Sofia. Vor zwei Jahren sorgten Berichte über unmenschliche Zustände in überfüllten bulgarischen Flüchtlingslagern für internationale Betroffenheit. Zuletzt ist das Land nicht im Fokus der Aufmerksamkeit gewesen - immerhin sind die Camps mit 2397 Menschen nur zu 47 Prozent belegt. Doch mit einem Schlag ist das Balkan-Land jetzt erneut in die Schlagzeilen geraten: Ein Schuss aus der Pistole eines bulgarischen Grenzpolizisten hat in der Nähe der Kleinstadt Sredets, einige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, einen afghanischen Flüchtling getötet. Der Fall sorgt für Empörung. Und die dringende Frage lautet, wie die bulgarische Strategie zur Bewältigung der Flüchtlingskrise genau aussieht.

"Der Beamte hat ausgesagt, er habe einen Warnschuss in die Luft abgegeben, anschließend habe ein Querschläger den Afghanen getroffen", gab Georgi Kostov, Hauptsekretär des bulgarischen Innenministeriums, auf einer Pressekonferenz bekannt. Drei bulgarische Grenzbeamte seien demnach vierundfünfzig Flüchtlingen gegenübergestanden. Doch sofort wurden Zweifel laut, wie aus einem Schuss in die Luft ein Querschläger werden könne. Staatsanwältin Kalina Tschakanova führte ins Treffen, dass der Schuss unter einer Brücke gefallen sei, unter der sich die Flüchtlinge befunden hätten. Danach sei der Verletzte 65 (!) Meter von der Stelle wegtransportiert worden, um die Wunde zu behandeln.

"Bulgarien bewacht die EU-Außengrenze besser als das Schengen-Mitglied Griechenland", lautet die Erklärung des bulgarischen Ministerpräsidenten Boiko Borissov, warum vergleichsweise wenige Migranten über Bulgarien flüchten. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Pro Asyl haben im Verlaufe des letzten Jahres mehrfach gegen Bulgariens Grenzregime protestiert. Das von bulgarischen Grenzbeamten praktizierte gewaltsame Zurückdrängen von Flüchtlingen auf türkisches Territorium laufe der UN-Menschenrechtskonvention zuwider, sagen sie.

Von der Europäischen Kommission war dazu bisher wenig zu hören. Der Menschenrechtskommissar des Europarats in Straßburg, Nils Muiznieks, hat das bulgarische Grenzregime in seinem Bericht dieses Frühjahr aber explizit kritisiert. Ihm seien mehrere Fälle bekannt geworden, wo Migranten zum Teil mit "exzessiver Anwendung von Zwang, Gewalt und/ oder Misshandlung" von bulgarischem auf türkisches Territorium zurückgedrängt worden seien. Grenzbeamte hätten "Angehörige von Drittstaaten mehrfach zwangsweise in die Türkei ausgewiesen, ohne ihnen die Möglichkeit gegeben zu haben, um Asyl nachzusuchen". Ein Migrant habe erklärt, nicht weniger als acht Mal die Grenze überquert zu haben und wieder zurückgebracht worden zu sein, dabei hätten "bulgarische Polizeibeamte Pistolen auf seinen Kopf gerichtet".