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Rechtsstaat in Gefahr?

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

EU-Kommission will Gesetzesänderungen der neuen polnischen Regierung unter die Lupe nehmen.


Brüssel/Warschau. "Der Demokratie in Polen geht es gut." In ihrer Funktion als Premierministerin kann Beata Szydlo kaum etwas anderes sagen. Daher betonte sie in einer Parlamentssitzung in Warschau einmal mehr, dass die demokratischen Standards im Staat ungebrochen gelten - und das Gegenteil zu behaupten, sei "Verleumdung". Doch genau darüber berieten in Brüssel die EU-Kommissare - zur gleichen Zeit, als im polnischen Abgeordnetenhaus die Debatte über die internationalen Beziehungen des osteuropäischen Landes stattfand.

Denn einige Gesetzesänderungen, die die nationalkonservative Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) von Jaroslaw Kaczynski schon in den ersten zwei Monaten ihrer Amtszeit umgesetzt hat, lösten Bedenken aus. Daher startete die Kommission - nach einer längeren Aussprache ihrer Mitglieder - ein Verfahren, das mögliche Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit erkunden soll. Es gehe zunächst einmal um eine Einschätzung der Lage, erklärte Frans Timmermans, der Vizepräsident der EU-Behörde. Gleichzeitig stellte er klar, dass Kooperation und ein Dialog mit Warschau angestrebt werden. "Unser Ziel ist eine Lösung des Problems und nicht Beschuldigungen oder Polemik", befand Timmermans. An Zusammenarbeit sei ja auch Polen interessiert.

Die ersten Reaktionen in Warschau fielen denn auch zurückhaltend aus. Als "Standardprozedur" bezeichnete Regierungssprecher Rafal Bochenek das Vorgehen der Kommission. Es seien keine Entscheidungen gefallen, die für Verstimmungen zwischen Warschau und Brüssel sorgen müssten, zitierte die polnische Presseagentur PAP.

Doch trotz der Abwiegelungsversuche bleibt der Entschluss der Kommission außergewöhnlich. Es ist nämlich das erste Mal, dass ein Mechanismus aktiviert wird, der erst vor knapp zwei Jahren geschaffen wurde. Bis dahin waren Verfahren wegen Vertragsverletzung oder bilaterale Maßnahmen möglich. Nun steht der EU aber auch ein Mittel zur Verfügung, gemeinsam mit dem betroffenen Land Gefahren für die Rechtsstaatlichkeit zu beseitigen. Die erste Stufe dabei ist eben die Klärung der Situation; und Timmermans hat bereits einen Brief mit der Bitte um nähere Informationen unterzeichnet.

Zwist um Verfassungsgericht

Sorgen bereiten in der EU vor allem die Vorgänge im Verfassungsgericht. Dort gab es zuletzt parteipolitisch motivierte Neubesetzungen sowie Änderungen, die die Beschlussfassung erschweren könnten. Außerdem wurden einige Richtersprüche nicht umgesetzt. Die polnische Regierung soll nun dazu ihre Stellung abgeben.

Dafür hat sie einige Wochen Zeit: Frühestens im März will sich die EU-Kommission wieder mit dem Thema beschäftigen. Hält sie die Vorschläge aus Warschau für ausreichend, kann sie das Verfahren dann auch gleich wieder abschließen. Andernfalls kann sie ihre Empfehlungen abgeben. Ortet sie in weiterer Folge keine Verbesserungen, kann es in letzter Konsequenz etwa zum Entzug von Stimmrechten bei Ministersitzungen kommen. Dafür müssten die EU-Regeln aber "schwerwiegend und anhaltend" verletzt worden sein.

Daran, dass sie zu diesem Mittel greifen muss, will die Kommission aber noch lange nicht denken. Da setzt sie lieber auf sanften Druck. Das stieß auch im EU-Parlament auf Sympathie, obwohl von dort in den vergangenen Tagen teils scharfe Kritik an Polen gekommen war. So lobte der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Gianni Pittella, die Entscheidung der Kommission, die "schnell und zu Recht die Besorgnis erregenden Gesetzesänderungen" angesprochen habe. Für die Liberalen sprach Guy Verhofstadt von einem "begrüßenswerten" wie "notwendigen ersten Schritt". Ähnlich äußerte sich die Grüne Abgeordnete und Vizepräsidentin der EU-Volksvertretung, Ulrike Lunacek. Der Zusammenhalt der Union wäre in Gefahr, "wenn die Abkehr von demokratischen Prinzipien toleriert wird".

Ihre Meinung dazu können die EU-Mandatare schon in wenigen Tagen nochmals kundtun. Für Dienstag ist nämlich in Straßburg eine Parlamentsdebatte zu Polen angesetzt. Premier Szydlo hat schon ihre Teilnahme angekündigt. Gesprächsmöglichkeiten wird es aber auch noch vorher geben: Am Montag wird der polnische Staatspräsident Andrzej Duda, der ebenfalls aus den PiS-Reihen stammt, in Brüssel erwartet.

Länder lieber zurückhaltend

Dass der Dialog nun vor allem auf der Linie Warschau-Brüssel geführt wird, kommt den anderen Mitgliedstaaten jedenfalls nicht ungelegen. "Das ist besser, als es auf Ebene der Regierungen zu besprechen", erklärte ein EU-Diplomat. Ähnlich dürften die Empfindungen in den Niederlanden sein. Das Land hat soeben den EU-Vorsitz übernommen. Auch in Berlin wird nun gern auf die Zuständigkeit der EU-Kommission verwiesen. Zuvor hatte es heftige gegenseitige Vorwürfe zwischen einigen deutschen und polnischen Politikern gegeben.