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Zugeständnisse an die Türkei

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik
Angela Merkel, David Cameron und Francois Hollande.

Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise kommt die EU Ankara entgegen.


Brüssel. Jahre des Stillstands, ein zögerlicher Neustart, dann wieder keine Bewegung: Die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Beitrittskandidatin Türkei waren lange Zeit eher von Stagnation denn Fortschritten geprägt. Doch nun erhalten die Gespräche eine Dynamik, wie sie schon lange nicht zu beobachten war. Und nicht wirtschaftliche oder politische Entwicklungen waren ausschlaggebend dafür. Ausgerechnet die Flüchtlingskrise war der Auslöser.

Seit Wochen schon weisen EU-Politiker darauf hin, dass die Türkei bei der Suche nach Lösungen zur Unterbringung der Schutzsuchenden eine wesentliche Rolle spielt. Immerhin sind in dem Land rund zwei Millionen Menschen untergekommen, die aus dem benachbarten Syrien geflohen sind. Dass sie mit diesem Problem bisher allein gelassen worden sei und auch schon viel Geld für Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt habe, hat die Regierung in Ankara mehrmals betont. Dass etliche Menschen nach Europa weiterziehen wollen, braucht sie nicht hinzuzufügen.

Mehr Unterstützung für die Türkei liegt also auch im Interesse der EU. Wie weit Brüssel aber Ankara entgegenkommen soll, sorgte beim Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs für Zwistigkeiten. Unumstritten war lediglich die finanzielle Hilfe, auf die sich die Europäer geeinigt haben. Mindestens eine Milliarde Euro soll in das Land fließen. Die Summe könnte aber durchaus noch erhöht werden.

Doch schon die geplante Beschleunigung des Prozesses zur Visaliberalisierung löste Unbehagen aus. Allzu schnell sollte es keine Erleichterungen geben, befand der französische Staatspräsident François Hollande. Auch müssten die Bedingungen für eine Abschaffung der Visumpflicht erfüllt sein.

Paris sieht einen möglichen EU-Beitritt der Türkei mit ähnlicher Skepsis wie Berlin. Dort stellte denn auch Bundeskanzlerin Angela Merkel klar, dass die Verhandlungen mit dem potenziellen künftigen Mitglied ergebnisoffen geführt werden - eine Formulierung, auf die Wien ebenfalls pocht. Ähnliches hatte Griechenlands Premier Alexis Tsipras im Sinn, als er von der Notwendigkeit sprach, die "Integrität des Beitrittsprozesses" zu wahren.

Doch scheint mittlerweile den türkischen Politikern die Visafreiheit für ihre Bürger eines der größten Anliegen zu sein. Eine Zusage, dass ein entsprechendes Abkommen bereits im kommenden Jahr fixiert ist, könnte der konservativen Regierungspartei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan noch dazu Auftrieb in einem Wahlkampf geben, der bisher von einer Eskalation der Gewalt nicht nur im kurdisch geprägten Osten des Landes, sondern auch Anschlägen mit dutzenden Toten in der Hauptstadt überschattet war. Bei der Parlamentswahl am 1. November hofft die Partei mit islamischen Wurzeln, ihre Vormacht im Staat zurückzugewinnen. Beim letzten Urnengang hat sie nämlich ihre absolute Mehrheit verloren, und über massive Stimmengewinne konnte sich die prokurdische HDP freuen. Eine Regierungsbildung war dann aber über Monate nicht möglich.

Grenzschutz im Mittelpunkt

In der Zwischenzeit konnte die AKP schon auf außenpolitische Erfolge verweisen, nachdem Erdogan bei seinem Brüssel-Besuch versichert wurde, wie wichtig sein Land bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise sei. Schon am Sonntag steht das nächste hochrangige Treffen an: Merkel wird in Ankara erwartet.

Für die EU geht es bei all dem nicht zuletzt um die Sicherung ihrer Außengrenzen. Auch die stand im Mittelpunkt der Beratungen der Staats- und Regierungschefs. So sollen EU-Einrichtungen wie die Grenzschutzagentur Frontex personell und finanziell aufgestockt werden. Auch könnte das Mandat der Agentur erweitert werden, indem diese Aktionen zur Rückführung von Asylwerbern durchführen könnte. Ebenso steht eine "schrittweise Errichtung eines integrierten Grenzmanagement-Systems für die Außengrenzen" zur Debatte. Ob dies zu gemeinsamen Kontrollen führen wird, ist noch unklar, weil etliche Staaten die Sicherung der Übergänge als nationale Angelegenheit ansehen.

Das Geld für die unterschiedlichen Maßnahmen wird aber nur zögerlich bereitgestellt. Dabei haben die Mitgliedstaaten beispielsweise versprochen, 500 Millionen Euro in den syrischen Treuhandfonds und 1,8 Milliarden Euro in den Afrika-Fonds fließen zu lassen. Für das Welternährungsprogramm und weitere humanitäre Hilfe soll es 500 Millionen Euro geben. Doch was die Länder bisher fix zugesagt haben, liegt weit darunter: acht beziehungsweise neun Millionen Euro für die zwei Fonds, knapp 275 Millionen Euro für die anderen Programme. Österreich wolle bis zu 30 Millionen Euro beitragen, kündigte Bundeskanzler Werner Faymann an.

Merkel betonte, dass auch die anderen Staaten ihre Verpflichtungen erfüllen sollten. In Deutschland brachte die Koalition unterdessen ein Gesetzespaket durch den Bundestag, das die Asylregeln verschärfen, die Verfahren beschleunigen und einen zügigen Bau von Unterkünften ermöglichen soll.