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Cameron auf Kurs

Von Alexander Dworzak

Politik

In Deutschland läuft Großbritanniens Premier mit seinen Plänen zur Streichung von Sozialleistungen für EU-Bürger offene Türen ein. Ungarn signalisiert einen Kurswechsel.


Berlin/Wien. David Cameron und Horst Seehofer spielten ein Herz und eine Seele, Großbritanniens Premier und der bayerische Ministerpräsident übertrafen sich beim Besuch Camerons mit gegenseitigen Komplimenten: Er habe "eine exzellente Diskussion mit der CSU" geführt, sagte Cameron vor verschneiter oberbayerischer Bergkulisse in Wildbad Kreuth, wo die Christsozialen gerade tagen. "CSU pur" sei der Vorstoß der britischen Regierung zur Streichung von Sozialleistungen für EU-Bürger im eigenen Land, schnurrte Seehofer. Dass die Chemie stimmen würde, war von Vorhinein klar. Cameron wollte positive Stimmung vor einem weiteren Termin am Donnerstag erzeugen, der wesentlich unangenehmer zu verlaufen drohte. Denn 547 Kilometer Luftline von Wildbad Kreuth entfernt, in Budapest, traf er später Ungarns Premier Viktor Orbán. Und der hielt bisher nichts von Camerons Idee.

Gerichtet an alle EU-Bürger,gemeint ist der Osten

Seit Mai vergangenen Jahres tourt Cameron durch die EU-Länder, um sie von seinen Reformplänen für die Union zu überzeugen. Bis spätestens Ende 2017 findet ein Referendum in Großbritannien statt, ob das Land in der EU verbleiben soll. Cameron, der alles andere als ein glühender Europäer ist, will das Land im Klub der 28 halten. Schaffen will er das mit mehr Wettbewerbsfähigkeit, einer Stärkung der nationalen Parlamente und mehr Rechten für Nicht-Euroländer. Auch die Passage aus den Europäischen Verträgen nach einem "immer engeren Zusammenschluss" soll nicht für Großbritannien gelten.

Damit lockt man kaum Wähler. Um der chauvinistischen UK Independence Party das Wasser abzugraben, will Cameron den Zuzug von Bürgern aus den osteuropäischen Unionsländern eindämmen; Kindergeld, Steuerfreibeträge oder Mietzuschüsse soll es erst nach vier Jahren geben. Wiewohl Camerons Ansinnen für alle EU-Bürger gelten würde, geht es in der britischen Diskussion primär um Personen aus dem Osten, die Briten Jobs wegnehmen und das Sozialsystem ausbeuten würden.

Mit EU-Recht ist Camerons Vorstoß nicht vereinbar. Sieht doch Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU die Abschaffung "jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen" vor. Als "höchst problematisch" beurteilt daher die EU-Kommission Camerons Vorhaben. Quer stellen sich bisher auch die ostmitteleuropäischen Länder.

Von Orbán kamen am Donnerstag aber erstmals Signale einer Annäherung. Die Kürzung von Sozialleistungen für EU-Ausländer "kann erwogen werden", sagte Ungarns Regierungschef. Sie dürfe aber nicht zur Diskriminierung von ungarischen Arbeitnehmern in Großbritannien führen.

Merkel nimmt sichCameron zum Vorbild

Rund 100.000 Ungarn leben in Großbritannien, das bei der ersten "EU-Osterweiterung" 2004 den Arbeitsmarkt für die zehn beigetretenen Länder darunter auch Ungarn und Polen öffnete - Österreich hatte sich dagegen eine siebenjährige Übergangsfrist ausbedungen. Die weitaus größte ostmitteleuropäische Gruppe in Großbritannien stellen die Polen mit offiziell 850.000 Personen; tatsächlich sollen es weit mehr als eine Million sein.

Die insinuierte "Armutsmigration" nach Großbritannien ist allerdings widerlegt, zumindest für die Jahre 2001 bis 2011: Jeder vierte Zuwanderer aus dem Osten der EU verfügte über einen akademischen Abschluss; bei West- und Südeuropäern waren es allerdings 60 Prozent. Die osteuropäischen Migranten trugen um 12 Prozent oder 5 Milliarden Pfund mehr zum Steueraufkommen bei, als sie an Sozialleistungen bekamen, errechneten Forscher des University College London.

Just am Tag von Camerons Visite in Deutschland unterstützte Kanzlerin Angela Merkel erstmals öffentlich die seit Ende Dezember bekannten Pläne von Arbeitsministerin Andrea Nahles, Sozialhilfe-Anspruch von EU-Ausländern gesetzlich zu beschränken. Laut einem Urteil des Bundessozialgerichts können EU-Bürger bei einem Aufenthalt ab sechs Monaten in Deutschland Hilfen zum Lebensunterhalt beantragen - jedoch kein Arbeitslosengeld. Diese müssen von den Kommunen bezahlt werden. 130.000 weitere Personen sind davon betroffen.

Schwappt Camerons Sozialleistungs-Debatte auf immer mehr Länder über, wäre das jener Erfolg, den der Brite bei seinen Wählern so dringend braucht. Ressentiments hin oder her.