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Wackeliger Boden

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

Weder der Wahlsieger und amtierende Regierungschef Mariano Rajoy noch der sozialistische Oppositionsführer Pedro Sánchez trauen sich derzeit, die Regierungsbildung zu übernehmen. Spanien steuert auf Neuwahlen zu.


Madrid. König Felipe VI. steht derzeit vor einem Problem. Als Staatsoberhaupt fällt ihm die Aufgabe zu, nach Wahlen einen Politiker mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Meistens handelt es sich um den Chef der stärksten Parlaments-Partei. Doch weder der Wahlsieger und amtierende konservative Regierungschef Mariano Rajoy (PP) noch der sozialistische Oppositionsführer Pedro Sánchez trauen sich derzeit, diese Aufgabe anzunehmen. Zu kompliziert stellt sich die Sitzverteilung dar. Gut einen Monat nach den Parlamentswahlen steuert Spanien damit auf Neuwahlen zu.

Rajoy teilte dem König am Freitag im Zarzuela-Palast mit, es mache "keinen Sinn", sich im Parlament einer Abstimmung zu stellen, wenn er schon im Vorfeld wisse, keine ausreichende Unterstützung zu bekommen. Damit würde nur der Countdown für Neuwahlen eingeläutet werden, denn wenn sich zwei Monate nach der ersten Abstimmung im Parlament kein Kandidat durchsetzen kann, müssen Neuwahlen angesetzt werden.

Rajoys Konservative gewannen zwar die Wahlen am 20. Dezember, verloren aber ihre absolute Mehrheit in einem Parlament, das einem deutlichen Linksruck unterlag und in dem zudem neue Protestparteien wie die linke Podemos ("Wir können") oder die liberalen Ciudadanos ("Bürger") hinzugekommen sind, die die Konservativen nicht unterstützen.

Rajoy hat jedoch kein Interesse an Neuwahlen. Seine Partei hätte zwar Aussichten, in einem neuen Urnengang einige Mandate dazuzugewinnen. Doch dürfte von Neuwahlen vor allem die linke Protestpartei Podemos profitieren.

Für viele Experten wie den spanischen Politologen Francisco Latre steckt hinter dem vorläufigen Verzicht Rajoys eine klare Strategie: "Rajoy hofft darauf, dass die von Pedro Sánchez angestrebten Regierungsverhandlungen mit den Linksparteien scheitern und die Sozialisten danach offener für eine große Koalition sind, die sie bisher strikt ablehnen." Tatsächlich unterbreitete Rajoy nach seinem vorläufigen Rückzieher, eine Regierung zu bilden, den Sozialisten am Wochenende erneut das Angebot einer großen Koalition.

Stolperstein Unabhängigkeit

Am Wochenende gab es noch Anzeichen für eine Linksregierung. Der linkspopulistische Podemos-Chef Pablo Iglesias erklärte dem König, den er als "Bürger Felipe de Bourbon" bezeichnet, am Freitag seine Bereitschaft, die Sozialisten zu unterstützen. Auch Sánchez beteuerte nach seinem Treffen am Freitag im Königspalast: "Die Wähler von PSOE und Podemos würden es nicht verstehen, wenn wir uns nicht verständigen könnten." Doch nun macht auch Sánchez einen "vorläufigen" Rückzieher.

Warum? Podemos-Chef Iglesias forderte für seine Unterstützung die Bildung einer Koalitionsregierung mit fast der Hälfte aller Ministerposten für seine Protestpartei. Noch am Montag stellte Iglesias klar, dass er selber stellvertretener Premier werden müsse.

Sánchez konterte, man werde nicht aus einer "Erpressung" heraus Koalitionsgespräche aufnehmen und gebe Rajoy den Vortritt beim Versuch, eine Regierungsmehrheit zu finden.

Sozialisten-Chef Sánchez könnte rein mathematisch zwar mit Podemos, kleineren Linksparteien und nationalistischen Regionalparteien eine absolute Mehrheit erreichen. Doch die sozialistischen Länderchefs lehnen unter anderem das von Podemos geforderte Recht Kataloniens auf ein Unabhängigkeitsreferendum strikt ab und sprechen bereits offen von der Absetzung des Parteichefs, sollte dieser auf die Forderungen von Podemos eingehen und die Einheit des Landes aufs Spiel setzen.

Eine weitere Hürde: Ein solches Linksbündnis bräuchte noch die Unterstützung der baskischen und katalanischen Nationalisten, die ihren Wählern die Unabhängigkeit ihrer Regionen in Aussicht stellen.

Die Lage der Sozialisten ist also nicht weniger verzwickt wie die der Konservativen. "Die Sozialisten würden bei Neuwahlen wie keine zweite Partei bluten", versichert auch Wahlforscher José Pablo Ferrándiz. Jüngste Umfragen seines Meinungsforschungsinstituts Metroscopia prophezeien den Sozialisten sogar, bei Neuwahlen von Podemos als zweitstärkste Fraktion abgelöst zu werden. "Eine Koalition mit den Konservativen könnte PSOE-Chef Sánchez allerdings den Kopf und den Sozialisten bei den Neuwahlen noch mehr Stimmen kosten", so Ferrándiz.

Klar ist: Die einzige Partei, die erfolgreich aus dem Regierungspoker herausgehen wird, dürfte Podemos sein. Bei Neuwahlen winkt die Möglichkeit, zweitstärkste Partei zu werden. Sollten die Sozialisten einknicken und Podemos mit der Hälfte der Ministerien in die Regierung holen, wäre das ein wahnsinniger Erfolg für eine erst vor knapp zwei Jahren gegründete Partei, die zum ersten Mal an Wahlen teilnahm.

Sollten sich die Sozialisten einer Linksregierung verschließen und sogar eine Koalition mit den Konservativen eingehen, könnte Podemos Sánchez vor den mit Sicherheit enttäuschten sozialistischen Wählern als Buhmann verkaufen, der eine Ende der konservativen Austeritätspolitik verhinderte. Iglesias könnte eine genüssliche Opposition hinlegen, mit der Podemos bei den kommenden Wahlen sehr gestärkt antreten könnte.