verfolgt.

Es ist bekannt, dass die Lage vor allem für politische Gefangene in den Gefängnissen sehr schlimm ist. Sie selbst waren jahrelang inhaftiert. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Politische Gefangene werden ständig von der Gefängnisleitung schikaniert. Das reicht vom Streichen von Lebensmittelsendungen bis hin zum Verbot, die Familie zu sehen. So habe ich meine Frau ein Jahr lang nicht gesehen. Außerdem war es anderen Häftlingen verboten worden, mit mir zu sprechen. Wenn jemand dann doch mit mir gesprochen hat, wurde das sofort an die Gefängnisleitung gemeldet. Sie versuchen, eine unerträglich psychologische Situation zu schaffen.

Mit welchem Ziel?

Die Leute sollen moralisch gebrochen werden. Sie wollten, dass ich um meine Begnadigung ansuche und somit meine Schuld eingestehe. Ich habe das aber nicht gemacht - wie übrigens auch nicht die anderen politischen Gefangenen, die jetzt freigekommen sind, mit einer Ausnahme.

Was bedeutet die Ukraine-Krise für die weißrussische Gesellschaft allgemein?

Die weißrussische Gesellschaft wird dadurch stark polarisiert - in einen pro-russischen und einen pro-europäischen Teil. Der Einfluss der russischen Propaganda ist auch bei uns sehr stark. Dazu gibt es noch die ständige Bedrohung, dass das, was mit der Krim passiert ist, auch in Belarus passiert.

Zuletzt wurde der ukrainische Regisseur Oleg Senzow von einem russischen Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er öffentlich gegen die Krim-Annexion eingetreten ist. Inwiefern ist aus Ihrer Sicht der Vergleich mit sowjetischen Schauprozessen zulässig?

Natürlich ist das ein Post-Stalin-Syndrom. Heute kannst du eine Person einsperren, und Millionen fürchten sich. In diesem Sinne ist es ganz klar, dass dieser Prozess ein Schauprozess ist. Aber eines ist klar: Nur der Druck der internationalen Gemeinschaft kann zu einer Veränderung führen. Wie das auch mit unseren politischen Gefangenen war, die Lukaschenko vor wenigen Tagen freigelassen hat.

Zur Person

Ales

Bjaljazki

ist der berühmteste Menschenrechtler von Belarus. Er hat in Literaturwissenschaften promoviert und 1996 das belarussische Menschenrechtszentrum "Viasna" (Frühling) gegründet. Die Organisation unterstützt politische Gefangene und ihre Familien. 2011 wurde Bjaljazki selbst wegen Steuerhinterziehung zu 4,5 Jahren Straflager verurteilt. Die EU und die USA kritisierten das Urteil als politisch inszeniert. Im Juni 2014 wurde Bjaljazki frühzeitig aus dem Straflager entlassen. Bjaljazki wurde zwei Mal für den Friedensnobelpreis nominier.