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Altgriechisch punktet in Nikosia

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik
Fischer besucht mit Constantinos Yiorkadjis (2.v.l.), Bürgermeister von Nikosia, die Waffenstillstandslinie der geteilten Stadt.
© Christodoulou

Bundespräsident Fischer beeindruckt mit Homer und will sich für das Ende des Konflikts auf Zypern einsetzen.


Nikosia. Um exakt 11.49 Uhr an diesem hier so wunderbar lauen ersten Mittwoch im November erlebte Bundespräsident Heinz Fischer den wohl emotionalsten Moment bei seinem zweitägigen offiziellen Besuch in Zypern, dem südöstlichen EU-Außenposten.

In Nikosia, Europas letzter geteilten Stadt, in einer Seitenstraße ganz am Ende der berühmten Geschäftsmeile Ledras, stand er vor einer eher sonderlich wirkenden Mauer aus Sandsäcken.

Direkt dahinter: die Pufferzone, eine gähnend leere Straße, eingerahmt von verfallenen Häusern, dann plötzlich Stacheldraht - und wiederum dahinter der Nordteil von Nikosia mit seinen omnipräsenten rot-weißen Fahnen mit dem Halbmond.

"Was denken Sie an diesem Ort, Herr Bundespräsident?" Fischer, sichtlich bewegt, zur "Wiener Zeitung": "Ich denke an die Chance, dass dieser Ort in absehbarer Zeit endlich keine Endstation sein wird." Und dann in einem Atemzug: "Dies wäre ein großer Erfolg nicht nur für alle Zyprioten, sondern für ganz Europa."

Ein paar ältere Frauen, offenbar Zypriotinnen, hier aus dem griechischsprachigen Süden, die in Hörweite im Café "Oma Viktoria" sitzen, rufen daraufhin spontan zu Fischer: "Tun Sie bitte etwas dafür!" - "Was in meinen Kräften steht", antwortet Fischer.

Mit einer immerhin 20-köpfigen Delegation, darunter Justizminister Wolfgang Brandstetter, Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Staatssekretärin Sonja Stesssl, war Fischer am Dienstag auf der seit 1974 geteilten Mittelmeerinsel eingetroffen.

Die Delegation erwartete ein volles Programm: unmittelbar nach der Ankunft ein Vier-Augen-Gespräch mit Zyperns Staatspräsident Nikos Anastasiadis und die Unterzeichnung von bilateralen Dokumenten zur Vertiefung der kulturellen und bildungspolitischen Kooperation der beiden Länder, am Mittwoch ein österreichisch-zypriotisches Wirtschaftsforum, ein Gespräch zwischen Fischer und Zyperns Erzbischof Chrysostomos II. sowie Treffen mit den Bürgermeistern von Nikosia und Larnaka, inklusive des Besuchs einer christlich-orthodoxen Kirche in Nikosias pulsierender Altstadt.

Fischer las dort spontan aus einem dort aufgeschlagenem Buch Psalmverse vor - seinem in der Schule erlernten Altgriechisch sei Dank. Schon am Vorabend hatte Fischer beim Staatsbankett Verse von Homers "Ilias" zitiert, auf Griechisch wohlgemerkt. So etwas nennt man in Sachen Eindruck einen Big Point in Diplomatie.

Oberste Priorität für Fischer bei seiner Zypern-Visite: Nikosia die Bedeutung der Flüchtlingskrise für Mitteleuropa zu verdeutlichen - und zwar aus erster Hand. Dies mag auf den ersten Blick verwundern. Denn: Zypern ist wegen seiner geografischen Lage und als Nicht-Schengen-Land von dem Flüchtlingsstrom faktisch nicht betroffen.

Zypern als Schlüssel für Ankaras EU-Beitritt

Dennoch hat Zypern hier indirekt eine Schlüsselrolle. Denn: Nikosia lehnt bisher EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara ab. Um der Flüchtlingskrise Herr zu werden, sucht die EU hingegen die Annäherung an die Türkei. Der schon seit dem Sommer 1974 währende Zypern-Konflikt und seine Lösungsversuche haben so wieder auf dem internationalen Parkett an Aufmerksamkeit gewonnen.

Und wie Fischer betonte: "Zypern ist ein Staat, der gleichberechtigt am Tisch der Staats- und Regierungschefs der EU sitzt. Zypern hat eine Stimme wie jedes andere EU-Land auch. Nikosia ist es wichtig, dass wir von unserer Seite bei der Lösung des Zypern-Konflikts unterstützen. Wir wiederum legen Wert darauf, dass der Standpunkt Österreichs in der Flüchtlingsfrage Gehör findet", hob Fischer gegenüber der "Wiener Zeitung" hervor.

Doch nicht nur das brennende Thema Flüchtlinge stand bei Fischers Zypern-Besuch auf der Agenda. Beim Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und dem 870.000 Einwohner zählenden Inselstaat besteht jedenfalls noch reichlich Luft nach oben.

"Wir haben da Nachholbedarf", räumte Fischer diesbezüglich auch ein. Das Wirtschaftsforum in Nikosia sei "mit seinen vielen, wertvollen Kontakten" jedoch ein "großer Erfolg" gewesen, so Fischer dazu weiter.

Michalis, Mitte sechzig, Vollbart, der in der Ledras-Straße Lose verkauft, bewegt offenbar mehr die Perspektive eines endlich möglichen Durchbruchs bei den Verhandlungen zur Lösung des Zypern-Konflikts, dem ultimativen Dauer-Thema auf der Aphroditeninsel. US-Außenminister John Kerry soll Mitte November auf die Mittelmeer-Insel reisen.

Michalis zeigt auf sein altes Transistorradio. "Ich habe gerade gehört, dass die UN in der Zypern-Frage nun sehr zuversichtlich sind. ,Wir seien auf dem letzten Kilometer‘, heißt es", erzählt er. "Und was glaubst du? Gibt es bald ein Happy End?" Michalis hält einen Moment inne. Dann sagt er: "Die Frage ist, wie lange dieser Kilometer ist."