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Rumänen stürzen Regierung

Von WZ-Korrespondent Silviu Mihai

Politik

Nach massiven Protesten treten der rumänische Premier Victor Ponta und sein Kabinett zurück.


Bukarest. "Ich kann nicht gegen den Willen der Menschen kämpfen", erklärte am Mittwoch der sichtlich schlecht gelaunte Premier Victor Ponta. "Ich muss den berechtigten Ärger in der Gesellschaft feststellen und lege ab sofort mein Mandat nieder", fügte der Sozialdemokrat hinzu. Was die zahlreichen Korruptionsskandale der vergangenen Monate und Jahre, dazu noch die Plagiatsvorwürfe gegen den Ministerpräsidenten selbst nicht erzwingen konnten, ist jetzt passiert: Die Regierung ist zurückgetreten, nachdem Zehntausende in Bukarest und anderen Großstädten am Dienstagabend gegen die gesamte politische Klasse heftig protestierten.

Hintergrund ist die Brandkatastrophe, der 32 Konzertbesucher am Freitag zum Opfer gefallen sind und die einen tiefen Einblick in die Missstände eines dysfunktionalen politischen Systems gegeben hat. Forderten viele vor allem junge Bukarester am Wochenende in den Medien und sozialen Netzwerken lediglich eine gründliche Aufklärung der Umstände und Konsequenzen für die Verantwortlichen bei den Kommunalbehörden, so eskalierte die Situation Anfang der Woche. Eine spontane Protestbewegung entstand, die eine radikale Änderung des Politikstils verlangt.

Auf einem Konzert der Rockgruppe "Goodbye to Gravity" im populären Club "Colectiv" kam es zu einem der tragischsten Unfälle in der jüngeren Geschichte des Landes. Während einer Feuerwerkshow fing die innere Schalldämmung des Saals Feuer. Die einzig verfügbare Ausgangstür erwies sich als offensichtlich unzureichend. Die rund 400 Besucher des Lokals drängten aus dem überfüllten Raum hinaus, doch für viele war es bereits zu spät. Beide Gitarrenspieler der Band sowie 30 junge Fans erlagen schweren Brandwunden und Rauchvergiftungen entweder gleich vor Ort oder danach in den Spitälern. Die Krankenwagen und Feuerwehrleute erreichten den Club erst 15 Minuten nach dem ersten Anruf, obwohl er sich mitten in der Bukarester Innenstadt befindet.

"Korruption tötet"

Die Staatsanwaltschaft nahm am Samstag Ermittlungen auf und beschuldigte kurz danach die drei Lokalinhaber der fahrlässigen Tötung, nachdem festgestellt wurde, dass die Genehmigung für den Betrieb eine Obergrenze von 80 Besuchern vorsah und dass die Schalldämmung in aller Wahrscheinlichkeit unsachgemäß angebracht worden ist. Gleichzeitig wurden die Ämter durchsucht, die für die Ausstellung der Lizenz und die Überprüfung der Gastwirtschaft zuständig waren. Die Beamten vermuten, dass im Laufe der Zeit Schmiergelder geflossen sind, um die benötigten Papiere einfacher zu besorgen und die Prüfungen zu vermeiden. Freilich überrascht dies niemanden in Bukarest, wo es ein offenes Geheimnis ist, dass für jede Genehmigung eine gewisse Summe gezahlt werden muss. Der zuständige Bürgermeister des vierten Sektors musste seinen Hut nehmen.

Die Wut der Bukarester über das schlechte Management der Krisensituation sowie über die Straflosigkeit der Politiker kochte nun innerhalb weniger Tage hoch, als keiner der Vertreter von Kommunalbehörden oder Zentralregierung Verantwortung übernehmen wollte. Eine kleine, spontan entstandene Gruppe von Aktivisten rief zu dem Protest, der am Dienstag allein in Bukarest mindestens 25.000 Menschen auf die Straße brachte.

Lange politische Krise

Die Forderungen beschränkten sich jetzt nicht mehr auf die Ebene der Kommunalpolitik, sondern richteten sich gegen die gesamte politische Klasse, die als korrupt, inkompetent und verantwortungslos bezeichnet wurde. "Korruption tötet", stand es auf den improvisierten Transparenten, die viele Protestteilnehmer hochhielten. Tragische Ironie: Einer der Songs, die die Band "Goodbye to Gravity" auf dem fatalen Konzert gespielt hatte, handelte eben von Korruption in der Politik.

Staatspräsident Klaus Johannis muss jetzt laut Verfassung einen neuen Premier ernennen, der das Vertrauensvotum des Parlaments gewinnen muss. Die wirtschaftsliberale Opposition fordert bereits Neuwahlen vor dem Hintergrund der Diskreditierung vieler Sozialdemokraten durch die zahlreichen Inkompetenz- und Korruptionsskandale der vergangenen Monate und Jahre, die dazu geführt haben, dass die angeschlagene Regierung nach der Brandkatastrophe ihren letzten Tropfen an Glaubwürdigkeit verlor.

Andererseits gelten selbst die Wirtschaftsliberalen um Präsident Johannis in den Augen der meisten Rumänen als kaum vertrauenswürdiger. Zudem haben sie zwischen 2009 und 2012 drastische Sparmaßnahmen durchgesetzt, denen viele Bukarester die Schuld für die chronische Unterfinanzierung des Verwaltungsapparats, sowie des Gesundheitssystems, und damit für eine der Hauptursachen der Tragödie geben. Eine lange politische Krise gilt als wahrscheinlich. Die Protestinitiative hat für die nächsten Tage zu neuen Demos aufgerufen, "bis sich alles richtig ändert".