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Vertrauensvakuum

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Übergriffe in Köln empören die Deutschen auch so sehr, weil sie am Nimbus der Polizei rütteln.


Köln/Wien. Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Schuldenkrise: Unzählige schlechte Nachrichten prasseln seit 2007 auf die Europäer herein. Auch in Deutschland, das die Periode vergleichsweise hervorragend überstanden hat, hat der permanente Krisenmodus Spuren hinterlassen. Zwar vertrauen mehr als 70 Prozent der Bürger dem politischen System - nicht wie in Griechenland 3 Prozent oder 8 Prozent in Italien. Doch ihrer Regierung vertrauen lediglich 40 Prozent der Deutschen, ergab der "Global Trust Report" des GfK Vereins. Die Erhebung wurde 2015 veröffentlicht, allerdings vor Beginn der Flüchtlingskrise, im Zuge derer 1,1 Millionen Personen im vergangenen Jahr nach Deutschland kamen.

Im Vertrauensindex vorne mit dabei lag damals die Polizei. Vier von fünf Bürgern vertrauten demnach den Sicherheitsbeamten. Nur Handwerker werden von den Deutschen noch mehr wertgeschätzt. Mit den Übergriffen von Köln ist die Polizei ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Bisher drehten sich die Flüchtlingsdebatten um eine Quote zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen, um gemeinsame oder trennende Werte oder Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Die Arbeit der Polizei blieb weitgehend unberührt, sie tat ihren Dienst und klagte dabei mehr oder weniger laut über die enorme Belastung und den Personalmangel. Nun fragt sich Deutschland: Warum wurden die Fakten erst schöngeredet, später nur scheibchenweise klargestellt?

Polizeipräsident muss gehen

Dabei hatte ein Einsatzleiter in den Protokollen die Schrecken der Silvesternacht unverblümt dargestellt, auch die Tätergruppe benannt: "Bei den durchgeführten Personalienfeststellungen konnte sich der überwiegende Teil der Personen lediglich mit dem Registrierungsbeleg als Asylsuchender des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anm.) ausweisen, Ausweispapiere lagen in der Regel nicht vor." Doch der verantwortliche Dienstgruppenleiter hat trotz Einspruch des Einsatzleiters die Nationalitäten der kontrollierten Männer - darunter Syrer, Iraker und Afghanen - im offiziellen polizeiinternen Bericht gestrichen, berichtet der "Kölner Stadt-Anzeiger". "Auch Chaos, Gewalt, Angst und sexuelle Belästigung finden nur noch in abstrakten Formulierungen statt", zitiert das Blatt Polizeikreise.

Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers wies am Freitag die Vorwürfe als "vollkommen abstrus" zurück. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) berief Albers’ nur Stunden nach dessen Auftritt ab. Reinen Tisch machen, Vertrauen wieder zurückgewinnen, ist die Devise.

Albers’ Gründe für die Beschönigung der Lage bleiben jedoch im Dunkeln. Fest steht, dass das Ausmaß der Übergriffe der Polizeiführung am 1. Jänner bekannt war. In Online-Foren und sozialen Medien diskutierten Nutzer heftig, ob Politik und Polizei die "realen Verhältnisse" unter den Teppich kehren wollten. Tatsächlich weiß niemand, ob Albers eigenmächtig oder im Auftrag gehandelt hat, geschweige denn von seinen Motiven.

Schon früher aber zeigte sich der Ex-Polizeipräsident als Krisenmanager untauglich. Im Oktober 2014 eskalierte eine Demonstration der "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa), bei den schweren Krawallen wurden rund 50 Polizisten verletzt. Für den obersten Exekutivbeamten der Stadt war es jedoch ein "gelungener Polizeieinsatz". Ein umgekipptes Polizeifahrzeug hatte Albers damals mit den Worten abgetan: "Da hatten die Medien ja dann ihr Bild."

Insbesondere ARD und ZDF, der linksliberalen "Süddeutschen Zeitung" und der linksalternativen Zeitung "taz" wird derzeit vorgehalten, wie Albers das Thema zu lange unterspielt zu haben oder sich in Gender-Debatten zu verlieren. Auch die Medien haben mit einer Erosion des Vertrauens zu kämpfen: Binnen eines Jahres fiel das Vertrauen in Journalisten laut "Edelman Trust Barometer 2015" von 55 auf 45 Prozent.

Für die "Lügenpresse"-Rufer sind die Ereignisse in Köln ein gefundenes Fressen, doch blenden sie dabei den Pluralismus in der deutschen Medienlandschaft aus. Wer aber lange und laut genug schreit, wird gehört: So meinen laut einer Allensbach-Umfrage für die "FAZ" 39 Prozent der Erwachsenen in Deutschland, am Vorwurf der "Lügenpresse" - ins Leben gerufen von der "Pegida"-Bewegung - sei etwas dran. Das sei bemerkenswert, denn die Deutschen seien im internationalen Vergleich überdurchschnittlich politisch interessiert und informiert.

Die Koalitionspartner Union und SPD überbieten sich nun in Forderungen nach harten Strafen für die Täter von Köln und Gesetzesverschärfungen. Zweiteres verlangt die Alternative für Deutschland schon lange. Will die Regierung Vertrauen zurückzugewinnen, muss ihr mehr einfallen.