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Schwieriger Nachbar

Von Gerhard Lechner

Politik

Die Präsidentenwahlen in Weißrussland verliefen laut OSZE erneut mit "bedeutenden Problemen".


Minsk. Auf den ersten Blick bleibt in Minsk alles wie gehabt. Die Präsidentenwahlen brachten das erwartete offizielle Wahlergebnis - über 80 Prozent für Amtsinhaber Alexander Lukaschenko, unter zehn Prozent für seine Konkurrenten. Ganz wie immer in dem Staat des autoritär regierenden Präsidenten, der von der EU wegen Verstößen gegen die Menschenrechte mit Sanktionen belegt ist. Dennoch kann sich Lukaschenko Hoffnungen machen, dass die EU-Sanktionen gegen ihn und sein Regime nun Schritt für Schritt aufgehoben werden.

Obwohl sich eigentlich in Weißrussland nichts geändert hat: Wie schon beim letzten Urnengang 2010, so verkündete auch diesmal Lidia Jermoschina, die resolute Chefin der Wahlkommission, die Ergebnisse. 83,49 Prozent soll Lukaschenko erreicht haben. Das wäre mehr als beim vergangenen Mal - was an sich durchaus glaubwürdig wäre: Schon 2010 wollte sich Belarus dem Westen annähern. Der Staat ließ deshalb einige profilierte Gegenkandidaten wie den Oppositionellen Andrei Sannikow oder den Schriftsteller Wladimir Neklajew zu den Präsidentenwahlen zu.

Das mobilisierte die Anhänger der Opposition, zu den Wahlen zu gehen - obwohl sie wussten, dass das eigentlich sinnlos ist: Ausgezählt werden die Stimmen vom Regime, und der Umstand, dass etwa Angestellte, Soldaten und Studenten meist schon vor dem Wahltag zu den Urnen gebeten werden, lässt genügend Möglichkeit für Manipulationen. Als dann Lukaschenko die Proteste gegen ihn am Wahlabend niederschlagen ließ, entschlossen sich viele Oppositionelle endgültig, einer solchen "Wahlfarce" künftig fernzubleiben. Mit Tatzjana Karatkewitsch trat dieses Mal nur noch eine "echte" Kandidatin der demokratischen Opposition an. Sie erreichte nach offiziellem Ranking Platz zwei - mit 4,4 Prozent der Stimmen. Profilierte Vertreter der Opposition wie Neklajew oder Mikolaj Statkewitsch hatten zum Boykott der Wahl aufgerufen. Sie nahmen an einer nicht genehmigten Kundgebung gegen Lukaschenko in Minsk teil. Die Polizei schritt nicht dagegen ein - zu viel stand auf dem Spiel: Die EU hatte im Vorfeld der Wahl durchblicken lassen, dass man in Brüssel gewillt ist, die Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime aufzuheben zu lassen.

Rückenstärkung für Minsk

Für den vom Westen an sich isolierten Lukaschenko wäre das - nach seiner Vermittlerrolle im Ukraine-Konflikt - ein weiterer außenpolitischer Erfolg und eine dringend nötige Rückenstärkung gegenüber Moskau. Schließlich will der Kreml in Weißrussland eine neuen Luftwaffenbasis errichten. Lukaschenko, der sich darüber lange ausgeschwiegen hat, sprach sich in der vergangenen Woche gegen die russische Basis aus. Mit einer Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Belarus würde die EU wohl auch in Weißrussland den geopolitischen Ambitionen Russlands in die Quere kommen.

Eine Politik der Entspannung gegenüber dem belarussischen Regime hätte aber ihren Preis: Die "Wertegemeinschaft" EU müsste ihre Werte schon sehr weit definieren, um ihr Urteil über Weißrussland zu revidieren. Rückenwind seitens der Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bekam die EU jedenfalls keinen: "Einige bedeutende Probleme, insbesondere bei der Auszählung und Auswertung der Stimmen, untergraben die Integrität der Wahl", erklärte der Chef der Beobachtermission, Kent Harstedt, am Montag in Minsk. Es sei klar, dass das Land "noch einen langen Weg vor sich hat, um seine demokratischen Verpflichtungen zu erfüllen". Die Hoffnung auf Demokratie-Fortschritte sei "großteils enttäuscht" worden.

Steinmeier sieht "Veränderung"

Dennoch sucht Brüssel einen Ausweg aus der bisher verfolgten Politik der Sanktionen. Diese wurde zwar als moralisch integer, aber machtpolitisch kontraproduktiv eingeschätzt. Sie habe Weißrussland nur in die Arme des großen Bruderstaates Russland getrieben, lautet eine weit verbreitete Einschätzung. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier preschte bereits vor Bekanntgabe des Urteils der OSZE-Beobachter vor: Lukaschenkos Sieg sei zwar "nicht überraschend" gewesen. Es habe aber "doch Veränderungen" gegeben. So seien im Vorfeld der Wahl politische Gefangene freigelassen worden, und auch Repressalien habe es nicht im selben Außmaß wie früher gegeben. Die EU könnte daher ab November ihre Sanktionen gegen die Führung des Landes aussetzen. Die Strafmaßnahmen würden nach ihrem bisher geplanten Auslaufen Ende Oktober zwar "vermutlich verlängert", ihre Anwendung aber "suspendiert", sagte Steinmeier.

Die weißrussische Opposition um Statkewitsch und Neklajew würde Steinmeiers Befund wohl nicht unterschreiben. Die Regimegegner bezeichneten die Wahlen als "Spektakel". Sie fordern, dass die EU bei ihrer Politik der Sanktionen bleibt. Auch Weißrussland-Kenner verweisen darauf, dass Lukaschenko vor den letzten Wahlen 2010 ähnliche Signale gesetzt hat wie jetzt - eher er seine Gangart wieder verschärfte.