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Reformer wider Willen

Von WZ-Korrespondent Gerd Höhler

Politik

Vor genau einem Jahr, am 26. Jänner 2015, legte Alexis Tsipras seinen Amtseid als Premier Griechenlands ab.


Athen. (n-ost) Als Alexis Tsipras das Podium in der Sportarena von Faliron im Süden Athens betritt, streckt er den linken Arm in die Höhe und ballt die Faust - wie damals, vor einem Jahr, als er seine erste Wahl in Griechenland gewann. "Dies ist ein historischer Tag, ein Festtag!", ruft er den Tausenden zu.

Beifall brandet auf, Sprechchöre werden angestimmt. Die riesige Halle ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Viele schwenken Fahnen. "Gemeinsam gehen wir auf eine Reise der Träume und Hoffnungen", ruft Tsipras.

Ioanna Pavlopoulou ist an diesem Sonntagabend nicht in der Halle. Vor einem Jahr, am Wahlabend, hat sie Tsipras noch zugejubelt, vor der Syriza-Parteizentrale an der Athener Platia Eleftherias, dem Freiheitsplatz. "Tsipras war meine Hoffnung", erinnert sich Ioanna Pavlopoulou. Die 44-Jährige teilt sich mit ihrer Mutter eine kleine Zweizimmerwohnung, seit sie 2012 ihren Job verlor. Die beiden Frauen leben von der Witwenpension der Mutter. Tsipras versprach, 300.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Pensionskürzungen rückgängig zu machen. Aber Ioanna Pavlopoulou hat immer noch keine Arbeit, und ihrer Mutter droht jetzt ein weiterer Einschnitt bei der Pension. "Ich bin bitter enttäuscht", sagt die Frau.

Kapitulation vorden Geldgebern

"Die Hoffnung kommt" - mit diesem Slogan war Tsipras vor einem Jahr angetreten. Die Kreditverträge mit den Gläubigern wollte er "zerreißen", den Sparkurs sofort beenden. Überschuldeten Familien werde er ihre Kredite erlassen und die unpopuläre Immobiliensteuer abschaffen, gelobte damals der neue Regierungschef. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt ist davon so gut wie nichts umgesetzt.

Sechs Monate lang pokerte Tsipras nach seiner Wahl mit den EU-Partnern um neue Hilfskredite. Aber die blieben hart. Tsipras versuchte, Geld in China und Russland lockerzumachen - vergeblich. Im Juli 2015, als das Land so dicht am Staatsbankrott stand wie nie zuvor seit Beginn der Krise, musste Tsipras schließlich kapitulieren: Er stimmte einem dritten Rettungspaket und neuen Reformauflagen zu.

Tsipras steht unter Druck: Nur wenn die jetzt laufende erste Überprüfung des Anpassungsprogramms durch die Vertreter der Geldgeber schnell abgeschlossen wird, kann Athen auf weitere Kreditraten und die Lang ersehnten Schuldenerleichterungen hoffen. Vor allem die umstrittene Pensionsreform muss die Regierung jetzt zügig umsetzen. "Dies ist wahrscheinlich die letzte Chance für Griechenland", sagte Tsipras vergangene Woche beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

Widerstand in derBevölkerung und der Partei

"Ein Jahr Linke, ein Jahr Kampf - wir machen weiter!" war das Motto der Massenkundgebung am Sonntagabend. "Kampf" - dieses Wort kam in seiner Rede häufig vor. Die schwersten Auseinandersetzungen könnten Tsipras noch bevorstehen.

"Jahrestag mit dem Rücken zur Wand", titelte am Wochenende die Wirtschaftszeitung "Imerisia". Tsipras kämpft an vielen Fronten. Weil die Regierung mit der Einrichtung der Hotspots zur Registrierung von Flüchtlingen auf den Inseln im Rückstand ist, droht Athen möglicherweise der Ausschluss aus der Schengenzone. Die Pensionsreform, die Tsipras auf Druck der Geldgeber umsetzen muss, stößt auf breiten Widerstand in der Bevölkerung und auf Einspruch in seiner eigenen Partei.

Mit den Plänen zu einer höheren Besteuerung der Landwirte hat sich die Regierung den Zorn den Bauern zugezogen. Seit dem Wochenende blockieren sie mit ihren Traktoren Autobahnen und Überlandstraßen. Vor drei Jahren unterstützte Tsipras die Landwirte bei ihren Protesten gegen die damalige Regierung, schwang sich auf die Traktoren und hielt feurige Reden. Jetzt steht er auf der anderen Seite - nicht nur für die Bauern sondern für viele Griechen, die ihn vor einem Jahr noch gewählt haben.