Zum Hauptinhalt springen

"Begehen keinen Selbstmord"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Zyperns Erzbischof Chrysostomos II. lehnt eine Verknüpfung der Flüchtlingskrise mit dem Ende des Zypern-Konflikts gegenüber der Türkei kategorisch ab.


Anlässlich des Besuches auf Zypern diese Woche traf Bundespräsident Heinz Fischer auch mit Erzbischof Chrysostomos II. zusammen, dem seit 2006 amtierenden Oberhaupt der zypriotisch-orthodoxen Kirche. Die "Wiener Zeitung" traf Chrysostomos II. zum Exklusiv-Interview.

"Wiener Zeitung":Die Verhandlungen zur Lösung des Zypern-Konflikts werden intensiviert. Zyperns Staatspräsident Nikos Anastasiadis hegt die Hoffnung, dass endlich ein Durchbruch möglich sein könnte. Teilen Sie dessen Zuversicht?Chrysostomos II.: Ich halte es zunächst für unabdingbar, eine Volkszählung durchzuführen - und zwar gezielt im besetzten Teil Zyperns.

Weshalb?

Die Republik Zypern zählt 870.000 griechische Zyprioten. Hier gibt es Volkszählungen. In dem seit der Invasion der türkischen Truppen im Jahr 1974 besetzten Teil Zyperns (die nur von Ankara anerkannte Türkische Republik Nordzypern, Anm.) hat es aber noch keine Volkszählung gegeben. Man kann davon ausgehen, dass heute etwa 400.000 türkische Siedler dort leben. Diese Siedler sind Türken aus der Türkei. Die Festlandstürken sind dort angesiedelt worden, um den Anteil der Einwohner aus Zyperns besetztem Teil an der Gesamtbevölkerung auf der Insel von 18 Prozent 1974 zu erhöhen. Umgekehrt sind von den ehemals 150.000 türkischen Zyprioten im Jahr 1974 - die ursprünglichen Insulaner - die Hälfte ausgewandert. Es leben also circa 80.000 wirkliche türkische Zyprioten im besetzten Landesteil. Mein Standpunkt ist klar: Ich gebe einer Zypern-Lösung nur dann meinen Segen, falls das ursprüngliche Verhältnis zwischen griechischen Zyprioten und türkischen Zyprioten wiederhergestellt wird.

Wie soll das erreicht werden?

Die Siedler aus der Türkei, auch deren hier geborene Kinder, müssen die Insel verlassen. Nur wer einen ursprünglichen Insulaner oder eine Insulanerin geheiratet hat, in der Regel werden es Ehen mit türkischen Zyprioten sein, denn Mischehen von Siedlern mit griechischen Zyprioten liegen praktisch bei null, der soll hier bleiben dürfen. Das sind etwa 50.000 Personen. Addiert man noch diejenigen Auswanderer unter den türkischen Zyprioten, die nach einer Zypern-Lösung wieder zurückkehren dürften, wären wir wieder bei einem Anteil von 20 Prozent türkische Zyprioten an der Gesamtbevölkerung der Insel.

Wie soll das umgesetzt werden? Das sind Bürger mit Wahlrecht in der Türkischen Republik Nordzypern . . .

Es geht nicht an, dass ein Gewaltakt wie die Invasion der Türkei 1974 - und somit die darauf beruhende Ansiedlung im besetzten Norden der Insel - Recht produziert. Würden wir die Siedler auf der Grundlage einer Zypern-Lösung auf der Insel lassen, würde dies in absehbarer Zeit endgültig eine Türkisierung der Insel nach sich ziehen. Denn die Geburtenrate unter den Siedlern ist sehr hoch. Sie bekommen acht, zehn und zwölf Kinder. Übrigens im Gegensatz zu den alteingessenen türkischen Zyprioten, die so geburtenschwach wie wir sind.

Welche Staatsform würden Sie für das neue Zypern akzeptieren?

Die zentrale Frage lautet: Wird das neue Zypern eine Bundesrepublik sein? Mit einer starken Zenralregierung und zwei Bundesländern? Oder ein Zusammenschluss, faktisch also eine Zwei-Staaten-Lösung? In dieser zentralen Frage herrscht weiter Unklarheit. Welche Kompetenzen wird der Staatspräsident haben: weitreichende exekutive Kompetenzen oder nur repräsentative Aufgaben? Falls er nur repräsentative Aufgaben und keine Macht innehat, interessiert mich überhaupt nicht, wer das Amt ausübt. Von mir aus kann es ein Türke sein, auch für immer. Andernfalls aber muss der Staatspräsident Grieche sein, mit einem Türken als Vizepräsidenten. Dies muss für die gesamte Amtsdauer gelten.

Zurück zur Eingangsfrage: Sehen Sie eine Lösung des Zypern-Konflikts?

Nein. Ich sehe derzeit jedenfalls nicht, dass beide Seiten eine Bundesrepublik Zypern anstreben. Dafür trägt die andere, die türkische Seite, die volle Verantwortung. Die Türken wollen faktisch zwei Staaten auf Zypern. Das darf man auf keinen Fall beschönigen.

Die EU suchte zuletzt eine Annäherung an die Türkei, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Eine Zypern-Lösung könnte den Weg bis hin zu der Perspektive eines EU-Beitritts der Türkei ebnen, lautet eine Lesart unter Experten. Ohne Zypern-Lösung gilt ein EU-Beitritt der Türkei als ausgeschlossen. Wie bewerten Sie dies?

Einer Verknüpfung der Flüchtlingskrise mit dem Zypern-Konflikt werde ich niemals zustimmen. Das ist absolut abwegig. Wir werden nicht die Zypern-Frage für eine etwaige Lösung der Flüchtlingskrise opfern. Vergessen Sie das.

Und wenn die EU-Länder eine etwaige Bedingung der Türkei akzeptieren würden?

Wer kann garantieren, dass auch im Falle einer engeren Kooperation zwischen der EU und der Türkei die Flüchtlinge nicht statt über die Türkei auf anderem Wege nach Europa kommen? Und selbst wenn das so wäre: Sollen wir eine schlechte, nicht tragfähige Lösung in der Zypern-Frage nur deshalb hinnehmen, um so die Flüchtlingskrise in Europa zu lösen? Meinen Sie das ernst? Dann würden wir Zyprioten zu Flüchtlingen.

Zynisch gesagt: Zyprioten gibt es nicht so viele . . .

Seien Sie versichert: Das zypriotische Volk nimmt solche Befehle nicht an! Wir standen 800 Jahre unter Besatzung. Unter sich abwechselnden, brutalen Besatzern. Wir sind Christen geblieben, wir haben uns nicht verändert. Wenn es sein muss, werden wir aufrecht fallen! Selbstmord werden wir auf keinen Fall begehen!