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Rotes Tuch für den Kreml

Von Gerhard Lechner

Politik

Die Nato bietet Montenegro den Beitritt an. Russland spricht schon von "Vergeltungsmaßnahmen".


Brüssel/Podgorica/Moskau. Die Regierung Montenegros hat ihr Ziel erreicht: Die Nato hat das kleine, an der Adria gelegene Balkanland zum Beitritt in den mächtigsten Militärblock der Welt eingeladen - mit blumigen Worten: "Dies ist der Beginn einer wunderschönen Allianz", frohlockte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Pressekonferenz mit dem montenegrinischen Außenminister Igor Luksic in Brüssel. Die Entscheidung mache klar, "dass die Nato ihre Tür offen hält, um die Vision von einem geeinten, freien und friedlichen Europa zu verwirklichen". Luksic sprach von einem "historischen Tag". Mit der Aufnahme Montenegros, die in etwa eineinhalb Jahren erwartet wird, würde sich die Nato erstmals seit 2009 wieder erweitern. Damals waren Kroatien und Albanien dem westlichen Militärbündnis beigetreten.

Ob mit Nato-Erweiterungsrunden aber die Vision eines geeinten, freien und friedlichen Europas näherrückt, ist unter Beobachtern strittig. Denn die eurasische Großmacht Russland, mit Montenegro wie mit Serbien durch den gemeinsamen orthodoxen Glauben verbunden, reagierte nicht gerade erfreut auf die neuerliche Ausdehnung des westlichen Einflussbereichs. Moskau lehnt eine Nato-Mitgliedschaft des kleinen ex-jugoslawischen Landes entschieden ab. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kündigte nach Bekanntwerden der Entscheidung "Vergeltungsmaßnahmen" an - welche, ließ er noch offen.

Moskau will keine neuen Nato-Erweiterungsrunden

Es ist aber davon auszugehen, dass die neuerliche Nato-Erweiterung Russland in anderen Politikfeldern - etwa Syrien und die Ukraine - dem Westen gegenüber nicht kompromissbereiter machen wird. Auch Richtung Podgorica lässt der Kreml die Muskeln spielen: Der russische Föderationsrat hatte bereits im Vorfeld der Entscheidung die Drohung ausgestoßen, dass gemeinsame russisch-montenegrinische Projekte - auch im militärischen Bereich - auf Eis gelegt werden könnten. Beobachter geben allerdings zu bedenken, dass die Politik des Muskelspiels sich für Russland auch negativ auswirken könnte.

"Der russische Widerstand gegen die neuerliche Nato-Erweiterung hat jedenfalls wenig mit der realen Bedeutung Montenegros zu tun", sagte Heinz Gärtner, der Leiter des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP), der "Wiener Zeitung". Es gehe Moskau ums Prinzip, um den Widerstand gegen künftige Erweiterungsrunden. "Der Kreml will vor allem die mögliche Nato-Erweiterung um Georgien oder die Ukraine verhindern", analysiert der Politologe. Tatsächlich dürfte zumindest die militärische Bedeutung Montenegros extrem überschaubar sein - auch aus Moskauer Sicht: "Montenegros Armee hat etwa 2000 Mitglieder. Da erübrigt sich ein Kommentar, welche zusätzliche Sicherheit das Land der Nato bringt", kommentierte Andrej Kelin, ein Sprecher des russischen Außenministeriums.

Doch Montenegro ist ein Teil des geopolitisch wichtigen Balkans. "Die Mitgliedschaft der Balkanländer wird in der Nato positiv gesehen, weil sie Europas Süden abdecken - und damit die gleiche Rolle spielen wie das Baltikum oder die Ukraine im Osten", sagte Gärtner. Man wolle aus der Sicht des westlichen Bündnisses die Nachbarn lieber "mit an Bord" nehmen, als nichts zu tun. Auch Russland ist über seinen traditionellen Verbündeten Serbien am Balkan engagiert.

In Montenegro selbst ist der Pro-Nato-Kurs der Regierung heftig umstritten: Laut Umfragen sprechen sich 48 Prozent der Montenegriner für einen Beitritt zum Bündnis aus, 38 Prozent sind dagegen. Das Thema emotialisiert noch immer: Montenegro war bis 2006 ein Teil Jugoslawiens - und damit ebenso wie Serbien 1999 dem Bombardement der Nato gegen das Jugoslawien Slobodan Milosevics ausgesetzt.

Pro-serbischer Block in Montenegro immer noch stark

2006 sagte sich Podgorica von Belgrad los - das Referendum, das vom jetzigen (und damaligen) Premierminister Milo Djukanovic betrieben wurde, ergab eine knappe Mehrheit von 55 Prozent für die Unabhängigkeit. Immerhin 45 Prozent der Bevölkerung waren gegen eine Loslösung vom serbischen Bruder.

"Dieser pro-serbische Block, der strikt gegen die Nato ist, mag seither leicht geschrumpft sein, ist aber noch stark", sagte der Politologe Vedran Dzihic vom OIIP der "Wiener Zeitung". In Serbien sei ein Beitritt zu dem Militärbündnis immer noch unvorstellbar. Dazu kommt, dass es in Montenegro in den letzten Wochen massive Straßenproteste gegen Djukanovic gegeben hat, der - in der einen oder anderen Funktion - bereits seit einem guten Vierteljahrhundert die Geschicke in dem adriatischen Küstenland lenkt.

Dem zunehmend autoritär agierenden Premier werden unter anderem Klientilismus, Korruption und Gängelung der Medien vorgeworfen. Er erstickte die Demonstrationen, die seinen Sturz zum Ziel hatten, mit großer Härte - mit dem Einsatz von Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschossen. "Djukanovic hat versucht, seine Kritiker als pro-serbisch und pro-russisch hinzustellen", meint Dzihic. Die Koalition seiner Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) mit den wesentlich kleineren Sozialdemokraten wurde zuletzt nur noch durch die Aussicht auf die bevorstehende Nato-Einladung zusammengehalten. Jetzt, nach dem Erfolg in Brüssel, rechnen Beobachter mit raschen Neuwahlen. Der Erfolg in Brüssel sollte Djukanovic dabei Rückenwind verschaffen. "Eben das stört auch viele Kritiker des Premierministers", sagt Dzihic. "Sie sehen in der Entscheidung der Nato eine Bestätigung für die ihrer Ansicht nach undemokratische Politik Djukanovics."

"Einladung Montenegros ist gegen niemanden gerichtet"

Die Nato war am Mittwoch gegenüber Russland jedenfalls bemüht, verbal zu deeskalieren. Bei der Einladung an Montenegro gehe es "nicht um Russland", versicherte Stoltenberg. Sie sei "gegen niemanden gerichtet". Der Norweger pochte allerdings auch darauf, dass jene Nation "über ihren eigenen Weg und ihre eigenen Sicherheitsvereinbarungen" selbst entscheiden dürfe. Niemand habe "das Recht, sich in diese Entscheidung einzumischen".

Das Verhältnis der Nato zu Russland ist seit der Ukraine-Krise äußerst belastet. Jegliche Zusammenarbeit ist derzeit ausgesetzt, auch wenn das Bündnis nun wieder Gespräche innerhalb des Nato-Russland-Rates prüft.