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"Elendig, armselig, niederträchtig"

Von Manuel Meyer

Politik
Zivilisiert vor dem Hahnenkampf: der Vorsitzende der Sozialisten, Pedro Sánchez, mit dem Moderator Manuel Campo Vidal und Premier Mariano Rajoy (v.l.) beim Händeschütteln vor der Debatte.
© reu/J. Medina

Premier Mariano Rajoy und Oppositionsführer Pedro Sánch ediskutierten. Sieger waren die ausgeladenen Jungparteien.


Madrid. Die Anspannung stand beiden Kandidaten ins Gesicht geschrieben. Sie wussten um die Bedeutung dieses Fernseh-Duells. Nur sechs Tage vor den spanischen Parlamentswahlen am kommenden Sonntag war es die letzte große Chance, das gewaltige Heer unentschlossener Wähler für sich zu gewinnen. Rund 40 Prozent der Spanier wissen noch nicht, wem sie ihre Stimmen geben sollen.

Vor allem für den sozialistischen Oppositionsführer Pedro Sánchez (PSOE) stand am Montagabend bei der ersten und einzigen TV-Debatte mit Spaniens konservativem Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP) viel auf dem Spiel. Jüngsten Umfragen zufolge liegen seine Sozialisten rund sieben Punkte hinter den regierenden Konservativen.

In den vergangenen Monaten kehrten immer mehr sozialistische Wähler Sánchez den Rücken zu und wanderten zur neuen linken Protestpartei Podemos (Wir können) ab. Mittlerweile kommen die Sozialisten nur noch auf knapp 20 Prozent der Stimmen, acht weniger als bei den vergangenen Wahlen.

Die Situation bei den Konservativen sieht nicht viel besser aus. Zwar gelten sie als Wahlfavoriten, dürften aber 16 ihrer bisher 44 Prozent an die neue liberale Protestpartei Ciudadanos (Bürger) von Albert Rivera verlieren.

Sozialistenchef Sánchez bisher allein mit den Jungen

Seit Wochen schon versucht der smarte Sozialist Sánchez, das Blatt zu wenden. In den bisherigen Fernseh-Debatten mit mehreren Kandidaten hatte der 43-jährige Wirtschaftswissenschafter aber wenig Chancen gegen den charismatischen und gerade einmal 37 Jahre alten Politikprofessor und Podemos-Chef Pablo Iglesias. Abwesend bei diesen TV-Diskussionen war immer Premier Mariano Rajoy. Denn der graubärtige, oftmals dröge wirkende Rajoy (60) unternahm erst gar nicht den Versuch, mit dem 36 Jahre alten Juristen Albert Rivera um die politische Mitte zu kämpfen. Wohlüberlegt schickte er lieber seine stellvertretende Ministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría mit dem wortgewandten Shootingstar der Ciudadanos in den Ring.

Die TV-Debatte am Montagabend war für beide großen Volksparteien also die perfekte Gelegenheit, auch gegenüber den aufstrebenden Protestparteien zu punkten - ohne dass sich diese wehren konnten. Rajoy und Sánchez hatten die exklusive Chance, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen TVE zwölf Millionen Zuschauer fast zwei Stunden lang von ihren Plänen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit zu überzeugen. Sánchez war zunächst nicht gut beraten, immer wieder auf die angeblichen Erfolge sozialistischer Vorgängerregierungen zu verweisen. Das wirkte nicht nur unglaubwürdig, sondern auch visionslos.

Danach schlug er schnell eine sehr aggressive Gangart ein und hielt Rajoy immer wieder die unzähligen Korruptionsskandale in seiner Partei vor. Rajoy ist jedoch ein alter Hase und tappte zunächst nicht in die Falle seines charismatischeren Gegenübers, der mit modern schmaler Krawatte immer wieder versuchte, den Premier aus der Fassung zu bringen.

Raffiniert konterte Rajoy mit seinen einzigen Waffen: Regierungserfahrung und die wirtschaftliche Erholung. "In den kommenden vier Jahren werden wir zwei Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Wir haben bisher bewiesen, dass wir das können", schmetterte er zurück.

"Als ich an die Regierung kam, haben jeden Tag 1500 Spanier ihren Job verloren. Jetzt finden täglich 1400 Spanier eine Arbeit", erinnerte er Sánchez an das katastrophale Erbe, welches ihm die sozialistische Vorgängerregierung von Zapatero hinterlassen habe.

Sachlicher wurde die Debatte leider nicht. Ganz im Gegenteil. Beide Kandidaten beschuldigten sich gegenseitig, die Wirtschaftszahlen zu manipulieren und in der Vergangenheit versagt zu haben. Dann spitzte sich die Situation zu. Sánchez warf Rajoy vor, Bestechungsgelder angenommen zu haben, und stellte klar: "Ein Ministerpräsident sollte ein anständiger Mensch sein und das sind Sie nicht."

Da platzte dem sonst so ruhigen Ministerpräsidenten der Kragen. "Jetzt reicht es. Sie sind elendig, armselig, niederträchtig und schäbig." Aus zivilisierten Diskussionspartnern wurden Streithähne, die den anderen nicht mehr ausreden ließen.

Bei so viel Beschuldigungenist kein Platz für Katalonien

Beiden verwendeten so viel Energie darauf, den anderen in den Dreck zu ziehen, dass nicht einmal mehr Zeit blieb, über die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien zu diskutieren - ein Thema, das ganz Spanien seit Monaten in Atem hält.

Und so standen am Ende der Debatte gleich zwei Sieger fest: Pablo Iglesias und Albert Rivera, die im Anschluss auf einem Privatsender gemeinsam die Debatte zwischen Rajoy und Sánchez kommentieren und sich insgeheim die Hände rieben.

"Wir wurden heute Zeugen vom Ende einer Epoche. Sánchez und Rajoy sind in der Vergangenheit gefangen und gehören der Vergangenheit an. Die Debatte erschien mir eher ein Wettbewerb zu sein, den anderen als noch korrupter und unfähiger dastehen zu lassen", meinte Iglesias und traf damit den Eindruck vieler Spanier. Er und Albert - die beiden Youngstars duzen sich stets - würden niemals auf ein so niedriges Niveau fallen, stellte Iglesias klar und reichte Rivera symbolisch die Hand.

"Hier wurden keine Projekte für eine bessere Zukunft vorgestellt, sondern Beleidigungen ausgetauscht. So etwas hat Spanien nicht verdient", sagte Rivera und zweifelte die demnächst notwendige Dialogfähigkeit von Sozialisten und Konservativen an.

Diese wird tatsächlich vonnöten sein. Die aufstrebenden Protestparteien reiben das traditionelle Zwei-Parteien-System, in dem sich Sozialisten und Konservative nicht selten sogar mit absoluten Mehrheiten an der Macht abwechselten, ordentlich auf.