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Afghanischer Flüchtling "von Querschläger" getötet

Von WZ-Korrespondent Frank Stier

Politik

Todesfall an Grenze zur Türkei lässt Fragen unbeantwortet. Bulgarisches Grenzregime ist als wenig menschlich bekannt.


Sofia. Vor zwei Jahren sorgten Berichte über unmenschliche Zustände in überfüllten bulgarischen Flüchtlingslagern für internationale Betroffenheit. Zuletzt ist das Land nicht im Fokus der Aufmerksamkeit gewesen - immerhin sind die Camps mit 2397 Menschen nur zu 47 Prozent belegt. Doch mit einem Schlag ist das Balkan-Land jetzt erneut in die Schlagzeilen geraten: Ein Schuss aus der Pistole eines bulgarischen Grenzpolizisten hat in der Nähe der Kleinstadt Sredets, einige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, einen afghanischen Flüchtling getötet. Der Fall sorgt für Empörung. Und die dringende Frage lautet, wie die bulgarische Strategie zur Bewältigung der Flüchtlingskrise genau aussieht.

"Der Beamte hat ausgesagt, er habe einen Warnschuss in die Luft abgegeben, anschließend habe ein Querschläger den Afghanen getroffen", gab Georgi Kostov, Hauptsekretär des bulgarischen Innenministeriums, auf einer Pressekonferenz bekannt. Drei bulgarische Grenzbeamte seien demnach vierundfünfzig Flüchtlingen gegenübergestanden. Doch sofort wurden Zweifel laut, wie aus einem Schuss in die Luft ein Querschläger werden könne. Staatsanwältin Kalina Tschakanova führte ins Treffen, dass der Schuss unter einer Brücke gefallen sei, unter der sich die Flüchtlinge befunden hätten. Danach sei der Verletzte 65 (!) Meter von der Stelle wegtransportiert worden, um die Wunde zu behandeln.

"Bulgarien bewacht die EU-Außengrenze besser als das Schengen-Mitglied Griechenland", lautet die Erklärung des bulgarischen Ministerpräsidenten Boiko Borissov, warum vergleichsweise wenige Migranten über Bulgarien flüchten. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Pro Asyl haben im Verlaufe des letzten Jahres mehrfach gegen Bulgariens Grenzregime protestiert. Das von bulgarischen Grenzbeamten praktizierte gewaltsame Zurückdrängen von Flüchtlingen auf türkisches Territorium laufe der UN-Menschenrechtskonvention zuwider, sagen sie.

Von der Europäischen Kommission war dazu bisher wenig zu hören. Der Menschenrechtskommissar des Europarats in Straßburg, Nils Muiznieks, hat das bulgarische Grenzregime in seinem Bericht dieses Frühjahr aber explizit kritisiert. Ihm seien mehrere Fälle bekannt geworden, wo Migranten zum Teil mit "exzessiver Anwendung von Zwang, Gewalt und/ oder Misshandlung" von bulgarischem auf türkisches Territorium zurückgedrängt worden seien. Grenzbeamte hätten "Angehörige von Drittstaaten mehrfach zwangsweise in die Türkei ausgewiesen, ohne ihnen die Möglichkeit gegeben zu haben, um Asyl nachzusuchen". Ein Migrant habe erklärt, nicht weniger als acht Mal die Grenze überquert zu haben und wieder zurückgebracht worden zu sein, dabei hätten "bulgarische Polizeibeamte Pistolen auf seinen Kopf gerichtet".

Laut Muiznieks haben bereits vor dem nun getöteten afghanischen Flüchtling Menschen ihr Leben an der bulgarisch-türkischen Grenze verloren. Zwei Irakis seien auf türkischem Gebiet Verletzungen erlegen, die ihnen bulgarische Grenzbeamte durch Schläge zugefügt hätten. Muiznieks kritisiert, die bulgarische Regierung habe es auf "Anfrage nach der Vielzahl von Vorwürfen über das Zurückdrängen von Flüchtlingen und andere Menschenrechtsverletzungen abgelehnt, entsprechende Untersuchungen einzuleiten".

Wie Italien und Griechenland bewache auch Bulgarien eine EU-Außengrenze, begründet Bulgariens Ministerpräsident Borissov für gewöhnlich seine Forderung an die EU um materielle Unterstützung in der Flüchtlingsfrage. Ein Blick auf die Statistik der Staatlichen Flüchtlingsagentur erklärt indes die erstaunlich geringe Belegung der bulgarischen Flüchtlingslager. 7277, also über 57 Prozent aller Asylverfahren, wurden in diesem Jahr ergebnislos abgebrochen. In den meisten Fällen, weil sich die Antragsteller bereits auf den Weg nach Westeuropa gemacht haben.

Flüchtling in Calais umgekommen

Doch auch in Westeuropa sterben nach wie vor Flüchtlinge: In der Nacht auf Freitag ist ein Flüchtling in Calais ums Leben gekommen. Das Opfer sei beim Eurotunnel von einem aus Großbritannien kommenden Zug erfasst worden, hieß es. Rettungskräfte sagten, es sei unmöglich gewesen, Alter, Geschlecht oder die Nationalität des Opfers festzustellen, da der Körper über mehr als 400 Meter mitgeschleift worden sei.

Es ist dies bereits der 16. tödliche Unfall eines Flüchtlings in der Region seit Ende Juni. In Calais und Umgebung sitzen zwischen 4000 und 5000 Schutzsuchende fest, die meisten stammen aus Ostafrika, Syrien und Afghanistan. Sie hoffen, auf Fähren über den Ärmelkanal oder auf Zügen durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen. Die Lage eskalierte Ende Juli, als in manchen Nächten bis zu 2000 Versuche von Flüchtlingen gezählt wurden, auf das Eurotunnel-Gelände zu gelangen.