Die Einführung einer Flüchtlings-Obergrenze in Österreich weckt Ängste vor einem Chaos in den Staaten des westlichen Balkans. Kein Land will das große Flüchtlingslager Europas werden.
Belgrad. Die Staaten auf der Balkanroute sind zu einem Dominospiel gezwungen, bei dem in Deutschland und Österreich entschieden wird, wann und wie die Steine zu fallen haben. Sobald es in den beiden Ländern zu Obergrenzen und verschärften Grenzkontrollen kommt, müssen Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien nachziehen, wenn sie keinen Rückstau im eigenen Land riskieren wollen. Dementsprechend hat die österreichische Entscheidung, Obergrenzen einzuführen, auch zu heftigen Reaktionen im Nachbarland Slowenien geführt. Am Donnerstagabend teilte Innenministerin Vesna Gyorkos Znidar in einer Pressekonferenz in Ljubljana mit, dass das Land künftig alle Flüchtlinge an seinen Grenzen zurückweisen werde. Nur jene, die in Österreich und Deutschland um Asyl ansuchen wollen, würden durchgewunken. Außerdem sollen die Grenzkontrollen verschärft werden. Kurz zuvor hatte die Regierung noch versucht, die Wogen zu glätten, nachdem der Oppositionspolitiker Bruno Grims (SDS) gewarnt hatte, dass die "Existenz Sloweniens bedroht" sei. In der Bevölkerung rumort es. Bisher hat Slowenien die Flüchtlinge vor allem von der kroatischen zur österreichischen Grenze gebracht. Freie Räume im Inneren des Landes wurden nicht genutzt. Wer die vergangenen Monate in Ljubljana konsequent die Medien ignorierte, hätte wohl eine gute Chance gehabt, keine der hunderttausenden Menschen zu sehen, die durch das kleine Land reisen.
In Kroatien soll heute eine neue Regierungskoalition aus nationalkonservativer HDZ und den reformorientierten Newcomern von "Most" gebildet werden. Der bisher amtierende sozialdemokratische Premierminister Zoran Milanovic erklärte wiederholt, dass eine europäische Lösung gefunden werden müsse. Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic, die aus der nationalkonservativen HDZ kommt, betonte hingegen, dass der Bau eines Grenzzauns sich womöglich nicht vermeiden lasse.
15 bis 20 Euro pro Tag
Serbien rechnet bereits fest damit, dass die kroatischen Nachbarn die Grenzkontrollen verschärfen, allerdings ist noch nicht klar, welche Maßnahmen der Staat dann ergreifen wird. Von Zäunen oder "baulichen Maßnahmen" ist noch nicht die Rede. Premierminister Aleksandar Vucic hofft auf die deutsche Bundeskanzlerin und sagte am Mittwoch beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos: "Serbien sieht sich in der Flüchtlingskrise felsenfest an der Seite von Angela Merkel." Eine andere Wahl hat er aber auch gar nicht, denn sein Land ist ein realistischer Kandidat für einen Rückstau. Serbien hat sich bereit erklärt, 6000 Flüchtlinge aufzunehmen, erhält aber weniger Hilfe als die EU-Staaten Slowenien und Kroatien. Ein Sprecher des Sozialministeriums sagt gegenüber der "Wiener Zeitung": "Wir brauchen 15 bis 20 Euro pro Tag und Flüchtling aus der EU." Bislang erhalten Serbien und Mazedonien deutlich weniger.
Mazedonien hat seine Grenze zu Griechenland am Donnerstag wieder geöffnet, nachdem diese am Dienstag geschlossen wurde. Der Grund seien Behörden-Probleme beim slowenischen Zugverkehr, wegen denen man Druck von der Route nehmen wollte. Vonseiten der slowenischen Staatsbahn wurde dies dementiert. Nach Mazedonien dürfen derzeit theoretisch nur Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak einreisen, die Deutschland oder Österreich als Zielland angeben. Ziel ist es, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Hier drehte sich das Dominospiel vor einigen Wochen um. Als Mazedonien entschied, nur noch Flüchtlinge aus den drei Staaten hineinzulassen, hatten das innerhalb weniger Stunden auch Serbien, Kroatien und Slowenien zur neuen Praxis erklärt. Der Druck für diesen Schritt dürfte aus Brüssel und Berlin gekommen sein. In der Praxis kommt es eher darauf an, ob man gute Schlepper und Glück hat - oder es auf eigene Faust schafft, die mazedonischen Grenzer zu überlisten. In den Parks und Aufnahmezentren auf der Balkanroute befinden sich weiterhin viele Menschen, die nicht aus Syrien, dem Irak und Afghanistan kommen. Sie laufen Gefahr, an der griechischen Grenze zu stranden. Dort müssen Flüchtlinge mittlerweile bei ihrer Ankunft nun ihr Zielland angeben.