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"You are safe now"

Von Lydia Bißmann, Laura Aichelburg und Michael Schmölzer

Politik

Slowenien sieht sich am Ende seiner Kapazitäten. Im steirischen Spielfeld hilft man den Flüchtlingen - und harrt der Dinge.


Spielfeld/Wien. "You are safe now!" Der Einsatzleiter der steirischen Landespolizeidirektion versucht die kleine Gruppe von Menschen zu beruhigen um eine Panik zu vermeiden. Am Grenzübergang Spielfeld-Straß liegen für kurze Zeit die Nerven blank. Asylsuchende kommen aus dem slowenischen Lager und möchten nur eines: österreichischen Boden berühren. Sie haben eine Abkürzung gewählt, um nicht in der langen Schlange stehen zu müssen. Schnell wurden Gitter aufgestellt und immer nur Zehnergrüppchen zur Registratur durchgelassen.

Im Burgenland können die Hilfskräfte unterdessen durchatmen. Vorerst. In Slowenien nicht, dort sind Behörden, Rotes Kreuz und private Helfer angesichts der schieren Massen an Flüchtlingen überfordert. Fast 20.000 hätten das Land seit Freitag betreten, heißt es in Ljubljana. Man sei am Ende seiner Kapazitäten. In Bad Radkersburg und Spielfeld herrscht Ruhe vor dem Sturm. Man bereitet sich vor und harrt der Dinge, die da kommen.

Am Montag haben Slowenien und Kroatien die Schleusen geöffnet, die Grenzen sind für Flüchtende passierbar. Ein Treck hat sich in Bewegung gesetzt, gerät ins Stocken, marschiert weiter. Und die österreichischen Helfer stehen vor einer weiteren Bewährungsprobe. Aus Hunderten, die um Hilfe bitten, werden schnell Tausende, die dann zu Zehntausenden werden können: Sie müssen versorgt, vor der Kälte geschützt und durch das Land gebracht werden. Zuletzt haben zahlreiche Vertriebene an der serbisch-kroatischen Grenze die Nacht bei Regen und Kälte im Freien verbringen müssen. Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" hat bereits die ersten Fälle von Unterkühlung, Atemwegserkrankungen und äußere Verletzungen diagnostiziert. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR sprach vom "Vorhof der Hölle".

Schauplatz Spielfeld: Man sieht den Menschen an, dass es die letzten Tage geregnet hat. Die meisten sind hüfthoch mit Schlamm beschmiert und verkühlt. So auch Alis Frau und seine vier Kinder, die sich am schnell aufgestellten Gitterzaun anlehnen und müde aussehen. Zehn Tage seien sie zu Fuß unterwegs gewesen, berichten sie. Auf die Frage, was ihnen passiert ist, antwortet der Iraker nicht - anders als sein Kollege der betont, dass alle kommunistischen Länder furchtbar wären. Ankunft in Utopia Europa.

Die Moderatorin von Pop-TV schüttelt den Kopf auf die Frage, ob die slowenische Polizei Pfefferspray eingesetzt hat. "Kein Pfefferspray - irgendein anderes Spray." Es seien auch keine drei Menschen an der kroatischen Grenze gestorben wie Gerüchte behaupten meint sie.

Die Stimmung ist ruhig, fast feierlich, man spürt Konzentration auf beiden Seiten des Absperrgitters. Auf der einen Seite fokussieren sich Polizei und Heeresstreife darauf, die Situation nicht kippen zu lassen und Panik zu vermeiden und auf der anderen Seite stehen Menschen, die auf dem Weg zu einer besseren Zukunft ein Etappenziel mehr erreicht haben.

Prinzipiell ist die Grenze nach Österreich offen. Neuankommende werden registriert - egal ob sie Dokumente besitzen oder nicht. Die Zelte für diesen Vorgang sind in unterschiedliche Sprachen gegliedert. Als Dolmetscher fungieren Bundesheerangestellte mit Migrationshintergrund und Sprachkenntnissen in Farsi, Urdu sowie Arabisch. Das beruhige die Menschen, die hier auf ihre Busse in das nächste Transitlager warten, meint Kontrollinspektor Christoph Grill. Gecharterte Busse von denen manche die Aufschrift "Retter-Reisen" tragen.

Mit "Habibi" und "Marhaba" begrüßt einer der Fahrer die einsteigenden Flüchtlinge. Nejdeljko Risti spricht kein Arabisch, aber er hat auf seinen vielen Reisen ein paar Phrasen aufgeschnappt, mit denen er jetzt mit seinen Fahrgästen kommuniziert. Auch seine Eltern seien vor dem Bosnienkrieg nach Österreich geflohen, ebenfalls zu Fuß wie die meisten von hier.

In Spielfeld wird soeben ein zweites beheiztes Zelt aufgebaut. Hier gibt es Essen und erste medizinische Versorgung. Zum Übernachten sind die Zelte aber nicht gedacht - es ist nicht geplant, dass die Ankommenden hier schlafen sollen. Manche der Einsatzkräfte tragen Mundschutz, fast alle Handschuhe. Es ist ihre eigene Entscheidung, das zu tun - es gab in letzter Zeit immer wieder Fälle von offener Tuberkulose. Die österreichische Polizei kommuniziert mit den slowenischen Grenzbehörden und es wird immer nur eine bestimmte Anzahl an Menschen durchgelassen. Mit wie vielen Flüchtlingen man in nächster Zeit noch rechnen werde? Darauf könne man keine Antwort geben, schüttelt Oberst Huber von der österreichischen Polizei lächelnd den Kopf. Wer weiß das schon?

Slowenien macht Militär mobil

Die Situation im kroatisch-serbischen Grenzgebiet bleibt unterdessen alles andere als stabil. "Die Grenze ist offen", heißt es und dann: "Die Grenze ist zu." Gerüchte machen die Runde. In Berkasovo-Babska verloren die Wartenden die Geduld und schlugen sich in Gruppen durch Maisfelder und Weingärten nach Kroatien durch. Die kroatische Polizei rief die Hereinströmenden zur Umkehr auf, unternahm sonst aber nichts. Innerhalb von 48 Stunden haben 9500 Flüchtlinge in Berkasovo-Babska die die Grenze überschritten. In den gestrigen Abendstunden wurden weitere 3500 erwartet.

Laut UNHCR befinden sich derzeit insgesamt 10.000 Menschen auf der mittlerweile berüchtigten Balkanroute. Fast alle wollen über Slowenien und Österreich nach Deutschland, manche in skandinavische Länder weiterreisen.

Im zwei Millionen Einwohner zählenden Slowenien sieht man sich am Ende seiner Kapazitäten. Die Flüchtlingsunterkünfte sind komplett überfüllt, es drängen sich 3700 Flüchtlinge in den Aufnahmeeinrichtungen im Nordosten des Landes. Der Zustrom aus Süden lässt nicht nach, die Flüchtlinge werden von der kroatischen Polizei per Zug an die Grenze gebracht. Die letzten Meter waren zu Fuß zurückzulegen.

Die Regierung in Ljubljana kritisiert, dass die Neuankömmlinge unkontrolliert und zum Teil sogar absichtlich zerstreut über die Grenze geschickt würden. Die Regierung schickt Soldaten an die Grenze, rund 140 Mann sind schon im Einsatz. Sie unterstützen - ähnlich wie das Bundesheer in Österreich - die Polizei und die Hilfskräfte. Zudem erwägt Slowenien den Bau eines Zaunes. Slowenien hat außerdem offiziell bei der EU zusätzliche Polizeikräfte angefordert. Man sei das kleinste Land auf der Balkan-Route und brauche Hilfe. Das sei nun der Solidaritäts-Test, so Ljubljana. Die zusätzlichen Polizeikräfte sollen an der Grenze zu Kroatien stationiert werden.

"Dramatischer Höhepunkt"

Entgegen allen Meldungen, die eine Abnahme des Flüchtlingszustroms nach Ende des Sommers und mit Einbrechen der kalten Jahreszeit prognostiziert haben, sprechen die Vereinten Nationen nun von einem "neuen dramatischen Höhepunkt" der Flüchtlingswelle in Griechenland. Allein am Montag seien mehr als 8000 Menschen aus der Türkei auf die griechischen Ägäis-Inseln gekommen, teilt die UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming mit. Viele der Neuankommenden seien "fest entschlossen, rasch weiterzuziehen, denn sie fürchten, dass die vor ihnen liegenden Grenzen bald geschlossen werden".

Das Wetter in Griechenland und in der Türkei sei am Wochenende gut gewesen, deshalb habe es besonders viele Überfahrten gegeben, erklärte Ruth Schöffl von UNHCR-Büro in Wien gegenüber der "Wiener Zeitung". Seit Jahresbeginn sind mehr als eine halbe Million Flüchtlinge nach Griechenland gelangt, die Gesamtzahl der Mittelmeerflüchtlinge in diesem Jahr ist auf 643.000 gestiegen.