Zum Hauptinhalt springen

Im Bann des Terrors

Von WZ-Korrespondent Gerd Höhler

Politik

Nach dem Anschlag in Ankara laufen die Ermittlungen. Angela Merkel reist in die Türkei.


Athen.(n-ost) Bei der Suche nach den Drahtziehern des Terroranschlags in der türkischen Hauptstadt Ankara konzentrieren sich die Ermittler auf die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Bei dem Anschlag auf eine Friedensdemonstration, der am Samstagmorgen von zwei Selbstmordattentätern verübt wurde, sind nach Angaben der Regierung 97 Menschen getötet worden. Die pro-kurdische Partei HDP, einer der Organisatoren der Kundgebung für eine friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts, hatte zuvor sogar von 128 Todesopfern berichtet.

Welche politischen Folgen der bisher schwerste Terroranschlag in der jüngeren Geschichte des Landes haben wird, ist noch gar nicht absehbar. Er vertieft zweieinhalb Wochen vor der Parlamentswahl die politischen Gräben. Manche Kommentatoren erwarten, dass nun in der Bevölkerung der Ruf nach einem "starken Mann" lauter werden könnte - eine Rolle, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gern spielen möchte.

Andere Beobachter rechnen mit der Möglichkeit, dass die HDP, gegen deren Anhänger sich der Anschlag richtete, Zulauf bekommen könnte. Aus Angst vor weiteren Anschlägen erwägt die HDP jetzt, alle Wahlkampfkundgebungen abzusagen. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP will zunächst bis Freitag auf Kundgebungen verzichten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will am Sonntag nach Ankara reisen. Ganz oben auf ihrer Agenda dürfte das Flüchtlingsthema stehen. In Berlin hofft man auf mehr Kooperation der türkischen Regierung, um die Flüchtlingsströme zu kanalisieren. In der Türkei dürfte die Visite zwei Wochen vor der Parlamentswahl aber anders gesehen werden, nämlich als Unterstützung der Kanzlerin für Premier Ahmet Davutoglu und Präsident Erdogan.

Hinweise auf IS-Täter

Davutoglu sagte am Montag dem türkischen Nachrichtensender NTV, es gebe Hinweise auf "eine bestimmte Gruppe". Bei den Ermittlungen habe der IS "die erste Priorität", erklärte Davutoglu. "Es werden jetzt DNA-Tests durchgeführt", so der Ministerpräsident. Man habe bereits rekonstruiert, wie die Selbstmordattentäter zum Tatort gelangten. "Wir stehen kurz davor, einen Namen zu identifizieren, der auf eine bestimmte Gruppe hindeutet", sagte Davutoglu.

Der Premier nannte aber erneut auch die kurdische PKK und die linksextremistische Untergrundorganisation DHKP-C als mögliche Drahtzieher des Anschlags. Bisher hat sich niemand zu dem Attentat bekannt. In Sicherheitskreisen hieß es am Montag, alles deute auf den IS hin. So gebe es zahlreiche Parallelen zwischen dem Anschlag von Ankara zu einem Selbstmordattentat auf eine kurdische Versammlung in der Stadt Suruc im Juli, das ebenfalls dem IS zugeschrieben wird.

Bei einem der beiden Selbstmordattentäter von Ankara soll es sich um Yunus Emre Alagöz handeln, berichteten türkische Medien unter Berufung auf Polizei- und Geheimdienstkreise, den Bruder von Seyh Abdurrahman Alagöz, der sich mit einem Komplizen am 20. Juli bei dem Anschlag in Suruc in die Luft gesprengt hatte. Bei dem damaligen Attentat wurden 32 Menschen getötet. Die Alagöz-Brüder sollen sich 2014 dem IS in Syrien angeschlossen haben. Nach dem Attentat von Suruc tauchte Yunus Emre Alagöz ab. Nach offiziellen Angaben nahm die türkische Polizei am Montag vier mutmaßliche Mitglieder des IS in der südtürkischen Stadt Adana fest.

Nach einer Mitteilung aus dem Amt des Ministerpräsidenten wurden am Montag noch 160 Verletzte in Krankenhäusern behandelt, 65 von ihnen liegen auf Intensivstationen. Innenminister Selami Altinok erwägt nun offenbar doch einen Rücktritt, berichtete der Sender CNN Türk. Altinok hatte zunächst jede Verantwortung von sich gewiesen. Der Minister war in den Fokus der Kritik geraten, weil die Sicherheitsvorkehrungen bei der Friedenskundgebung offenbar unzureichend waren.

"Sicherheitsmängel"

Einer der Teilnehmer, der Kolumnist Faruk Bildrici, berichtete, erst eine halbe Stunde nach dem Anschlag seien Krankenwagen und Polizei am Tatort eingetroffen. Andere Augenzeugen sagten, die Polizei habe mit Tränengas Kundgebungsteilnehmer auseinandergetrieben, die Verletzte versorgen wollten. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu forderte den Rücktritt der Innen- und des Justizminister. Das gebiete "der Respekt vor den Opfern und ihren Hinterbliebenen". Wenn die Minister nicht zurückträten, müsse der Premier sie entlassen. Davutoglu sagte am Montag, man werde "Schritte unternehmen", falls es Sicherheitspannen gegeben habe.

Der prominente türkische Sicherheits- und Terrorismusexperte Sedat Laciner erhob in der Zeitung "Today’s Zaman" den Vorwurf, es habe bei der Friedenskundgebung "ernste Sicherheitsmängel" gegeben. In der gleichen Zeitung sagte der frühere türkische Polizeichef Ercan Tastekin, die Zunahme des Terrorismus in der Türkei zeige, "dass unser Land unter einem Missmanagement auf höchster Ebene leidet."