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"Der Misserfolg ist eingebaut"

Von Veronika Eschbacher

Politik

Geheimdienstexperte Beer über Kritik an französischen Nachrichtendiensten und Grenzen der Überwachung.


"Wiener Zeitung": Wie ist der Ruf der französischen Geheimdienste?Siegfried Beer: Gemischt. Es gab Jahre, in denen er sehr schlecht war, Sie können sich vorstellen, dass 1940 so ein Datum war. Frankreich war damals die stärkste Militärmacht Europas und hat trotzdem den Krieg gegen Hitler-Deutschland innerhalb kürzester Zeit verloren. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist der Ruf der Franzosen nicht schlecht. Sie haben freilich momentan eine Krisensituation, die nicht so einfach in den Griff zu bekommen ist.

Insgesamt kann man von den Geheimdiensten nicht erwarten, dass sie alles klären - der Misserfolg ist eingebaut. Das gilt aber natürlich für alle. In Frankreich kommt aber hinzu, dass nach dem Vorfall im Jänner mit Charlie Hebdo nachrichtendienstlich und sicherheitspolitisch stark aufgerüstet wurde. Daher verwundert es, dass so eine große Aktion mit so vielen Tätern und auf unterschiedlichen Schauplätzen möglich ist. Dieses Versagen kann ich mir nur so erklären, dass diese jüngsten Attentäter neue Kommunikationswege gegangen sind. Das heißt, es herrschte oberflächlich Funkstille - es gab wohl weder Kontakte im Internet noch über Telefon. So eine Attacke muss man aber koordinieren. Das geht dann nur über persönlichen Kontakt. Wie wir jetzt wissen, waren die Attentäter hauptsächlich Franzosen. Es steht aber auch die Vermutung im Raum, dass man darüber hinaus neue Kommunikationsnetze verwendet hat. So wird behauptet, dass es eine Kommunikationsebene über eine Playstation gibt. Damit wird erklärbar, wie ein solches Versagen passieren kann, obwohl ja höchste Alarmstufe bestand.

Ist die Kritik an den französischen Geheimdiensten gerechtfertigt?

Man kann nicht behaupten, die Franzosen seien nicht so gut wie andere Geheimdienste. Frankreich hat nun aber sein 9/11 erlebt, und alle springen jetzt auf die Geheimdienste los. Wichtig ist, dass man realistische Erwartungen an Nachrichten- und Geheimdienste hat. Das ist aber nicht immer der Fall. Einerseits gibt es ein Geheimdienst-Bashing, etwa auch in Österreich, wo viel kritisiert und gejammert wird, wo es immer wieder Phasen gibt, in denen es aus der Gesellschaft heißt, wir brauchen das alles nicht, dann wiederum gesagt wird, wir legen alles zusammen zu einem Geheimdienst, der soll aber dann gut sein. Das Geschäft ist ziemlich kompliziert. Ohne diese Dienste geht überhaupt nichts.

Wie beurteilen Sie die internationale Zusammenarbeit von Geheimdiensten? Aus den USA und der Türkei, aber auch dem Irak heißt es, man habe die Franzosen doch gewarnt.

In Frankreich soll es zwischen 5000 und 10.000 Personen geben, die eine Gefahr darstellen. All diese Tag und Nacht zu observieren, das gelingt nicht. In Österreich spricht man von 250 Personen mit Bedrohungspotenzial, und wir haben alle Hände voll zu tun, um das zu schaffen. Wir sind aber eine nicht so gefährdete Gesellschaft, daher ist es bisher gut gegangen. Ich erwarte mir, dass es auch in Österreich einmal zu einem Anschlag kommt. Wir sind kein gefeites Land, bei weitem nicht. Bei uns stehen islamistische Personen unter Beobachtung, vor Gericht oder sind inhaftiert. Hundertprozentige Überwachung gibt es nirgendwo, auch die Amerikaner können das nicht. Deswegen gibt es eine Zusammenarbeit, und diese wird immer wichtiger. Die Schwierigkeit ist hier aber, dass Nachrichtendienste nicht alles preisgeben. Jeder hat sein eigenes Interesse. Daher stellt sich die Frage, welche Informationen hier übermittelt wurden und ob diese zielführend hätten sein können. Insgesamt hat Europa einen Bedarf an mehr Kooperation. Wir leben in einer Union mit über 500 Millionen Menschen und haben keine sehr gut funktionierende oder überhaupt funktionierende intelligence community für den ganzen Kontinent. Das ist ein französisches, aber auch ein europäisches Problem. Ich hoffe, dass hier nun weitere Schritte erfolgen. Koordination kann uns zwar auch nicht perfekt abschirmen, sie bringt aber viel und hat sicher auch schon Anschläge verhindert. Über verhinderte Anschläge wollen die Dienste aber nicht reden, denn sie wollen die Erfolge ja weiterhin haben.

Britischen Medienberichten zufolge will London eine Aufstockung des Personals in den Geheimdiensten MI5, MI6 und GCHQ um 15 Prozent ankündigen.

Das werden jetzt alle machen. Aber ich frage Sie: Wie soll das gehen? Woher sollen von heute auf morgen Spezialisten herkommen, die man vorher nicht hatte? Das ist alles nur eine Beruhigung für die Bevölkerung. Es gäbe aber auch noch andere Wege. Die Tätigkeit der Geheimdienste ist eine Welt, über die die Bürger zu wenig wissen. Unsere Dienste sind nicht transparent - und vor allem auch nicht zugänglich für Bürger, die achtsam sind. Terroristische Anschläge sind verhindert oder aufgelöst worden, weil ganz normale Bürger reagiert haben.

Da ist aber der Weg zur Vernaderung auch nicht weit.

Diese Gefahr sehe ich nicht. Die Dienste sind professionell genug, um schnell herauszufinden, ob ein Hinweis zielführend ist oder nur eine Vernaderung. Aber wenn gar nichts passiert, kann die Gesellschaft nichts beitragen. Es gibt heute keine Sicherheit mehr, die durch Polizei und Militär vollkommen abgedeckt ist. Wir haben weder das Personal, noch das Geld dazu. Unsere Dienste sind klein und schlecht dotiert. In Österreich haben wir darüber hinaus ein strukturelles Problem. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) versteht sich in Österreich nicht als Nachrichtendienst, da es organisatorisch dem Sicherheitswesen, der Polizei, untergeordnet ist, deren Tätigkeiten aber andere sind.

In Österreich ist das Abwehramt nur für den Schutz militärischer Einrichtungen zuständig. Glauben Sie, dass künftig Experten des Abwehramts bei anderen Aufgaben hinzugezogen werden?

Sie legen den Finger auf ein Problem in diesem Land. Wir haben keine übergeordnete Koordination bei der Sicherheit. Die militärischen Dienste unterstehen dem Verteidigungsministerium, das BVT dem Innenministerium, zwischen ihnen gibt es traditionell Probleme, auch unter den Führungsfunktionären. Sicherheit ist heute nicht mehr aufteilbar auf zivile und militärische Sicherheitsfragen, im Gegenteil, das vermengt sich total. Die Attentäter sind vermutlich irgendwo ausgebildet worden, so gut, dass man sie nicht bemerkt hat - nämlich militärisch. Wir haben ein Problem, das auch andere Staaten haben und von dem ich eigentlich glaube, dass es um die Struktur in Frankreich besser bestellt ist. Und trotzdem sind diese Anschläge in Paris passiert.

Zur Person
Siegfried Beer ist Historiker und Geheimdienstspezialist. Beer leitet das Austrian Center for Intelligence, Propaganda & Security Studies (ACIPSS), ein an die Karl-Franzens-Universität Graz angelehntes, international ausgerichtetes Forschungs- und Kompetenzzentrum in Graz.